Matthäus Uitz (11)

Eine gefährliche Entdeckung

Jonathan ist ein Biologiestudent im zweiten Semester. Er macht seine Arbeit gut, ja er ist sogar der beste Schüler seines Faches. Eigentlich war er ein ganz normaler Student wie jeder andere auch. Als eines Tages jedoch seine Lehrerin Mrs. Parker auf ihn zukam, wusste er noch nicht, was ihn erwarten würde.

Es war ein ganz normaler Tag im April, das Wetter war zwar ein bisschen launisch, aber sonst nicht weiter erwähnenswert. Jonathan ahnte noch nicht, dass dieser Tag sein Leben komplett verändern würde.

Seine Lehrerin fragte ihn mit einem bittenden Gesicht: »Jonathan, ich habe da einen Vorschlag an dich! Wider Erwarten ist einer unserer Expeditionsteilnehmer erkrankt, also habe ich dich vorgeschlagen, da du ja so ein guter Schüler bist. Du wirst mich doch nicht hängen lassen, oder?«

Jonathan mochte seine Lehrerin sehr gerne, doch er wusste, dass, wenn man ihr einen Wunsch abschlägt, sie ziemlich unleidlich werden konnte. Deshalb sagte er nur: »Ja gerne, wenn Sie mir nur sagen, was wir erforschen, wo wir hinfliegen werden und wie lange wir auf der Expedition forschen werden.«

»Ihr werdet die Terrorvögel in Südamerika besuchen. Die Terrorvögel sollen zwar schon vor zwei Millionen Jahren ausgestorben sein, aber neuesten Berichten zufolge wurden zwei ausgewachsene Vögel gesichtet. Es wäre eine Sensation, wenn ihr beide Tiere wohlbehalten einfangen und in einen zoologischen Garten bringen könntet. Stell dir vor, du würdest reich und berühmt werden. Du bist zwar schon 21, gib aber lieber doch deinen Eltern Bescheid, damit sie sich nicht um dich sorgen müssen. Wir treffen uns in einer Woche am Flughafen und nehmen den Flug nach Brasilien. Danke nochmals, dass du für unseren Kranken einspringst.«

Wenn Jonathan zu diesem Zeitpunkt geahnt hätte, auf was er sich überhaupt einlassen würde! Terrorvögel wurden nämlich bis zu drei Meter groß und konnten bis zu 50 Kilometer die Stunde rennen. Ein Fußtritt würde reichen, um eine Antilope zu töten. Eine innere Stimme riet Jonathan, im letzten Moment noch abzusagen, doch der Gedanke an Reichtum und Berühmtheit ließ ihn auf andere Gedanken kommen.

Jonathan bekam eine umfangreiche Liste, was er alles mitnehmen musste. Eine Woche danach war Jonathan pünktlich am Flughafen. Er war der Erste, der dort ankam. Weil er sich so beeilt hatte, stand er sogar schon um 6:00 Uhr auf, obwohl er in der Nähe des Heathrow Airports wohnte. Um 8:00 trafen endlich seine Kollegen am Flughafen ein. Es waren vier Studenten, ein professioneller Expeditionsleiter und der zweite Schularzt.

»Hi, Jonathan! Ich heiße Max. Deine Lehrerin hat mir schon viel von dir erzählt. Aber wir müssen gut aufpassen, denn die Terrorvögel können sehr aggressiv werden. Immerhin werden diese drei Meter groß und können sehr, sehr schnell rennen!«

»Drei Meter? Auf was hab ich mich denn da nur eingelassen?«, rief Jonathan entsetzt.

Zum Umkehren war es bereits zu spät. Jonathan beschloss, das Beste aus der Sache zu machen. Er dachte sich, dass es diese komischen Vögel ja vielleicht eh nicht geben wird und wenn ja, werden nicht gerade sie diese mysteriösen Tiere finden. So fasste er wieder Mut und freute sich richtig auf das Abenteuer und das unbekannte Brasilien. Im Flugzeug war Jonathan so entspannt, dass er beinahe den ganzen Flug verschlief. Kein Wunder, er hatte ja in der letzten Nacht vor Aufregung kaum geschlafen.

