Romana Pattis (15)

BERÜHRUNG

 

Dort war ich. Nun, da ich hier bin, zieht mich eine immer stärker werdende Sehnsucht dorthin zurück, wo ich gewesen war für diese kurzen Momente, die ich sorgfältig und voll freudigem Entzücken in meiner Erinnerung einbettete, um sie jederzeit dankbar hervorholen zu können, wenn ich auf den harten Steinen dieses Lebens zu zerbersten drohe.

Mut schöpfe ich aus ihnen. Den unendlich beglückenden Mut, der hilft, entdeckte Wege zu gehen oder alte wiederzufinden, sie neu zu beschildern und somit Klarheit im Wirrwarr meiner Seele zu schaffen.

Ein zufriedenes Kribbeln breitet sich von den Winkeln meines Mundes über das Gesicht aus, und ich lasse mich davon überwältigen, weiche ihm nicht aus, stelle keine Schranke, wehre mich nicht. Genieße nur das langsame Verändern meiner Gesichtszüge, welches scheinbar ohne Kraftaufwendung ihre Vollendung in einem beinahe unbemerkbaren Lächeln findet.

Wie ein Streich über meine Hüften, der sanfte Druck auf meiner Seele, der mir wohlige und wärmende Gedanken schenkt. Noch immer spüre ich jede einzelne Faser des Armes, der mich nie zu berühren gewagt hatte und nun das Verlangen nicht mehr unterdrücken konnte. Langsam Fingerspitzen vortastend, schmiegte er sich in die Mulde meiner Taille, um sich dort zum Schlaf zu legen und in jenem Augenblick mein einziges Verlangen zu befriedigen vermochte. Ich ließ es gewähren, hüllte mich in diesen Hauch von Schleier, der sich über mich legte, spann daran weiter mit dem zartesten Garn meiner Träume, so daß ich das Entfernen des Armes erst dann bemerkte, als er schon längst wieder harmlos an der Seite des Körpers hing, den ich so sehr zu begehren begann. Der Sog erfaßte mich, zerrte ohne Gnade an mir, an meinem feinen, dicht gewobenen Netz aus Träumen und war doch nicht fähig, es zu zerreißen.

Entsprangen beide aus der Tiefe meiner Seele, so werden sich beide dort spielend und ewig umklammernd ihrer Lust frei hingeben, ohne je ihre Verwirklichung in Form einer Regung meines Körpers zu finden. Die allzu heftigen Wellen sollen das kleine zerstreute Lächeln meiner Augen sein, wenn sie unkontrollierten Gefühlsausbrüchen nicht mehr Stand halten können. Doch ein Abwandern meiner Sinne wird niemals geschehen, denn es würde meine totale Abhängigkeit von Glücksmomenten beweisen. Die Ernüchterung, um mich zur Besinnung zu bringen, welcher Fehler von mir begangen worden war, indem ich mich davon hatte hinziehen lassen, soll ihn mir wieder und wieder und so lange deutlich machen, bis sich die Dichte des Netzes selbst auflöst und ich reinen Gewissens hier bleiben kann.

 

Lichtfluten fallen auf ihn

und töten seine Augen

er flieht

und sie folgen ihm ungewollt

schämen sich der unzähligen Opfer

durch sie geboren

die in ihren Zimmern liegen

er mitten unter ihnen

 

BEGIERDE

Du mein Folterknecht

den ich um Gnade anflehe

auf wunden Knien kriechend

erfreust dich an meinem

vor Verzweiflung verzerrten Angesicht.

Küsse doch den Boden,

wie du es verlangtest

und hinterhältig lachst du

über meine törichte Dummheit.

Bestrafungen fein säuberlich

im Kalender notiert

wird dir die ständige Wiederholung

nicht leid.

Du zählst die Tage,

gib es zu, weiß ich doch davon,

wird der Schmerz

zu Abscheu und Ekel

vor uns beiden.

 

FINGERÜBUNG

Feine, helle Härchen auf groben Händen. Die Haut rissig, zwar sauber, doch dunkel und mit Schatten gefüllt, die sich in den tiefen Schluchten eng aneinander drängen, Nur eine winzige Bewegung macht alle Mühe zunichte, endlich sitzen bleiben zu dürfen, um auszuruhen.

Spuren von der harten Bürste an den Rändern der Nagelbetten. Die Nägel sind kurzgeschnitten, bis auf die schmerzempfindliche Haut darunter. Eine dicke Schicht verhornter Zellen an den Fingerkuppen läßt weitere Verletzungen abprallen, noch bevor sie die Spitzen der letzten Nerven erreichen könnten.

Blaue Adern schlängeln sich unter der dünnen, straffen Haut des Handrückens und ragen hervor wie die Wurzeln einer alten Fichte, geeignet zum kindlichen Versteckspiel; genauso wie die Täler zwischen den weißlich hervorstechenden Gelenkknochen, die Finger mit Mittelhand verknüpfen. Stört ein Anheben oder das bloße Anspannen einer Sehne diesen Stillstand, gibt es jetzt keine Aussicht mehr auf die Wiederherstellung dieser gänzlichen Ruhe und Friedlichkeit.

Schon beteiligen sich die übrigen Finger am Tanz. Springen und federn auf weißen und schwarzen Flächen, wippen im immer schneller werdendem Tempo um die Wette, denn der Gewinn daraus ist groß und von unübertreffbarer Vollkommenheit.

Lange wird es nicht dauern, bis die gesamte Hand miteifert beim Spiel um die Selbstverwirklichung. Ein deutliches Zucken in den Fasern ihrer Muskeln läßt nur erahnen, welche Auswirkung diese Weitung der anfänglichen Bewegungsbegrenztheit mit sich bringen mag. Gebrochen der Damm, weggeschwemmt die Hemmung und vergessen die selbst gestellten Schranken, vereinen sich die zwei konkurrierenden Hände graziös und anmutig, um zusammen die Anforderung auf sich zu nehmen: Den steilen Berg erklimmen und von dort zutiefst mit Stolz erfüllt herunter winken.