Teresa Beer (11)

Vorbei

»Benni, hilfst du mir bitte mal beim Aufräumen!«, rief die Mutter Benjamin zu. »Du weißt ja, dein großer Bruder Bernhard bekommt heute Besuch von seinem Schulfreund, und hier sieht es entsetzlich aus!«

Benjamin ging noch in den Kindergarten, doch heute war er zu Hause, denn er hatte Halsweh und Schnupfen. Das haben viele Kinder im Dezember, wo draußen schon Schnee liegt und es bitterkalt ist.

Doch Benni hatte überhaupt keine Lust, seiner Mutter zu helfen. Er freute sich auch nicht auf Nachmittag, denn er fand den Schulfreund seines Bruders total doof und eingebildet. Außerdem fand es dieser schön, kleine Kinder zu ärgern. Aber schließlich half er seiner Mutter doch, er konnte sie doch nicht alles alleine machen lassen.

Pünktlich um zehn nach zwölf klingelte es an der Haustür. Bennis Mutter hatte Pizza gemacht.

Während der Mahlzeit sagte Bernhard: »Mama, wir haben heute gar keine Hausaufgabe. Der Lehrer hat es vergessen.«

»Super, dann könnt ihr ja gleich zu spielen beginnen. Aber bitte lasst Benni auch mitspielen«, erwiderte die Mutter.

Benjamin sah, dass es Ralph, dem Freund seines Bruders, nicht recht war, doch der sagte nichts. Also zog sich Benni nach dem Essen in sein Zimmer zurück, denn er wollte die beiden nicht stören. Er war eben ein lieber Bruder.

Benni beschloss, etwas für seine Eltern für Weihnachten zu malen. Doch er fand seine Buntstifte nicht. Da fiel ihm ein, dass die Buntstifte bei Bernhard waren. Nun musste er also doch stören. »Ich werde mich halt beeilen«, dachte er.

Als er die Tür zu Bernhards Zimmer öffnete, hörte er Ralph gerade sagen: »Und, haben deine Eltern auch schon Geschenke eingekauft? Also, ich habe schon ein ferngesteuertes Flugzeug, ein Schlauchboot und eine DVD in einem Kasten entdeckt.« Mehr sagte er nicht, denn Bernhard hatte ihm einen Blick zugeworfen, der hieß, halt den Mund, mein kleiner Bruder glaubt noch ans Christkind.

Auf Ralphs Mund breitete sich plötzlich ein Lächeln aus und er sagte: »Hallo Benni, was brauchst du denn?«

»Ich brauche nur meine Buntstifte. Ich hoffe, das Christkind bringt mir neue, denn diese habe ich schon sehr lange«, antwortete Benni, als er die Stifte aus der Lade nahm.

»Du kannst ja mal nachsehen, ob deine Eltern dir schon neue Stifte gekauft haben«, sagte Ralph genüsslich.

Benni fielen die Stifte fast aus der Hand. »Das stimmt ja gar nicht. Das Christkind bringt die Geschenke und niemand anderer. Ich habe schon immer gewusst, dass du blöd und gemein bist. Und außerdem, wo sollten meine Eltern überhaupt so etwas verstecken?«, schrie Benni ihn an.

Bernhard war ziemlich unruhig geworden. Er wollte nicht, dass Benni wusste, dass es kein Christkind gab. Es ist ja schön, ans Christkind zu glauben. Ja, Benni sollte es auch erst in der Schule erfahren, so wie er selbst. Bernhard warf Ralph ein paar Blicke zu, die heißen sollten: Halte bitte den Mund.

Ralf bemerkte zwar die Blicke, aber er sagte: »In irgendeinem Kasten natürlich. Bist du etwa noch nie auf diese Idee gekommen? Das weiß doch jedes Baby.«

Das war zu viel für Bernhard, und er sagte zu Benni: »Höre nicht auf Ralf. Er ist ziemlich gut im Geschichtenausdenken. In Deutsch hat er immer einen Einser, weil er so gute Geschichten schreibt.«

»Genau, ich höre nicht auf dich, du blöder Lügenbolzen«, rief Benni und knallte die Tür zu.

In seinem Zimmer malte er sein Bild, doch das, was Ralf gesagt hatte, ließ ihn nicht in Ruhe.

Am späten Nachmittag rief die Mutter plötzlich hinter Bennis Tür: »Wir fahren nur kurz weg, um Ralf heimzubringen, okay Benni? Ich komme auch gleich wieder!« Dann hörte Benni die Haustüre ins Schloss fallen, und er war allein. Irgendwie wirkten die Kästen plötzlich wie ein Magnet, die ihn anzogen. Obwohl er gar nicht nachschauen wollte, tat er es schließlich doch. »Ich schaue einfach nur nach, damit ich beweisen kann, dass Ralf Unrecht hat«, sagte er zu sich selbst. Er ging von Kasten zu Kasten, und bei jedem Kasten stieg seine gute Laune an, denn es waren bis jetzt keine Geschenke darin. Doch beim letzten Kasten sah er genau das, was er nicht sehen wollte, oder wollte er doch? In dem Kasten lagen: eine ganze Packung neuer Buntstifte und noch einige andere Sachen, die er auf den Wunschzettel geschrieben hatte. Zwei Gefühle überströmten ihn gleichzeitig. Einerseits Glück, weil er seine Sachen bekam, die er haben wollte. Und andererseits Unglück, weil er jetzt wusste, dass es wirklich kein Christkind gab. Der Traum vom Christkind war ganz plötzlich zerplatzt wie eine Seifenblase.

Er setzte sich auf sein Bett und dachte nach.

So fand ihn die Mutter, als sie mit Bernhard heimkam: »Was ist denn los, Benni? Du siehst ja ganz blass aus. Komm, wir gehen mal in die Küche und machen ein gutes Abendessen.«

Sie ging in die Küche, und Benni mit ihr.