Stefanie Panzenböck (15)

Verliebt

Er saß in der Straßenbahn und sah mit verträumtem Blick aus dem Fenster. Er hatte sich verliebt, ja er war richtig verliebt. Er hatte sie bis ins winzigste Detail vor seinen Augen, und außer ihr wollte er überhaupt nichts mehr sehen. Alles an ihr faszinierte ihn. Wie sie redete, wie sie ging, wie sie da saß in der Pause, mit verlorenem Blick in der Nase bohrend. Die linke Hand kratzte an einem Pickel hinter dem Ohr, und der Ringfinger der rechten Hand wühlte in ihrer Stupsnase. Schon deshalb, weil sie mit dem Ringfinger und nicht mit dem Zeigefinger, wie gewöhnliche Leute, diese zeitaufwendige und Konzentration erfordernde Tätigkeit ausführte, machte sie für ihn einzigartig. Außerdem hatte sie, wie es ihm schien, ein gewisses System entwickelt. Zuerst fuhr sie langsam mit dem Ringfinger von der Oberlippe in das, von ihr aus gesehen, rechte Nasenloch, vorsichtig, aber kontinuierlich, bis sie wahrscheinlich an irgendeinem Knorpel anstieß. An den zarten, kaum merkbaren Auf-und-ab-Bewegungen ihres Fingers konnte er beobachten, wie sie begann, die ersten Sekretablagerungen im Inneren ihres wunderschöngeformten Richorgans zu entfernen. Allerdings zog sie plötzlich ruckartig ihren Ringfinger wieder hervor und betrachte eingehend die gelblich-grünen Stückchen, die sie dann später zu einer kleinen Kugel formte. Er liebte es, diese zarten Bewegungen ihrer Hände zu beobachten.

Als dann die Kugel so richtig rund war, öffnete sie leicht ihren Mund, streckte ihre Zunge ein Stück heraus und legte das Kügelchen mit sicherer Hand auf die Zungenspitze. Immer wenn er sie dabei beobachtete, bekam er feucht Hände, aus Nervosität, dieses feinsäuberlich geformte Schleimgebilde könnte hinunterfallen. Doch im entscheidenden Moment, als es sich schon gefährlich nahe am Abgrund befand, schnellte ihre Zunge wie ein Gummiband zurück, und nach einer Weile erkannte er an ihrer Schluckbewegung, dass der Naseninhalt schon in den Magen unterwegs war, um irgendwann auf natürlichem Weg ans Tageslicht bzw. in die Finsternis eines Abflußrohres zu gelangen.

Er seufzte leise.

Und noch dazu war sie ein Mensch mit Gerechtigkeitssinn, denn der Vorgang wurde in dem von ihr ausgesehen linken Nasenloch wiederholt, aber dort zuerst zu Ende geführt. Dafür, man könnte es auch »Feinarbeit« nennen, verwendete sie allerdings den kleinen Finger. Mit stoßartigen, energischen Bewegungen entfernte sie noch die letzten Sekretteilchen. Anscheinend befanden sich einige wenige hartnäckige darunter, denn sie kratzte oft lange an ein und der selben Stelle. Meistens bildete sich dabei eine tiefe Zornfalte auf der Stirn, und ihre Bewegungen wurden heftiger, richtig trotzig starrte sie auf einen Punkt, wild entschlossen, das atemwegversperrende Naseninnenleben aus seiner wohligen Dunkelheit zu entfernen. Als sie es dann wirklich geschafft hatte, lächelt sie zufrieden und stopfte die letzten gelb-grünen Reste in ihren Mund. Er bewunderte sie für ihre Entschlossenheit; sie bekam wahrscheinlich immer, was sie wollte.

Er mußte grinsen, und er hatte Mühe, ein lautes, glückliches Lachen zu unterdrücken.

Er war wirklich verliebt.

Bei der nächsten Haltestelle mußte er aussteigen. Er stand auf und ging zur Tür, als sein Blick auf ein kleines Mädchen fiel, das still konzentriert in der Nase bohrte.

Angeekelt wandte er sich ab.