Paula Rossi (10)

Zuckerschneckenkriminalität

Ein starker Wind fegte durch die Bäume. Sie zitterten und schwankten, dem Wind untergeben. Über dem schwarzen Nachthimmel lagen dunkle Wolken, und sogar die Vögel hatten sich verzogen. Es herrschte Totenstille. Eine Stille, in der sich Mia die Nackenhaare aufstellten.

Irgendwo musste sich ein Igel versteckt haben. Die einzige denkbare Variante, wieso es im Gebüsch plötzlich raschelte. Mia zog sich den kaminroten Schal zurecht, den sie letzte Weihnachten bekommen hatte. Sie konnte sich noch genau an die wunderbare Weihnachtsnacht erinnern. Glöckchen hatten geklingelt und dann glitzerte alles: Eine Tanne, mit rot leuchtenden Kugeln übersäht, und goldene Nüsschen, in denen weiße Kerzen steckten. Wie hatte sie sich gefreut, als ihre Mutter mit einem hellblauen Päckchen gekommen war. Sie hatte es ihrer Tochter fröhlich überreicht, ihr einen Kuss auf die Wange gedrückt, und dann war sie auf die Terrasse gelaufen und hatte in die weiße Welt »Fröhliche Weihnachten, alle!« gerufen. Dann hatten sie zusammen Weihnachten gefeiert.

Mia musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht loszuheulen. Denn drei Tage später hatte sich ihr Leben geändert. Sie saß mit ihrer Mutter im Auto eines Taxifahrers und wollte sich gerade über eine Packung Kekse hermachen, als der plötzlich die Hände hochzog und das Auto einen Hang hinunter fahren ließ. Es rauschte in einen See, und das Wasser drang durch die Autotüre in den sinkenden PKW. Ihre Mutter versuchte, sich aus dem Gurt zu befreien, doch der Gurt klemmte.

Mia hatte damals noch nicht gewusst, dass es ihre Mutter nicht schaffen würde. Aber Marta Teen hatte es gewusst und hatte, so schnell, wie es ging, ihre Tochter aus den Klemmen der schwarzen Fesseln befreit. Zwischen ihren zusammengebissenen Zähnen hatte sie nur noch »Mia, geh! Ich schaffe es nicht, mich zu befreien! Geh bitte!« hervorstoßen können. Dann hatte sie ihr Kind aus dem Fenster geschubst und mit den Fingern gedeutet, sie soll zurück ans Ufer paddeln.

Das Ereignis spiegelte sich immer wieder vor ihrem inneren Auge. Es war mit einer Fackel in ihr Herz eingebrannt, und seitdem wachte ein ängstlicher Geist über ihrem Herz. Einer, der sich vor Wasser fürchtet, nicht ohne Herzrasen in ein Auto steigt und Angst vor allem und jedem hat. Der Geist hüllt sich um ihr Herz, lässt es nicht mehr los, bis auch Mia Angst bekommt.

Oft hatte sie schon versucht, sich zu erklären, wieso sie den Geist nicht loswerden konnte, obwohl der Vorfall doch schon sechs Jahre zurücklag. Morgens beim Frühstück, mittags beim Essen und abends, wenn sie im Bett lag.

Aber heute dachte sie nicht daran. Heute war die Nacht gekommen, an der sie ihren Mut, wenn ihn auch ein Geist bewacht, beweisen konnte. Heute wollte sie sich mit Dorothy und Felizitas beim See an der alten Mühle treffen.

Als ihre beiden Freundinnen, die ihre Angst immer kopfschüttelnd beobachtet hatten, sich dort mitten in der Nacht zum Baden verabredeten, war Mia zuerst gar nicht dazu zu bringen, auch nur einen Fuß dorthin zu setzen, hatte sich dann aber doch getraut. »Was kann mir schon passieren? Ein Seemonster wird natürlich mit Steinen auf mich werfen … hihi! Ich werde es wirklich versuchen, Leute!«, hatte sie gerufen und gelacht, aber im Inneren hatte sie Angst … schreckliche Angst.

Und jetzt war sie da, am See. Der Mond war heute besonders hell, und die glitzernden Sterne spiegelten sich im schwarzen Wasser. Das dichte Unterholz knackte unter ihren Füßen und hin und wieder kam eine Nacktschnecke über den Weg gekrochen. Plötzlich sah Mia zwei Schatten am anderen Ufer. Sie schwenkten mit ihren Handtüchern und stießen schrille Pfiffe aus. Nun begann Mia zu laufen. Schneller, als sie es sich hätte erträumen können. Und sie wäre weitergelaufen, so frei hatte sie sich gefühlt, sie wäre weitergelaufen, wäre sie nicht über irgendwas Hartes gestolpert. Mia hatte es zwar gemerkt und wollte ausweichen, aber es schien ihre Gedanken zu lesen und stellte sich prompt so hin, dass nicht einmal ein Spitzensportler mehr ausweichen konnte. Das Schicksal kam, sie stürzte.

Nur ein Blick auf ihre Nase, rot und aufgequollen, genügte, und man sah all seine schlimmsten Unfälle wieder. Schniefend lag sie am warmen Waldboden, der Wind blies ihr ins Gesicht, und ihre Elle war aufgeschürft. Auf der rechten Wange war ein roter Strich sichtbar, der sich von ihrem rechten Mundwinkel hinauf bis zum Lid zog. Stöhnend drückte sie ihre Hände in die Erde, die ein wenig nass war, und drückte sich hoch. Das allein kam dem Mädchen schon wie die schwerste Sportübung vor. Schnell schossen ihre Beine in die Höhe und fanden sich bei ihrer Brust wieder. Nochmals waren die Hände gefragt. Ein paar Sätze nach hinten, bis sie die Beine berührten. Nun saß sie in der Hocke und schaffte es einfach nicht aufzustehen. Aber das war egal. Mia hatte nur Schmerzen. Ihr Kopf brummte, ihre Beine pochten, und an den Schläfen hatte sie einen Bluterguss.

Von Weitem konnte sie Dorothy und Felizitas heranlaufen sehen.

Dorothy war die Erste, die etwas tat. »Geht’s dir gut? Mann, ich habe solche Angst um dich gehabt!« Schnell half sie ihrer Freundin auf die Beine.

Felizitas, die etwas mehr auf den Hüften hatte, musste sich erst durch das Geäst kämpfen. Schnaufend machte sie vor Mia halt. »Muss … muss dich … fragen, was … ist passiert!«, keuchte sie.

»Sie ist über was drüber gefallen«, erklärte Dorothy.

Dann nahm sie Mias rechten Arm und nickte Felizitas auffordernd zu. Diese verstand und klemmte den anderen Arm in den ihren.

Vor der großen Buche trennten sie sich. Zwischen den Bäumen konnte Mia ihr Zimmer sehen, dessen Fenster offen stand. Dann sah sie auch das Schlafzimmer ihrer Eltern und die Küche. Diese Räume gingen nämlich nach Osten. Wenn man weiterging, konnte man auch das Bad und den Vorraum sehen, die sich in den Norden streckten.

Mia humpelte auf ihr Zimmer zu und hüpfte in den dunklen Raum. (Da der Sims sehr weit unten lag, war das auch mit einem verstauchten Bein keine Schwierigkeit.)

