Christine Weber (14)

 

Ein Brief

 

Sie saß auf der Bank.

In sich versunken, schwach und zerbrechlich.

Sie zitterte und hatte den Kopf auf beide Hände gestützt.

Ein Häufchen Elend auf einer Parkbank.

Neben ihr lag ein Brief. Er sah so aus, als wäre er schon sehr oft gelesen worden.

Das eng beschriebene Blatt Papier. Einmal war es weiß gewesen – jetzt war es zerknittert, nass und schmutzig.

Die Tinte darauf verschwamm durch den Regen, der beharrlich auf das Blatt niederprasselte, als hätte er zum Ziel, es vollständig verschwinden zu lassen.

Das Mädchen bewegte sich leicht.

Vielleicht war dieser Brief an ihrem Entschluss schuld, wahrscheinlich aber wäre es auch ohne dieses zerknitterte Blatt so gekommen.

Nur nicht so schnell.

Ich werde sterben, dachte sie, aber es ist gut so.

Mit dieser Krankheit hat mein Leben keinen Sinn. Sie wird mich töten.

Vielleicht finden sie den Brief – vielleicht nicht.

Warum habe ich ihn überhaupt geschrieben? Er ist die Fessel, die mich zwingt, das jetzt zu tun. Gibt es wirklich keinen Ausweg?

Es ist zu spät.

Der Regen fällt weiter.

Ein leichter Luftzug strich über das Gesicht des Mädchens – ließ den Brief flattern.

Es war kalt.

Das Mädchen zog die Beine an den schlotternden Körper und horchte.

Sie hörte das Rauschen des nahen Flusses. Kalt und tödlich erschien es ihr.

Sie öffnete die Augen und sah durch den Tränenschleier hinüber zur Brücke.

Wie unter Zwang stand sie auf.

Dort wo sie eben noch gesessen hatte, blieb jetzt nur mehr ein kleiner, trockener Fleck auf der Bank zurück. Doch der Regen fiel unablässig weiter, und bald würde auch diese letzte Spur verschwinden.

Nichts würde dann mehr an die trostlose Gestalt erinnern, die da einmal gesessen war.

... nur der aufgeweichte Brief vielleicht, der an allem schuld war.

Die Wolken zogen über den Himmel. Kalt und dunkel kamen sie ihr vor. Bedrückend, beengend. Wie in einem Gefängnis – einem Ort, dem man nicht entfliehen konnte, wohin man auch ging.

Immer waren sie da: die Wolken, die die Seele bedrückten und jegliche Fröhlichkeit hinter ihren nassen, schwarzen Vorhängen verschwinden ließen.

Der Regen fiel.

Der kalte Schein der verdeckten Sonne beleuchtete den dürren und ausgemergelten Körper des Mädchens. Eine eingefallene Gestalt.

Nass, mit strähnigen Haaren.

Es schien, als stehe dort ein Baum. Uralt und weise.

Dann machte die Gestalt einen Schritt auf die Brücke zu. Kraftlos.

Sie spürte die festen Holzbretter unter ihren nackten Füssen.

Sie hörte den Regen und den Fluss, roch die schlammige Regenluft.

Regen streichelte ihr Gesicht.

Es war zu spät.

Müde ...... sie wollte schlafen.

Alles um sich herum vergessen – geschehen lassen, ohne sie.

Langsam drehte sie sich um und sah zurück zur Bank.

Weit weg lag der Brief.

Und vor ihr die Brücke und der Fluss. Sie war entschlossen.

Mit geschlossenen Augen ließ sie sich fallen.

Nichts hielt sie mehr.