Angekommen, waren alle Expeditionsteilnehmer begeistert. Die Sonne brannte vom Himmel, es war herrlich warm, ganz anders als im nebeligen London, das sie vor 14 Stunden verlassen hatten.

Vom Flughafen in Brasilia fuhren sie mit dem Bus zum Ausgangspunkt ihrer Expedition nach Diamantino. Es war eine lange Fahrt über immer schlechter werdende Straßen. Jonathan war von der Landschaft fasziniert, er konnte den Blick gar nicht vom Fenster abwenden. Nach einer Übernachtung am Weg, es waren immerhin mehr als 1000 Kilometer zurückzulegen, ging es am nächsten Tag weiter. Diamantino liegt an der Grenze des brasilianischen Berglandes, am Fuße des Hochlandes Mato Grosso.

Jonathan freute sich, denn sein Zimmergenosse im Hotel war Max, mit dem er sich schon etwas angefreundet hatte. Am nächsten Tag sollte es dann zum ersten Zwischenlager weitergehen. Am Abend vor dem Aufbruch war noch eine Besprechung mit dem Expeditionsleiter, sein Name war Bob, angesetzt. Jonathan hatte bis dahin ja keine Ahnung, wie diese »komischen Vögel«, so nannte er sie im Spaß, eigentlich aussehen sollten. Als er dann die Bilder sah, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Diese riesigen, eher hässlichen Vögel konnten bis zu 500 Kilogramm schwer werden und hatten lange, gebogene scharfe Schnäbel und lange Krallen an den Füßen. Da Einheimische immer wieder von Verletzten oder gar Toten, die von großen vogelartigen Tieren angegriffen worden seien, berichteten, sollten die Expeditionsteilnehmer herausfinden, was sich wirklich dahinter verbirgt.

In dieser Nacht schliefen Jonathan und Max sehr schlecht. Jonathan schreckte in der Nacht schweißgebadet auf, er hatte geträumt, von einer Gruppe Terrorvögel umringt zu sein. Die Vögel kamen immer näher, und er konnte nicht fliehen. Gerade als einer der Vögel zum Fußtritt ausholte, wachte Jonathan auf, da sich Max ebenfalls in seinem Bett herumwarf. Keiner wollte aber vor dem anderen eingestehen, Angst zu haben.

Am nächsten Tag brachten die zwei Studenten kaum etwas zum Frühstück hinunter, lediglich Bob, der selber an die zwei Meter groß und 100 Kilogramm schwer sein musste, ließ es sich schmecken und war bester Dinge. Nach dem Frühstück teilten sich die Expeditionsteilnehmer auf zwei Jeeps auf und fuhren zu einem Dorf von Einheimischen, die angeblich schon einmal die Terrorvögel gesehen hatten. Obwohl sie den Einheimischen Geld angeboten hatten, hat sich keiner bereit erklärt, die Gruppe zu begleiten. Zunächst konnten die Expeditionsteilnehmer noch einen Teil des Weges mit den Autos zurücklegen, später mussten sie sich zu Fuß auf die Suche machen. So vergingen Stunden um Stunden, doch außer ein paar Tapiren, einigen Gürteltieren und sogar einmal einem Puma sahen sie nichts Außergewöhnliches. Kleinere Tiere, wie prächtige Schmetterlinge und verschiedene Vögel, bekamen sie öfters zu Gesicht. Dennoch war Jonathan enttäuscht, immerhin hatte er gelesen, dass Brasilien das artenreichste Land der Erde sein soll.

Um nicht immer die weiten Anfahrtswege zurücklegen zu müssen, beschlossen die Forscher, lieber draußen zu campieren. Trinkwasser gab es genug, zum Essen hatten sie sich Vorräte mitgebracht, zusätzlich fanden sie zahlreiche Früchte. So vergingen die Tage und Wochen, ohne auch nur den Schatten oder eine Spur der Terrorvögel gesehen zu haben.