Der nächste Morgen verlief reibungslos. Da Mias Papa nicht gerade sehr aufmerksam ist, sah er die Verletzungen nicht und konnte so auch nicht schimpfen. Auf dem Schulweg stützte Dorothy sie, und Felizitas trug ihre Schultasche.

Das einzige Problem war, dass ihrer Geschichtslehrerin Miss Golden solche Sachen sofort auffielen. Und als Mia die Klasse betrat, schrie Miss Golden, die gerade die Hefte ordnete, entsetzt auf.

»Mia, mein Kind! Um Gottes willen, was hast du dir getan? Ist es sehr schlimm? Mein Gott, Mia!«

Schrilles Kichern flog durch die Klasse. Manche gackerten wie Hühner über die Wörter »mein Kind«, andere starrten einfach nur auf das verschämte Mädchen. Und mitten in dem ganzen Trubel konnte Mia Falco erkennen. Er stand neben Rick und Daniel und schien seine Cousine nicht zu bemerken.

»Mia! Geh sofort zur Schulärztin! Und Falco, du gehst mit!«, rief Miss Golden die beiden auf.

Falco legte seine Spielkarten auf den Tisch und löste sich von der Gruppe.

Als die beiden im Treppenhaus waren, sagte Falco plötzlich: »Schieß los, Cousinchen!«

Mia sah ihn verwundert an. »Seit wann hast du denn solche Sprüche auf Lager?«, fragte sie spöttisch.

»Hab ich doch schon immer!«, sagte Falco schlagfertig.

Mia boxte ihn in die Rippen.

»Aua!«, quietschte er. »Zum Schluss gehen wir noch wegen MEINER Rippen zur Schulärztin.«

Mia verdrehte die Augen. »Angeber!«, zischte sie und lief in den gläsernen Turnsaalgang.

»Warte! Du weißt, dass meine Noten in Sport nicht gerade die besten sind!«, rief Falco, und schon ging eine Türe auf, und eine wütende Lehrerin trat heraus.

Mia konnte die Wörter: »Das tut mir furchtbar leid, Miss Grouty!«, »Ja, natürlich bereue ich es!«, »Versprochen!«, verstehen, und dann kam ein völlig blasser Falco in den Turnsaalgang. »Vielen Dank auch! Miss Grouty hat mir gedroht, dass sie meine Eltern verständigt, wenn das noch einmal passiert! Also das nächste Mal darf ich vorrennen! Klar?!«, fauchte er und zog sie dann vor die Tür der Schulärztin.

Eine rote Lampe zeigte, dass die Kabine nicht frei war.

Falco grinste seine Cousine fragend an. »Wollen wir?«

Mia lächelte zurück, und ehe man mit der Wimper schlagen konnte, klebten ihre Ohren auch schon an der türkisfarbenen Türe.

Die Stimme war nicht deutlich, aber wer auch immer sich da drinnen befand, es war ein Mann, und er hatte eine starke Verkühlung oder Kekse in der Nase. Mia konnte nur einige Wortfetzen aufschnappen, aber das war ja auch schon ein Wunder bei dieser Stimme.

»Heute Schließfach … Nein, gegenüber der Zuckerschneckenbäckerei … ja, genau … Nein! Verdammt, wann lernen sie es … STADTCITY … die Über… Vergessen Sie es … Das ist kein lausiges Gehalt! … Was?! … Geben Sie es einfach dorthin … War das schwierig? … Nein!«

Dann ging die Türe auf. Ein schlaksiger Mann mit dem Gang eines Athleten trat aus dem Raum. Als er die Kinder sah, fluchte er etwas und verschwand dann aus dem Turnsaalgang.

»Wow!«, flüsterte Falco. »Ob das unser erster Kriminalfall wird?«

Mia verdrehte die Augen. »I wo, du Spinner! Das war doch nur ein verkühlter Mann, der Schwachsinn gelallt hat, wahrscheinlich betrunken, und er hat eine Ärztin gesucht, die ihm abnimmt, dass er zum Beispiel ein Kind bekommen hat. Nur Freakboys wie du glauben da an einen Kriminalfall! Tstst…«

Ein Gesicht, auf dem zigtausend Sommersprossen Platz fanden, schaute aus dem Krankenzimmer. »Oh Mia! Was ist denn mit dir passiert? Na, komm doch mal rein. Ah, und Falco! Auch hier, Junge? Willst wohl wieder Unterricht schwänzen? Nananah …«, sagte das Gesicht und bat Mia, sich auf einen Sessel zu setzen. Falco hingegen musste wegen Mangel der Sessel stehen. »Tja … Pech gehabt, Falco, aber meine Tasche liegt auf deinem Sessel. Aber wenigstens ist stehen gesund.« Die Schulärztin kicherte wie ein kleines Kind. Sie warf ihre braunen Locken zurück und begann Mias Bein abzutasten. »Na ja … Scheint verstaucht zu sein. Sehr stark sogar, aber ich kann dir vorläufig einen Verband geben. Und Krücken musst du dir halt im Krankenhaus geben lassen. Ich kann leider nichts machen«, sagte sie und begann den Bluterguss anzuschauen. Sie nickte diesmal allerdings nur kurz mit dem Kopf, schüttelte ihn aber dann, als sie sah, dass Falco sich über die Traubenzucker hermachte. »Was macht man, wenn man etwas will?«

Sie bekam keine Antwort. Aber anscheinend erwartete sie auch keine.

»Ich muss mich sputen, wenn ich will, dass ihr noch vor Unterrichtsende in der Klasse seid!«, flüsterte sie und zog aus einem Schrank eine große Flasche Desinfektionsmittel. Sie goss die Flüssigkeit auf ein Stück Watte und hielt es auf den großen Kratzer. »Sag einmal, wann ist dir denn das passiert? Die Wunde ist ja schon ganz entzündet!«

Mia schluckte. Sollte sie von ihrem nächtlichen Ausflug erzählen? Die Schulärztin verriet normalerweise nichts, aber … Bevor sie länger darüber nachdachte, sprudelten die Worte schon aus ihr heraus: »Also gestern Nacht, da bin ich zur alten Mühle am See gegangen. Doro und Felix waren auch da. Also, in echt wollte ich zur alten Mühle, aber das konnte ich nicht, weil da war so ein Ding, was sich bewegt hat, und ich bin drüber gefallen.«

Plötzlich veränderte sich das Gesicht der Schulärztin.

»Misses Brown! Was ist los?«, hallte die Stimme Falcos durch den Raum.

Die Lippen von Misses Brown bewegten sich auf und ab.

Mia sah Falco eindringlich an.

Er verstand. Mit größter Sorgfalt sah er auf die Lippen. Sein nervöser Blick verhieß aber nichts Gutes.

Und plötzlich unterbrach Misses Brown die Stille mit eiserner Stimme. »Nähert euch ja nicht der alten Mühle! Sie ist gefährlich.« Ihre Stimme sackte zwischendurch ab. Speichel war in ihren Mundwinkeln zu sehen, und fast hätte Mia geglaubt, sie schlafe ein. Aber dann richtete sich die Ärztin plötzlich wieder auf. »Na los! Geht schon. Und vergesst nicht, euren Freunden zu erzählen, dass es keine Mühlenforschungen gibt! Verstanden?« Sie trieb die beiden Kinder mit einer geschickten Handbewegung hinaus. Dann schloss sie die Türe und drehte zweimal den Schlüssel um.

