Stefanie Panzenböck (15)

Rote Zebrastreifen

Ich stehe am offenen Fenster und du hinter mir. Und du weißt gar nicht, wie befriedigend es für mich wäre, dich unter mir auf der Straße liegen zu sehen. Dein sonst immer höhnisch lachender Mund zu einer ekelhaft erstarrten Fratze verzogen, deine verlogen stechenden Augen verdreht. Dein Körper würde auf dem Zebrastreifen aufgeschlagen sein und die schmutzig weißen Streifen würden sich langsam in ein sattes Rot färben. Wunderschön würden sie im schleiernden Morgengrauen leuchten.

Das erste Auto, das vor deiner Leiche halten würde, wäre noch weit weg, und die Luft wäre noch unzerschnitten, von gaffenden Blicken, Autohupen, hysterischen schreien und dem Geheul des Rettungswagens, der um ein paar Sekunden

zu spät kommen würde.

Aber du stehst hinter mir.

Allein.

Noch weit weg. Wahrscheinlich an die Tür gelehnt. Ich muss dich zum Glück nicht ansehen, aber ich spüre deine Blicke, die langsam über meinen Körper wandern, ihn zerschneiden wo die Blutkruste noch am dünnsten ist.

Ich versuche mir kurz einzubilden, dass du nicht da bist und ein kaum spürbarer Windstoß formt ein Lächeln aus meinen verbissenen Lippen. Bestimmt war es der Windstoß, denn ich kann nicht mehr selbst lächeln.

Kühlend streicht die Nachtluft über meine Nase und legt sich verschließend über meinen Mund.

Ich kann nicht schreien.

Plötzlich höre ich den Boden knarren und dich gelangweilt seufzen. Du hast dich wahrscheinlich von der Tür abgestoßen und stehst jetzt breitbeinig da, selbstherrlich grinsend, meinen Körper beobachtend, der sich anspannt und krampfhaft versucht locker zu bleiben.

Wieso weißt du immer, wann ich Angst habe? Vielleicht ist es eine Gabe großer Brüder kleine Schwestern zu durchschauen.

Irgendwann merke ich, dass meine Hände sich am Fensterbrett festgekrallt haben. Wieder ein Windstoß und ich zittere. Doch es war nicht der Windstoß. Du bist zwei Schritte auf mich zugegangen, ganz plötzlich, und du hast gesehen, wie ich mich näher zum Fensterbrett gedrückt habe.

Und dann lachst du. Du lachst über meine Angst, du genießt sie, du saugst sie in dich auf. Du stolperst, weil du das Gleichgewicht verlierst vor Lachen über meine jämmerlich zusammengekrümmte Gestalt. Dein Lachen trifft mich wie Steinbrocken, die meine Wirbelsäule zerschmettern, und sich in meiner Seele einnisten, dort liegenbleiben, sich auftürmen, bis sie erstickt ist.

Du stehst jetzt noch einen Schritt hinter mir. Dein Lachen ist plötzlich verstummt. Ich rieche deinen Schweiß, und jetzt spüre ich deine Hand auf meiner Schulter. Du krallst deine Finger an sie, und dann spüre ich deine zweite Hand auf meiner Brust. Ich versuche gerade stehenzubleiben. Deine Hände rutschen tiefer, graben sich in meine Haut und ich versuche nichts zu spüren. Nicht schon wieder.

Warum? Ich würde dir dieses Warum so gern in deine sabbernde Fratze schreien, aber deine Steine haben auch meine Stimme erstickt. Du genießt meine Angst, wie fast jede Nacht und du genießt es mich zu quälen. Jedesmal, wenn du die Tür geöffnet hast bevor du dich auf mich gestürzt hast und ich versucht habe, nichts zu spüren. Wenn du wieder gegangen bist war ein Stück mehr von mir verfault, und ich ersticke noch immer an diesem Geruch in mir.

Ich weiß, dass du ein Messer hast.

Plötzlich läßt du mich los, drängst dich neben mich und streckst deine Arme aus: "Die Dämmerung ist die schönste zeit des Tages, findest du nicht?"

Und dann grinst du mich höhnisch an und blickst wieder hinaus.

Dein Messer zeichnet sich deutlich in deiner Hosentasche ab.

Plötzlich habe ich es in der Hand und ramme es dir in den Rücken. Ich kneife die Augen zusammen, bis nur noch der Griff zu sehen ist.

Du schreist, ganz laut! Ich habe dich noch nie so schreien gehört, noch nie so unkontrolliert erlebt, noch nie so schwach. Du röchelst.

Ich packe dich an deiner Hüfte und stoße dich aus dem Fenster. Ganz kurz fliegt dein Körper durch die noch unzerschnittene Luft und schlägt auf dem Zebrastreifen auf. Dein Röcheln steigert sich noch einmal, verstummt irgendwann.

Ich lächle.

Die schleiernde Morgendämmerung umgarnt dich und die ersten Streifen der aufgehenden Sonne sind fast parallel zu den jetzt rot gefärbten Zebrastreifen. Dein Mund ist zu einer ekelhaft erstarrten Fratze verzogen, deine Augen sind verdreht.

Als das erste Auto vor deiner Leiche hält, schließe ich das Fenster.