Sarah Preyer (17)

Adonis

Das Licht des vollen, gelben Mondes spiegelt sich auf dem regennassen Gehsteig, direkt vor dem Künstlerausgang des Theaters.

Adonis tritt daraus hervor und nimmt den lauen Regenduft des Abends tief in sich auf.

Durch diese Geste verstärkt er sein unglaubliches Gefühl des Sieges.

Zum letzten Mal hat seine Oper stattgefunden, und er glänzend gearbeitet.

Nun macht er sich, überschäumend vor Glück, auf den Weg zu seinem Hotel.

In jedem Paar Augen, welches ihm begegnet, meint er Bewunderung und Anerkennung zu lesen. In seinen Lackschuhen schwebt er an Juweliergeschäften und Kristallwelten vorbei und strahlt mit deren Kostbarkeiten um die Wette. Adonis kann gar nicht anders, als stehenzubleiben, um sein Antlitz zu betrachten, welches sich in einer Weinkaraffe spiegelt.

Doch je näher er dem Hoteleingang kommt, desto blasser wird das Glühen in seinen schwarzen Augen. Immer wieder ruft er sich die letzten Klänge des Finales ins Gedächtnis, das Schweigen des Publikums und dann den tosenden Applaus, der die elektrisierte Luft mit Jubelrufen zerriß. Wie ihm von den Frauen schmachtende Blicke zugeworfen worden waren. Dann der Abschied, noch einmal das Umschlingen von zuckersüßen Komplimenten, die er sich auf der Zunge zergehen ließ. Und schlußendlich die Abschiedsfeier, mit prickelndem Sekt und der Stimmungsumwandlung von höchster Freude in tiefste Melancholie, bis schließlich dem allen ein Ende bereitet wurde, und Adonis aufbrach.

Irgendwie wird die Straße von Schritt zu Schritt grauer.

Langsam spürt der Körper, in den Adonis gerade geschlüpft, ist wie dieser versucht, eigenständig zu werden und ihn zu verlassen. Er weigert sich, will diesen ruhmsüchtigen Engel behalten, welchen jeder liebt und vergöttert.

Adonis wird ungeduldig, greint, hat keine Lust, dem Weg zu folgen, der immer unbelebter wird. Er hält es nicht mehr aus, zerrt sich kurz vor der letzten Biegung aus seinem Gefängnis und trampelt die letzten Nachwehen des Erfolges nieder.

Der verlassene Körper schreitet auf die Hoteltür zu. Erinnert sich noch einmal. Findet doch nur ein schwarzes Loch. Und mit den Worten des Portiers "Guten Abend, Herr Altenburger!" verschwindet er in der Wirklichkeit des Hoteleinganges.