»Misses Brown war heute sehr komisch … Ist dir aufgefallen, dass sie dauernd eine Hand auf dem Rücken hatte?«

Mia verneinte. »Vielleicht … vielleicht hast du ja doch Recht … Misses Brown ist eine Verbrecherin«, quetschte sie hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Die liebe Misses Brown …« Sie konnte die Worte einfach nicht glauben. Der schlaksige Mann, die Hand auf dem Rücken und das Verrücktspielen bei dem Satz »alte Mühle«, alles war so merkwürdig. Vielleicht irrte sie sich ja. Vielleicht war das alles nur eine Einbildung. Hoffentlich …


Mia lag im Bett und starrte auf die Decke. Ob es richtig ist, wenn sie, Falco, Doro und Felix heute Nachmittag Misses Brown folgen? Sicher nicht, aber so etwas ist doch wichtig! Oder? Mia konnte sich einfach nicht entscheiden. Ist es richtig, einer Lehrerin zu folgen? Ja oder nein? Gedankenverloren spielte sie mit ihren Haaren.

Falco hatte vorgeschlagen, dass sich die Freunde aufteilen, da die vier nicht elf Stunden am Stück in der Stadtcity sitzen können. Mia kam erst in sechs Stunden dran.

Eigentlich wollte sie die Mathe-Hausaufgabe machen, aber die konnte sie einfach nicht verstehen. Denn auf dem Wisch stand nur: Fünf Kinder essen in 4 Tagen 284 Zuckerschnecken. In wie vielen Tagen essen 2 Kinder 437 Zuckerschnecken? So etwas war doch unmöglich herauszufinden. Und ob sich die Kinder Bauchweh holen oder nicht, war ihr wirklich völlig egal. Morgen würde sie einfach sagen, dass sie wegen des Krankenhausbesuches zu wenig Zeit gehabt hatte. Was in einer gewissen Weise auch stimmte, denn im Krankenhaus war eine lange Schlange, schon bei der Anmeldung.

Anfangs wollte Mia da einfach umdrehen, da ihr Bein sowieso nicht wehtat. Aber ihr plötzlich fürsorglicher Vater hatte darauf bestanden, das Bein noch einmal von einem Facharzt anschauen zu lassen. Und dieser »Herr Doktor Professor Studienberg« hatte eine lange Schonung verordnet. Was passiert ist, hatten weder dieser Arzt noch ihr Vater gefragt. ZUM GLÜCK! Aber pures Pech war, was der Doktor noch verschrieben hat. Krücken! Wie sollte sie mit denen eine mögliche Verbrecherin jagen? Die Antwort: GAR NICHT!

Der Sekundenzeiger bewegte sich langsam vorwärts. Tick, tack, tick, tick, tack … Jetzt waren es nur noch fünf Stunden, 52 Minuten und 29 Sekunden, bis es so weit war. Na toll! Und was jetzt? Däumchendrehen? Nee … Playstation klickern? Auch nee … Chatten? I wo … Na ja, in solchen Fällen zieht man letzte Maßstäbe. Mia schluckte. Dann stand sie auf und ging auf die mit Stickern beklebte Türe zu. Mit einem Ruck öffnete sie diese.

Moment. Das können doch nicht ihre Hände sein? War sie verrückt? Doch nun war es zu spät. Die Türe öffnete sich und ein wilder Hinterkopf tauchte auf. »Tuff, tuff, … Barbarella ist tot! Ja!« Die Schlachtrufe fuhren Mia durch den Körper wie Blitze. Es wurde noch schlimmer, als sie bemerkte, dass ihre alte Lieblingsbarbie diesmal daran glauben musste. Schluckend sah sie auf die verdrehte, mit Ketchup bedeckte Puppe.

Mia schluckte noch einmal und flötete dann mit zuckersüßer Stimme: »Hi, Bruderherz! Was spielst du denn Schönes?«

Der Junge drehte sich nach ihr um. Langsam drehten sich seine Augen nach oben. »Du musst irgendwas am Herzen haben. Sonst meidest du mich ja wie eine Tarantel. Aber da du schon mal hier bist …« Und bevor Mia sich wehren konnte, zog er sie schon auf den Teppich.

»Also wir spielen Piraten, ja? Und jetzt muss ich dich fesseln.« Er nahm einen Stuhl aus der Ecke und drückte seine Schwester darauf. Seine Wangen glühten, als er ein Tixoband aus dem Schrank nahm und Mia damit umwickelte.

Allein das kostete Mia viele Nerven. »Ähm … Niclas … was wird das bitte?«

Er sah sie mit großen Augen an. »Ich heiße nicht Niclas, sondern Kapitän Hundefurz!«

Mia konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Denn der Name war auch zu komisch.

Niclas lief ganz rot an, als er bemerkte, worüber seine Schwester lachte. Mag sein, dass er das Wort erst gestern kennen gelernt hatte, aber die Prinzessin, die ihm noch sagen musste, wo der Schatz ist, hatte eine Strafe verdient. »Du hast jetzt zweimal meinen Namen in den Kuhmist geworfen, dafür wirst du büßen!«, rief der rote Hampelmann. Er dachte nach und plötzlich machte sich ein Grinsen auf seinem Gesicht breit. Kein gutes Zeichen.

Und was der kleine Knirps vorhatte, war auch nicht gut. Er nahm das Ketchup, und ehe sich Mia versah, war sie voll von der pampigen Masse. Mia schrie auf. Das Ketchup floss über ihre Haare, direkt in den Pulliausschnitt. Niclas lachte sich schief. Aber Mia war stocksauer.

»Hol mich aus den Fesseln! SOFORT!«, schrie sie ihren Bruder an.

Aber der dachte, das gehöre noch zum Spiel, und sagte: »Erst, wenn du mir sagst, wo der Schatz ist!«

Mia fing an zu heulen. »DAD!«, rief sie aus Leibeskräften. »DAD!«

Der Mann kam. Doch als er seine Tochter sah, war er nicht halb so wütend auf Niclas. Ganz im Gegenteil. Er lachte.

»Hol mich hier raus!«, fuhr sie ihren Papa an.

Der schluckte sein Lachen runter und begann, noch immer kichernd, das Tixoband zu lösen.

»Mama hätte nicht gelacht!«, sagte Mia mürrisch, worauf sich das Gesicht ihres Vaters schlagartig veränderte.

Er murmelte: »Ja … ich mach ja schon …«, während er Mias langes Haar zur Seite strich, um an das Ende des Klebebandes zu kommen. Er ächzte einmal und stöhnte zweimal, bis er zufrieden das lange Band zu einem klebrigen Haufen zusammenknüllte.

Niclas sah von der wütenden Mia zu seinem Vater, der keinerlei Emotionen zeigte. Dann setzte er ein »Ich bin so brav«-Lächeln auf und fragte mit Engelsstimme: »Wann gibt’s denn Abendessen?«

Das Wort »Abendessen« ließ Mia plötzlich erstarren. Mia war Vegetarierin und konnte die Burger ihres Vaters nicht ausstehen. Deshalb machte sie sich immer selbst etwas zu essen. Tomatensuppe oder Gemüse-Stirfry, auch Salat war manchmal angesagt, aber die in Fett triefenden Hamburger waren echt zum Kotzen. Ihr Papa sah die Sorgenblicke seiner Tochter.

»Es gibt gleich Abendessen. Ich habe Bohnensuppe für Mia gemacht!«

Die Worte trafen Mia wie Blitze. »Verdammt!«, dachte sie. »Verdammter Mist!« Kann es schlimmer kommen? Die Antwort: Ja!