Doch früher, als es Jonathan lieb sein sollte, würde sich das ändern. Sie waren schon kurz davor, den Glauben an die Existenz der Terrorvögel zu verlieren, als Jonathan einen ungewöhnlich großen, scheinbar ganz frischen Abdruck eines Vogelfußes am Ufer eines kleinen Flusses sah. Er informierte Bob, der als Einziger gerade in seiner Nähe war, und sie versuchten, weitere Abdrücke zu finden. Dabei entfernten sie sich immer weiter vom Rest der Expeditionsmannschaft. Allein Bob und Jonathan machten sich auf den Weg, um vielleicht in unmittelbarer Nähe weitere Spuren ausfindig zu machen. Auf einmal raschelte es im Gebüsch. Jonathan war dermaßen erpicht darauf, einen Terrorvogel zu sehen, dass er sich, ohne nachzudenken, in das Gebüsch stürzte. Das hätte Jonathan besser nicht gemacht! Er sah ein Nest, in dem Eier lagen, die viel größer waren als jedes Straußenei. In diesem Moment hörte er hinter sich auf einmal ein Schnauben. Jonathan bekam fast einen Herzinfarkt, so sehr erschreckte er sich! Hinter ihm stand eine angriffslustige Terrorvogelmutter, die unter allen Umständen ihr Nest verteidigen würde. Starr vor Schreck, konnte Jonathan sich nicht bewegen. Es stimmte also, es gibt noch Terrorvögel! Plötzlich sah Jonathan einen riesigen Vogelfuß auf sich zukommen. Instinktiv duckte er sich. Das Tier war so in Rage, dass es sich vor Aufregung nicht konzentriert hatte, deshalb streifte es – Gott sei Dank – nur Jonathans Brust, sodass er verhältnismäßig glimpflich davon kam, obgleich er schwer verletzt war. Bob hörte seine Schmerzensschreie und sprang ebenfalls in das Gebüsch. Er war der Einzige, der ein Betäubungsgewehr dabei hatte. Er richtete seinen Lauf auf das Tier, betete ein kurzes Stoßgebet und schoss. Die Terrorvogelmutter ließ von Jonathan ab und wollte auf Bob losgehen. Bob rannte, so schnell er konnte. Da die Betäubungsspritze zu wirken begann, sank die Terrorvogelmutter, kurz bevor sie Bob erreichte, zu Boden.

Bob lief sofort zu Jonathan zurück, der das Bewusstsein verloren hatte, aus seiner Wunde verlor er viel Blut. Bob riss sein Hemd auseinander und verband Jonathan, so gut es ging. Von dem Tumult waren auch die anderen Expeditionsteilnehmer gelaufen gekommen, gerade im richtigen Moment, um Bob zu helfen, Jonathan von dem Nest wegzutragen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Terrorvogelvater zurückkommen würde. Bob war ein sehr kräftiger Mann und trug Jonathan in Windeseile zum Zeltlager. Gott sei Dank dachte der Trupp daran, einen Arzt für alle Fälle mitzunehmen.

Jetzt galt es, möglichst rasch das Terrorvogelweibchen mitzunehmen, ehe die Betäubung nachließ und das Terrorvogelmännchen zurückkam. Es würde sein Nest und sein Weibchen mit letzter Kraft verteidigen. Glücklicherweise wog das Terrorvogelweibchen »nur« um die 200 Kilogramm, bei dem Männchen hätte der Trupp deutlich schwerer zu tragen gehabt. Danach wurde der Direktor des hiesigen Zoos verständigt, um das Tier mitzunehmen. Die Expeditionsteilnehmer staunten nicht schlecht, als sie einen Hubschrauber heranfliegen sahen. »Na, denken Sie allen Ernstes, dass wir dieses Tier von 200 Kilo einfach so tragen können? Und außerdem, bis zum Zoo ist es ein weiter Weg«, meinte der Zoodirektor. Natürlich freute er sich, denn sobald die Presse davon Wind bekommen würde, würde sein Zoo keinen Besuchermangel mehr haben.