Anna Zimmermann (10)

Anders

Alle starrten mich an. Sofort ließ ich den Ball fallen. Schon kam ein Mädchen und schoss ihn mit dem Fuß in eines der Gestelle, hinter denen ein Netz gespannt war. Jemand fuhr mich von hinten an. Ich drehte mich um und sah einen Jungen wegrennen. Der Junge gab unserer Lehrerin den Ball, sie sagte etwas in dieser furchtbar komplizierten Sprache, und alle setzten sich.

Also setzte ich mich auch. Wieder sagte unsere Lehrerin etwas, und alle begannen Übungen zu machen. Ich versuchte es auch, aber es war überhaupt nicht leicht. Plötzlich hörte ich eine schrille Klingel, und alle hörten mit den Übungen auf.

Die Kinder gingen in die Garderobe und zogen sich an.

Ich sah auf die Uhr und bemerkte erleichtert, dass wir in einer Stunde aus hatten.


Unsere Klasse liegt direkt neben dem Turnsaal im Erdgeschoss. Gleich neben der Tür steht ein Mistkübel unter einem Waschbecken, gegenüber der Tür sind auf einem Regal einige Ordner, und die Tische stehen in drei ordentlichen Reihen zur Tafel hin.

Wir setzten uns, und die Lehrerin erklärte etwas an der Tafel. Dann teilte sie uns Rechenblätter aus.

Rechnen war das Einzige, was ich gut konnte, und mit diesem Blatt war ich sofort fertig. Ich bekam zwei Hefte, die ich in die Schultasche steckte, und dann war die Schule endlich aus.


Alle Kinder stürmten in die Garderobe, also lief ich ihnen hinterher.

Als ich meine Schuhe an hatte, sahen mich die Kinder, die schon fertig waren, genervt an. Schnell schlüpfte ich in meine Jacke und stellte mich zu einem Mädchen, das alleine war. Es sah mich böse an und schob mich ans Ende der Reihe.


Als wir aus dem Schultor hinaus kamen, stand genau in der Richtung, in die ich gehen musste, ein großer schwarzer Hund.

Weil ich weiß, dass Hunde beißen, blieb ich stehen. Da kam dieses Mädchen, das mich in der Reihe nach hinten geschickt hatte. Sie umarmte die Frau, die neben dem Hund stand, sah zu mir herüber und ging absichtlich knapp an dem Hund vorbei. Doch das hätte sie nicht machen sollen – der Hund leckte ihr das ganze Gesicht ab! Dann gingen der Hund, die Frau und das Mädchen über die Straße, und ich konnte endlich nach Hause gehen.

Ich zog den Schlüssel heraus – Gott sei Dank musste ich nicht weit gehen!


»Und, wie war die Schule?«, fragte meine Tante, als ich hereinkam, während sie mir diese runden Teigfladen, in die man Marmelade hineingeben muss, und die so ähnlich wie »Platschiken« heißen, auf den Teller schob. Ich mochte das nicht. Für mich sahen sie aus wie ekelhafte Raupen, die, wenn man sie anbeißt, auf der anderen Seite bluten.

Aber ich soll mich gut eingewöhnen, weil alles so neu ist und ich in einem ganz neuen Land bin. Außerdem mag mein Onkel, der hier schon immer wohnt und den ich erst vor einer Woche kennen gelernt habe, dieses Essen, und meine Mutter sagt, wir sollen ihm eine Freude machen, weil wir bei ihm wohnen dürfen.

»Es war blöd«, murmelte ich nur und aß meine »Platschike«, während meine Tante meiner Schwester ununterbrochen Sachen erklärte.

Dann ging ich die Treppe hinauf in das Zimmer, das ich mit meiner Schwester teilte, um meine Hausaufgaben zu machen. Ich musste eine Menge komischer Schnörkel nachziehen, die keine Ähnlichkeit mit gewöhnlicher Schrift haben.

Schließlich war ich fertig und ging hinunter. Meine Tante erwartete mich schon mit einem Blatt Papier, das voller Schnörkel war. Dann begann sie, auf mich einzureden. Der einzige Trost war, dass ich sie jetzt nicht verstehen konnte, da sie mir die Sprache, die hier gesprochen wird, beibringen sollte. Also riet ich und kreuzte hier etwas an, strich da etwas durch, bis ich fertig war.

Meine Mutter kam mit einem dampfenden Topf herein, und wir mussten Platz für die Nudeln machen.

»Und, was hast du gelernt, Schätzchen?«, fragte sie mich.

»Meiame is Timo!«

»Was? Sag es noch einmal!«, bat meine Mutter, »Langsam, diesmal!«

»Mei ’ame is’ Timo!«, wiederholte ich.

»Es soll eigentlich heißen: ›Mein Name ist Timo!‹ Aber daran müssen wir noch arbeiten! Übrigens: Es ist spät, ihr zwei!« Meine Tante nickte zu mir und meiner Schwester hinüber. »Ihr geht jetzt dann schlafen!«


Als ich heute in der Schule die Hausübung auf meinen Tisch legte, fiel mir ein Mädchen mit dunklen Haaren und einer rosa Bluse auf, das mit einem anderen Mädchen sprach. Dieses Mädchen war gestern nicht da gewesen. Das eine Mädchen deutete auf mich, und das Rosa-Blusen-Mädchen kam zu mir herüber.

»Hallo«, sagte es in meiner Sprache. »Du heißt Timo, oder?«

Und es hörte sich komisch an, zwischen all den fremden Wörtern. Es war ungewohnt – so anders, dass ich sie zuerst nicht verstand.

»Meiame is Timo!«, bestätigte ich und lächelte sie an.