Als Mia durch den Korridor in die Küche hastete, konnte sie schon von Weitem das Fett riechen. Wenn hinter ihr nicht Niclas und ihr Vater Marius gestanden wären, hätte Mia ein Gesicht eines Zombies wettgemacht, und am liebsten hätte sie noch Würgegeräusche von sich gegeben. Aber Marius und Niclas STANDEN hinter ihr und deshalb musste Mia die Zähne zusammenbeißen, um in die Küche zu treten. Am besten nicht durch die Nase atmen, und siehe da, es funktionierte halbwegs. Sie drückte die Klinke hinunter, und schon stand sie in dem Raum. Ganz rechts nahm eine Dachschräge den Platz ein, und links stand ein großer Eichentisch. In der Ecke stand ein Kühlschrank, links daneben ein Schrank mit Töpfen und noch weiter links ein Gasherd. Auf dem Eichentisch hockte ein großer Topf mit Bohnensuppe, die nur darauf wartete, verspeist zu werden. Mia setzte sich an den Tisch und starrte mürrisch auf den brodelnden Topf, in dem eine braune Brühe sich breit machte und lässig vor sich hin brodelte.

Nun waren auch ihr Vater und Niclas eingetroffen.

Niclas rote Locken schimmerten, als die Sonnenstrahlen, die durch die Fensterscheibe kamen, ihm das Gesicht leckten. Niclas war überhaupt ein sehr hübscher Junge und erschien für seine sieben Jahre unendlich cool. Dass er das nicht war, konnte man erst bei näherem Hinsehen erkennen. Trotzdem, wer das nicht tat, sagte auf der Straße zu ihm, er wäre doch wohl ein wenig zu alt für Pokemon, denn mit zehn spiele man so etwas nicht mehr, … und wenn Mia zum zehnten Mal erklärte, dass ihr Bruder sieben sei, dachten alle, das wäre ein Scherz. Na ja, so war das nun mal, auch wenn es Mia ärgerte, dass ihr Bruder über sie hinüber wuchs.

Niclas setzte sich auch an den Tisch und holte sich gleich einen großen Schöpfer Suppe. Als er Mias leeren Teller sah, wurde er wieder ganz rot. Man konnte genau sehen, dass es ihm nicht das Geringste ausmachte, dass seine Schwester nichts aß. Was Mia auch als äußerst nützlich empfand, denn so gab es keine Fragen, die hätten verraten können, dass Mia nicht sehr begeistert von Marius’ Kochkünsten war. Doch als sich der setzte, sah er sofort, dass Mia nicht aß.

»Früher hat man sich um das Essen gestritten …«, sagte er gedankenverloren. Dann nahm er den Teller und legte ihn in die Abwasch.

Guter Zeitpunkt zum Verduften. Mia stand auf und lief aus dem Raum. Als sie auf die Uhr sah, sprang sie entsetzt auf und ab. Schnell packte sie eine Tasche, die sie sich zurechtgemacht hatte. Eilig schlüpfte sie in ihren Anorak, band sich den kaminroten Schal um und lief aus dem Haus. An der großen Buche vorbei, über die Straße, und dann rechts zur Bushaltestelle abbiegen. Den Weg kannte Mia schon fast auswendig, und als sie in den Abendbus stieg, war Mia plötzlich sehr erschrocken. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie keine Gedanken an ihre Autoangst verschwendet hatte. Dafür fingen die Ängste nun schlagartig zu arbeiten an. Mias Knie schmolzen wie Butter, und fast hätte sie die Station übersehen, an der sie aussteigen musste.

Die vielen Lichter schmolzen zu einem bunten Fleck zusammen. Mia konnte nur die große Aufschrift sehen. HEUTE ZUCKERSCHNECKEN ZUM HALBEN PREIS! ZUGREIFEN! ZACK! Man muss hinzufügen, dass es etwas gibt, für das Mia sterben würde. Zuckerschnecken. Mit traumhaften Gefühlen dachte sie an den rotbraunen knusprigen Teig, auf dem eine Zuckerschicht wie eine Schneespur lag. Plötzlich bekam Mia wilde Gedanken. Sie konnte sich noch genau daran erinnern, wie sie als Kind eine Zuckerschnecke sogar heiraten wollte, oder als sie zum ersten Mal in eine Zuckerschnecke gebissen hatte … Ach, waren das noch Zeiten … Aber eigentlich konnte ihr doch niemand verbieten, während der Beschattung von Misses Brown eine Zuckerschnecke zu mampfen, oder zwei … oder vielleicht auch drei …

Nun konnte sich Mia nicht mehr halten. Sie stürmte die Treppen hoch, und schon stand sie vor der Bäckerei, die sich »Zuckerschnecke« nannte. In der Auslage waren wunderbare Zuckerschnecken aufgelegt. Manche waren normal und andere hatten Mohn auf dem Zucker kleben. Es gab aber auch einige, die bunte Zuckerperlen auf einem Clowngesicht hatten. Daneben lagen ein paar Donuts, und auch Krapfen waren da. Eine limettengrüne Luftschlange zierte die Auslage. Neben dem Ganzen stand ein Schild, auf dem in Kinderschrift stand: Juhu, die große Verkaufskette »Zuckerschnecke« wird 50 Jahre alt! Und alle feiern mit! Darum gibt es unsere Zuckerschnecken schon ab 95 Cent das Stück!

Mia kramte verzweifelt in ihren Taschen herum. Hatte sie Geld dabei? Nein, nur ein Zuckerl, einen zerbrochenen Bleistift und einen Lottoschein vom letzten Jahr. Der Lottoschein war ein wenig ausgebleicht, aber man konnte noch genau sehen, dass er wieder einmal einer von diesen betrügerischen Scheinen war, der nichts gewonnen hatte. Aber vielleicht ist in der Anoraktasche etwas Geld. Mia griff in die große Tasche, doch plötzlich konnte sie Misses Brown ausmachen. Sie stand neben einer Topfpflanze, in einen altrosa Mantel eingewickelt. Ihr Gesicht konnte Mia nicht erkenne, da die Frau gerade auf einem Handy herumtippte. Aber die grünen Krokodillederschuhe und die widerspenstigen Locken waren unverwechselbar.


Misses Brown hielt inne. Hastig sah sie nach links und rechts, ob niemand da war, dann nickte sie zufrieden. Kein Mensch in der großen Halle. Perfekt! Und die Verkäuferin der »Zuckerschnecke« war zu sehr mit einer Dame beschäftigt, die sich nicht zwischen Krapfen und Linzerauge entscheiden konnte. Gut, jetzt die Tat aber schnell ausführen. Eilig zog sie ein Paket aus den breiten Taschen des Mantels und drückte es an ihre Brust. Es roch modrig, aber auch ein wenig nach altem Papier und Orangensaft. Noch einmal sah Misses Brown sich um. Niemand durfte mitbekommen, was in ihrem verschnürten Packerl war. Es war zu wertvoll, zu schmackhaft, um es jemandem zu zeigen. Einige würden den Inhalt anziehend finden, andere würden sofort ihr Mobiltelefon aus den Taschen ziehen und die »133« wählen. Beides wollte sie nicht riskieren. Die Sache wäre dann zwar nicht so geheimnisvoll, aber es würde letztendlich in den Knast führen, und das wollte Misses Brown natürlich ganz und gar nicht. Die Schulärztin wusste genau, was jetzt zu tun war. Sie drückte das Päckchen noch fester an die Brust und hastete dann auf eine Wand zu, die übersäht mit Schließfächern war. Einige waren eingedrückt, aus anderen waren sogar ganze Türen herausgebrochen. In welches Schließfach sollte sie es geben? Schließfach 157 war ausgemacht. Oder doch nicht? Ihr Schädel pochte. Irgendwo muss es doch hängen geblieben sein. Vielleicht ist die Meldung erst ganz hinten in ihrem Gehirn und versucht verzweifelt durchzukommen. »Bitte …«, betete Misses Brown leise, doch als sie einen Wachmann sah, wusste sie, dass es vorbei war.


»Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig …« Mia hielt die Augen geschlossen. Selbst wenn sie wusste, dass Misses Brown etwas Geheimes machte, wollte sie nicht, dass die nette Lehrerin verhaftet wird. Jeden Moment erwartete Mia einen heftigen Wortwechsel, und er kam auch. Allerdings nicht so lang und nicht so heftig, wie Mia ihn sich vorgestellt hatte. Genau genommen war es auch kein sanfter kurzer Redeschwall, sondern ein ganz normales »Guten Abend«.

Erst jetzt konnte Mia die Augen wieder aufmachen. Ein ganzer Haufen von Steinen fiel von ihrem Herzen. Jetzt konnte sie auch ein dumpfes Pochen hören. Es heißt ja »aus dem Bett klopfen«, aber jetzt kam es Mia so vor, als würde es »aus dem Klo klopfen« heißen. Was in einer gewissen Weise auch stimmte, da sie gerade aus der Toilette der Zuckerschneckenbäckerei herausgeklopft wurde.

Eine besorgte Stimme meldete sich: »Kindchen, hast du Durchfall?«

Mia sagte nichts.

Noch einmal stellte sie sich auf den Klodeckel und sah durch das schmale Fenster in die große Halle. Misses Brown war nicht mehr zu sehen. Und auch kein Schließfach war zugesperrt.

»Mist!«, fluchte Mia, und auch die Verkäuferin vor der Klotüre schimpfte laut.

Noch einmal klopfte sie. »Kindchen, wir sperren in zehn Minuten zu. Komm doch bitte aus der Toilette raus.«

Das tat Mia dann auch, war ja klar. Und als sie das Schloss umdrehte, konnte sie ein erleichtertes Stöhnen hören. Die Türe wurde nicht von Mia aufgerissen. Die Verkäuferin kam ihr zuvor.

»Hattest du Durchfall?«, war das Erste, das die Frau fragte.

Mia nickte künstlich und hielt sich die Hände an den Bauch. Dann tat sie so, als müsste sie schnell verschwinden, und auf dem Weg nach draußen schenkte die Verkäuferin ihr noch fünf Zuckerschnecken. Mia schlenderte mit gemischten Gefühlen aus der Bäckerei. Einerseits war das Mädchen froh über die Zuckerschnecken, andererseits hatte sie Misses Brown aus den Augen verloren.

Als Mia den Bus anhalten sah, wurde ihr mulmig zumute. Nein, egal wie spät es war, Mia wollte nicht mit dem Auto fahren. Niemals. Und außerdem hatte der Arzt gesagt, sie sollte sie eingehen. Zwar hatte er damit die Krücken gemeint, nicht die Füße. Aber das war ja egal. Hauptsache, sie musste nicht in ein Auto steigen. Mia ging weiter. Irgendwann meldeten ihre Füße, dass sie doch noch nicht verheilt waren, wie Mia gedacht hatte. Es ärgerte sie ein wenig, dass der mürrische Doktor doch recht behielt, aber das ließ sie weder ein Taxi nehmen, noch zurücklaufen und auf den nächsten Bus warten. Und überhaupt hatte Mia ja kein Geld für ein Taxi.

Also lief sie weiter, um so zu tun, als wäre alles ganz normal.

Nur gab es da noch etwas, das Mia störte. Die Gassen wurden immer enger, einige Straßenlampen, die sowieso nur fahles Licht brachten, waren ausgefallen, und immer mehr Schatten huschten über die Straßen. Manche Häuser waren zerfallen oder hatten keine Türen und Fenster mehr. Mia wusste, wo sie war. Mit dem Bus war sie früher immer an dieser Gegend vorbeigefahren. Mit roten Bäckchen war sie im Bus gesessen, ihre Mutter hatte sie auf dem Schoß gehabt, und immer, wenn sie an einem dieser Häuser vorbeifuhren, hatte Marta gemurmelt: »Mia, versprich mir, dass du niemals in dieser Gegend spazieren gehst. Dort leben zigtausend von Leuten, die Böses im Schilde führen.« Mia hatte bei diesem Satz immer zu weinen begonnen und sich gefreut, wenn ihre Mutter sie getröstet hatte.

Jetzt gab es niemanden, der sie trösten konnte. Salzige Tränen liefen ihr übers Gesicht. Was sollte sie tun? Mia kauerte sich neben eine Mülltonne. Eine schwarz-weiße Katze sprang erschrocken auf. Sie fauchte Mia wütend an und verschwand dann hinter einer Hecke. Eine benützte Windel lag auf dem Strauch, der keine Blätter mehr hatte. Es stank erbärmlich, und wäre es Tag gewesen, hätte sie sofort ihre Biolehrerin geholt und große Aufräum-Partien gemacht. Aber es war nicht Tag, sondern stockfinstere Nacht. Warum war Mia so blöd gewesen und hatte kein Handy mitgenommen? Sie wusste es nicht.

Plötzlich sah sie eine Gestalt auf sie zukommen. Mia verkroch sich sofort hinter einer Mülltonne, die völlig überfüllt war. Die Gestalt stand nur noch einige Meter von ihr entfernt. Das Licht einer Lampe fiel auf seinen Kopf. Ihn schien das gewaltig zu stören, und er schimpfte wütend. Es war eine andere Sprache. Eine Sprache, die Mia nicht kannte. So aus dem Gefühl heraus würde sie sagen, dass es Russisch war, aber das konnte Mia nicht genau sagen. Plötzlich machte der Mann eine tollpatschige Bewegung. Licht fiel auf sein Gesicht, und Mia konnte eine krumme Nase erkennen. Mit dem linken Auge schielte der Mann, und unter seinem rechten klafften zwei Narben. Seine Lippen waren trocken und rissig. Mia hatte dieses Gesicht zwar noch nie gesehen, aber der Mann hatte die gleiche athletische Gestalt, wie der Herr aus dem Turnsaalgang. Der Mann sagte noch etwas, und dann ging ein Fenster in einem verfallenen Haus auf. Ein Lockenschopf tauchte auf, und Mia konnte sofort erkennen, wer es war. Misses Brown.

Dass die Lehrerin in so einer verfallenen Gegend wohnt, hatte sich Mia nicht gedacht. Misses Brown verdiente viel Geld als Schulärztin und nebenbei auch als Krankenschwester. Wie konnte man sich mit so viel Geld so ein Haus kaufen?

Doch das war Mia jetzt egal. Sie musste hier weg! Und zwar schnell. Mia machte sich zum Laufen bereit. Und als der Mann sich umdrehte, schoss Mia aus ihrem Versteck. Doch der Mann sah sie. Und Mia war viel zu langsam. Der Schmerz pochte in ihrem Bein. Hinter sich konnte das Mädchen Schritte hören. Oh nein, kam er etwa hinterher?

Fest entschlossen drehte Mia sich nicht um. Das wäre wahrscheinlich auch der größte Fehler ihres Lebens gewesen: Sie hätte die kaputte Wäscheleine nicht gesehen und wäre gestolpert und gestürzt. Doch Mia sah nicht nach hinten. Und konnte so die Wäscheleine früh genug ausmachen.

Mia duckte sich und lief weiter. Hinter ihr schrie jemand. Ja! Mia drehte sich um. Da lag unter der Wäscheleine der Mann und über ihm Misses Brown. Das war Mias Chance. Das Mädchen lief weiter und sprang dann über einen kleinen Zaun. Sie stand in einem verlassenen Garten. Überall lagen zerbrochene Gartenzwerge und kaputte Rechen. Die Blumen waren zertreten, doch es gab genug Büsche, in denen sich Mia verkriechen konnte. Und das tat sie auch. Aus ihrer Tasche zog sie eine kleine Taschenlampe. Die Batterie war schon fast leer, aber sie spendete gerade genug Licht, um einen Busch zu finden, der ein gutes Schlafplätzchen abgeben könnte. Mia leuchtete in die Dunkelheit. Nun konnte sie die Gartenzwerge noch viel besser erkennen, und auch ein Busch war zu finden. Er war groß und gab ein großes Dach ab. Darunter war alles mit Moos bewachsen. Mia legte sich hinein. Sie bewunderte sich selbst für ihren Mut. Es war so merkwürdig, dass sie nicht in Panik ausbrach, als sie Misses Brown sah. Mia hatte einfach die Augen zusammengekniffen und sich tiefer in das Moos gelegt. Zum Glück kamen Misses Brown und ihr Gefährte nicht auf die Idee, dass Mia im Busch versteckt lag. Und irgendwann waren sie dann abgezogen. Mia wusste nicht, wann genau, aber es muss schon früh am Morgen gewesen sein, als sie einschlief.

Die ersten Sonnenstrahlen weckten sie. Eine Kirchturmuhr schlug gerade drei viertel sechs. Mia rappelte sich auf und sah mit Schrecken, dass sie sich noch immer im Garten befand. In ihrem Traum war sie in der Schule gewesen. Alles war ganz normal, und Misses Brown hatte nie etwas getan. Doro und Felix haben mit ihr über die Jungs geredet, und Falco war bei Mike und Sam gestanden und hatte Spielkarten getauscht. Alles war ganz normal.

Mia lugte durch die Blätter, ob alles okay war, dann sprang sie aus dem Busch. Blätter hatten sich in ihren Haaren verfangen, und ihre Kleidung war erdig. Sie klopfte sich die Erde ab und sprang dann über den Zaun auf die Straße. Erst jetzt konnte Mia erkennen, dass die Wände der Häuser mit Graffitis beschmiert waren. Es standen Sprüche wie: DIE DEUTSCHEN HABEN EIN KLEINES HIRN oder I LOVE MY MOTHER, darauf. Es gab auch Sprüche, die so pervers waren, dass Mia sie gar nicht lesen wollte. Sie schlenderte langsam die Straße hinunter. An einer Straßenecke sah sie einen ausgebrannten Schuhladen. Das Einzige, das in dem kohlschwarzen Raum noch zu erkennen war, war eine Holzleiste, auf der »NEROs SPORTSCHUHE« stand. Mia blieb eine Weile stehen, doch als sich die Kirche meldete und in die Welt schrie, es wäre schon sechs, packte Mia ihre sieben Sachen, wenn es auch nicht sieben waren, und lief zum Ende der Gasse. Schon von Weitem konnte sie das rote Schild erkennen. Es stand ganz einfach auf einem SAUBEREN Gehsteig und kündigte etwas an, was Mia mehr freute als ein Gamecube einfach so zum Wochenende. Was? Ganz einfach: BUSHALTESTELLE.


Ungeduldig klopfte Misses Brown auf das Lenkrad. Der Stau war nicht auszuhalten, und sie musste doch pünktlich zu einer Lehrerversammlung. Endlich schlug die Ampel auf Grün, und die Autos vor ihr begannen vorzufahren. »Na, endlich!«, sagte die Frau entnervt und sah in den Rückspiegel. Ein rotbrauner Bus wartete darauf, dass sie endlich weiterfuhr. Er hupte laut, und Misses Brown konnte einen dicken Fahrer mit Doppelkinn sehen, der ihr wütende Zeichen gab, sie sollte weiterfahren. Doch Misses Brown hatte schon Gefallen daran gefunden, den Busfahrer zu nerven. Sie blieb prompt stehen und hupte sechs Mal in solchen Abständen, dass es eine Hupmelodie ergab. Wer genauer hinhorchte, konnte rausfinden, dass die Melodie »Nähnähnähnähnääähnääähh« ergab. Der Busfahrer hörte es nicht, aber er machte ein finsteres Gesicht und überholte sie dann. Misses Brown kicherte, wie sie es immer tat, wenn sie etwas lustig fand. Doch als sie das Gesicht am Fenster sah, stockte sie. War das nicht …?


Eilig rannte Mia die Stufen zu der Klasse hinauf. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihrer Magenhöhle breit. Sie war eine halbe Stunde zu spät. Irgendein alter Honda vor ihrem Bus hatte den Verkehr aufgehalten. Und dann hatte er auch noch so gehupt, dass »nähnähnähnääähnääh« rauskam. Unverschämt! Und wegen dieses Hondas war sie zu spät. Mia lief an den vielen Türen des Gymnasiums vorbei. Dann fand sie endlich die Türe zur 3C. Die Farbe war bereits abgekratzt, und die Türklinke war rostig und funktionierte nicht mehr richtig. In dem Raum konnte Mia einen Lehrer hören. Er erklärte bestimmte Matheformeln, allerdings war das Tuscheln so laut, dass man es sogar durch die Türe hörte. Oh nein, wenn sie dem Mathelehrer jetzt erklären musste, dass sie zu spät gekommen war, würde der Lehrer es ihr ewig unter die Nase reiben. Das wollte sie nicht riskieren, denn jeder, der in seinem Unterricht zu spät kommt, wird »Mister« oder »Misses ichbinsopünktlich« genannt.

Mia öffnete die Türe. Der Lehrer schrieb gerade etwas auf die Tafel. So konnte das Mädchen schnell an ihm vorbei huschen und sich auf den Platz neben Falco setzten. Er sah sie fragend an. Dann schob er ihr einen Zettel zu. Hast du Misses Brown gesehen??? (Bitte antworten!!!)

Mia nickte und schrieb auf den Zettel: Ja, ich muss dir in der Pause viel erzählen!!!

Dann versuchte sie, sich mit den Matheformeln auseinanderzusetzten. Es klappte. Und Gott sei Dank musste Mia nicht an die Tafel.

Falco konnte das Klingeln kaum erwarten. Als die Schulglocke endlich läutete, sprang er sofort auf seine Cousine zu. »Erzähl schon!«, sagte er ungeduldig, und Mia begann, ihm von den Ereignissen zu erzählen. Auch Dorothy und Felizitas waren angerückt.

»Wisst ihr was, wir gehen heute Nachmittag zur alten Mühle!«, sagte Felix schließlich und Doro nickte eifrig.

Auch Falco hatte nichts dagegen, denn er wollte unbedingt wissen, wieso Misses Brown so komische Sachen machte.

Die Einzige, die etwas dagegen einzuwenden hatte, war Mia. Sie hatte schreckliche Angst vor dem schielenden Mann und ein wenig auch vor Misses Brown. »Aber Misses Brown hat doch gesagt, dass wir nicht zur Mühle dürfen!«, meldete sie sich kleinlaut.

Doro sah sie strafend an. »Mia, wir alle haben Angst, aber was ist, wenn Misses Brown gefährliche Dinge spielt? Und außerdem, wozu gibt es denn Handys? Zum Anrufen, wenn etwas passiert! Also ziehen wir das durch! Ja?«

Mia konnte nicht anders. Wütend schrie sie ihre drei Freunde an: »Aha! Ihr wollt also, dass unsere Schule ungeschoren bleibt, aber um euer Leben scheißt ihr euch nicht! Ich sag es euch noch einmal, der schielende Mann ist gefährlich! Er hat einen gut trainierten Körper! Der kann uns alle gleichzeitig erwürgen! Und außerdem haben wir nichts, mit dem wir uns wehren können! Stimmt’s oder hab ich Recht?«

Felix wurde plötzlich ganz blass. Wie in der Schule zeigte sie auf. Falco nickte, und sie durfte reden: »Was ist, wenn Mia Recht hat? Sollten wir nicht besser die Polizei rufen?«, doch Falco schüttelte verärgert den Kopf, und auch Doro ließ sich nicht von der Idee abbringen.

»Wir ziehen es durch! Egal, ob ihr Würstel Angst habt!«, rief Falco, und Doro nickte eifrig.

Beleidigt war Mia abgezogen, und Felix lief ihr hinterher. Mia konnte gerade noch in eine Zuckerschnecke beißen, bevor es klingelte. Sie war hart und schmeckte nach nichts. Wie konnte eine Zuckerschnecke so schnell hart werden? Wenn Mia Lust hätte, könnte sie Mike damit ein Loch in den Kopf schießen. Für all seine peinlichen Scherze. Aber bevor Mia werfen konnte, kam auch schon der Deutschlehrer Mister Monk in die Klasse.


Mia hätte nie gedacht, dass sie sich noch einmal dem See nähern würde. Doch das musste sie ja tun. Falco hatte es bestimmt, und der schritt jetzt kampfwillig voran. Hinter den Bäumen sah Mia das schwarze Wasser des Sees. Es war braun und verschlang scheinbar alles um sich herum.

Dann gab es da noch die alte verfallene Mühle. Früher hatten Kinder darin gespielt. Irgendwann, vor circa einem Jahr, stürzte anscheinend ein Teil von ihr ein, und ein Kind starb darin. Seitdem wurde die Mühle von allen gemieden. Niemand aus Mias Schule hatte das Kind gekannt, trotzdem bekamen alle immer eine Gänsehaut, wenn sie sich zum Baden an den See verabredeten. Nun lief Mia aber ein noch stärkerer Schauer über den Rücken. Denn nun musste sie in die Mühle hineingehen.

Mia war nicht mehr in die Mühle gegangen, seit sie sechs war. Das war vor sechs Jahren, aber Mia konnte sich noch genau an das »Mühlen erforschen« erinnern. Selbst die Kleinsten sprangen über Abgründe und kletterten über Steine, um zu dem geheimen Raum beim Mühlrad zu kommen. Dort bewahrten alle Kinder aus dem Dorf ihre Spielsachen auf, und es war ihr geheimer Rückzugsbereich. Auch Mia hatte ein paar ihrer Barbies in der Mühle gelassen. Dieser Bereich war früher auch bei den reichen Kindern wohl bekannt. In der Mühle konnten sie all ihre Manieren ablegen und herumtollen, mit anderen Kindern spielen und die Gegensätze »arm und reich« vergessen. Es war der Lieblingsort aller Kinder und Stofftiere.

Mia seufzte. Wie schön das doch gewesen war. Ihre ältere Schwester Linz, die jetzt in Frankreich das Abitur machte, hatte sie dorthin gebracht. Und Mia hatte dann auch Niclas an den Ort gebracht, und dort hatte sie Felix und Doro kennen gelernt. Oh, wie wunderbar!

Aber jetzt war alles anders. Kein Kindergekreische mehr bei der Mühle. Kein Jammern und auch nicht die Worte »Ich kann es nicht«.


Falco ging voraus. Immer die Brust oben und den Kopf gerade. Er zeigte keine Angst, doch er wirkte etwas nervös. Doro ging an seiner Seite. Auch sie war nervös, und außerdem zitterten ihre Knie wie verrückt. In der Hand hielt sie ein Handy fest umklammert. Neben Mia schlenderte Felix. Das Mädchen war rot, und jedes Haar stand von ihrem Körper ab. Sie hatte genau so viel Angst wie Mia. Und zögerte auch ein wenig, als Falco ihr deutete, die Mühle zu betreten.

In der alten Mühle war es stockdunkel. Falco griff sofort nach seiner Taschenlampe und schwenkte sie durch den Raum. Spinnen hatten ihre Netze durch den Raum gezogen, und auf den Säcken im Raum lag zentimeterdicker Staub. »Kommt«, flüsterte Falco und deutete seinen Freunden mitzukommen. Die vier kletterten über einen großen Steinhaufen, und alles verlief reibungslos, doch dann passierte es.

»Hilfe!«, rief Doro plötzlich und kullerte die Steine hinunter.

Falco konnte sie gerade noch am Arm packen und ihr zu sich helfen.

Ihr Gesicht war angstverzerrt, und sie murmelte nur noch: »Ich will hier raus!«

Doch Falco schien das wütend zu machen. »Du gehst gefälligst weiter!«, brüllte er sie an und zog sie noch zwei Steine nach oben.

Doro weinte. »Ja, ja«, schluchzte sie. Und rappelte sich auf.

Um zu zeigen, dass sie es konnte, kletterte sie alleine noch ein paar Steine nach oben. Und dann konnte sie ein Ende des Steinhaufens erkennen. Mia sah es auch und robbte sogleich an der schniefenden Dorothy vorbei auf die Spitze des Steinhaufens. Sie sah nach unten und traute ihren Augen kaum.

In dem Raum standen nichts als ein paar Maschinen und eine Wäscheleine, an der Geldscheine aufgehängt waren. Das war doch nicht so außergewöhnlich, oder? Was Mia irritierte, war nur, dass die Maschinen neu waren. Im Gegensatz zu allem anderen waren sie nicht staubig, sondern sehr sauber.

»Doro, lauf nach draußen und hol die Polizei!«, sagte Falco eindringlich, als auch er die Maschinen sehen konnte.

Das Mädchen kletterte so schnell wie möglich den Steinhaufen runter und lief zum Ausgang.

Es hatte gerade einmal ein paar Minuten gedauert. Mia wunderte sich aber nicht, dass ihre Freundin das so schnell schaffte.

»Wow, das ist das letzte Mal, dass wir so etwas sehen«, sagte Falco.

Und Felix begann plötzlich zu erklären: »Das ist eine Geldwäscherei, Leute! Man kann damit Geld drucken! Schaut euch das einmal an. Das wird vielleicht das letzte Mal sein, dass wir so etwas sehen.«

Eine Stimme hinter ihnen meldete sich zu Wort. »Das glaube ich auch«, sagte sie und lachte höhnisch.

Dann kam ein schielender Mann aus der Ecke. Mit ein paar geschickten Handbewegungen packte er die drei Freunde am Kragen. Falco versuchte sich zu wehren, doch der Mann schnappte ein Taschentuch aus seiner Tasche und hielt es Falco vor die Nase. Allmählich wurden seine Bewegungen schwächer, und dann wurde er leblos wie eine Puppe. Aus einer anderen Ecke kam Misses Brown. Sie hatte noch zwei Taschentücher in der Hand und hielt eines Mia und ein anderes Felix auf den Mund.


So lange hatte Mia noch nie die Luft angehalten. Es waren sicher vier Minuten gewesen, bis Misses Brown das Taschentuch entfernt hatte und Mia endlich wieder normal atmen konnte. Das gleichmäßige Atmen ihrer Freunde ließ sie beruhigt aufatmen. Es war also nur Betäubungsmittel gewesen. Mia musste auch für eine Weile das Bewusstsein verloren haben. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie gefesselt worden war. Aber jetzt spürte sie die Fesseln umso stärker. Sie bohrten sich in ihre Haut und ließen sie stöhnen. Ein verräterisches Stöhnen. Was hatte sie getan? Ein klickernder Stöckelschuh verriet, dass sich Misses Brown näherte. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, dass die Frau direkt vor ihr Halt machte.

»Aahh, Mia! Als hätte ich es nicht gewusst. Du bist immer die mit den guten Ideen. Und da du die Luft angehalten hast, schätze ich, dass du uns behilflich sein willst. Das geht nur nicht so einfach …«

Mia sah sie hart an und überwand sich, dann auch etwas zu sagen. »Nein, ihr seid Gauner! Geldfälscher! Ich werde euch nicht helfen!«, schrie sie anfangs noch sehr leise.

Misses Brown sah sie spöttisch an. Dann zog sie ein Messer aus ihrem Mantel und fuhr mit dem Finger über die Klinge. Dann sagte sie erklärend: »Kindchen, weißt du, was das ist? Kein Buttermesser etwa.« Sie strich noch einmal über das Silber des Messers. »Mit diesem Messer kann man auch nicht gut Paprika schneiden. Dafür eignet es sich aber gut, um schöne Muster ins Gesicht zu sticken. Von einem Schönheitschirurgen leicht zu entfernen. Aber warte einmal. Ein Freund aus Afrika hat mir ein Muster beigebracht, das sich gar nicht entfernen lässt!« Sie nahm ihr Messer und hielt es Mia an die Wange.

Tränen schossen Mia aus den Augen. Was sollte sie machen? Plötzlich fiel Mia etwas ein. »Na gut«, sagte sie leise.

Misses Brown lachte. Dann befreite sie Mia aus ihren Fesseln. Sie drückte dem Mädchen das Messer in die Hand und zeigte auf Felix und Falco. »Sie schlafen fest. Das ist jetzt die perfekte Zeit, sie zu beseitigen. Du hast richtig gehört. Ich will, dass du sie umlegst«, sagte Misses Brown und sah gewinnerisch zu Mia hinunter. Dann warf sie dem schielenden Mann erfreute Blicke zu und sah Mia auffordernd an.

Jetzt heißt es schnell reagieren, dachte Mia und griff mit ihrer freien Hand in die Tasche. Ohne den schielenden Mann und dem Messer war Misses Brown hilflos. Aber wie sollte sie den Mann wegbekommen? Die Antwort ging schnell. Ein Griff in ihre Tasche und Mia wusste, was zu tun war. Sie zog eine gelbe Papiertüte hervor und griff hinein. Zwei steinharte Zuckerschnecken kamen zum Vorschein. Mia zielte und schoss, ohne nachzudenken. Sie traf den schielenden Mann voll auf dem Hinterkopf. Wie in Trance stürzte er zu Boden und blieb bewusstlos liegen.

Misses Brown sah ganz verdattert drein, doch als sie eine Pistole hervorzog, wusste Mia, dass es zu spät war. Misses Brown grinste und hielt ihre Pistole auf Mia. Sie wollte schon abdrücken, als plötzlich jemand ihre Hände nach hinten zog. Die Pistole flog aus ihrer Hand und rutschte über den Boden.

»Örtliche Polizei hier! Sie sind verhaftet!« Eine Reihe von Polizisten kletterte über den Steinhaufen. Die Handschellen klickten gleich zweimal.

Und als Mia Doro sah, war sie überglücklich. »Du hast mein Leben gerettet!«, rief sie und umarmte ihre Freundin.

Doch Dorothy schüttelte nur kurz mit dem Kopf. »Nein, wer anderer hat dich vor dem Tod bewahrt.« Sie zeigte auf eine Gestalt, und als die in das Licht trat, konnte Mia es nicht glauben. Der Junge hatte also ihr Leben gerettet!? Falco!?


Zum Essen gab es endlich einmal etwas gutes Vegetarisches. Junges Gemüse und Spaghetti mit Tomatensoße. Auch Fleisch wurde gegrillt, aber das aß Mia nicht. Als sich das Mädchen mit ihren Nudeln und einem Schälchen Kartoffelsalat an den Tisch setzte, kam der Hauptkommissar und setzte sich zu ihr.

»Das Fest ist wirklich spitze!«, sagte er und erzählte ihr, dass er jetzt so einiges wusste. Zum Beispiel, dass die Schulärztin, als sie die Hand auf dem Rücken hatte, ein Paket von ihrem Partner Mister Smith, »oder wie du ihn nennst, ›der Mann mit dem schielenden Auge‹«, versteckte. In diesem Paket war das Geld, das sie ihrem Chef in dem Schließfach 157 übergeben musste. Das Geld war natürlich gefälscht. Und in der alten Mühle hatten sie das Geld gedruckt. Den Vorfall in der alten Mühle, bei dem ein Kind gestorben war, hatten sie nur erfunden, um die Kinder von der Mühle fern zu halten. »Als du, Doro und Felix in der Nacht baden gehen wolltet, haben sie gerade Geld gedruckt. Deshalb ist Mister Smith zu dir gegangen und hat dir ein Bein gestellt.«

Bei dieser Stelle musste Mia etwas fragen: »Warum haben Doro und Felix es dann zur Mühle geschafft?«

Der Kommissar sagte: »Das Gaunerpärchen wusste, dass die beiden es nie bemerken würden, da sie auf der anderen Seite auf dich warteten. Sie haben sich nicht alleine zur Mühle getraut. Eigentlich hätte Mister Smith euch ja auf eurem Weg überraschen können, aber das wäre zu auffallend gewesen, also hat er dir einfach das Bein gestellt.«

Dann kamen auch Doro, Felix und Falco an den Tisch.

Der Kommissar bedankte sich und fragte sie dann: »Ihr seid jetzt sehr berühmt. Und wie ich euch Kinder kenne, wollt ihr mit dem Verbrecherjagen nicht so schnell Ruhe geben. Habt ihr den schon einen Bandennamen wie die Knickerbocker-Bande?«

Die Antwort kam einstimmig. Eigentlich hatten die vier sich noch keinen Namen ausgesucht, aber ein Blick genügte, und alle vier wussten, wie sie sich ab jetzt nannten:

DIE ZUCKERSCHNECKEN!