Nina Kossegg (17)

Aufstehen

Irgendwann werde ich über den Horizont steigen, erst ein Fuß, dann langsam der andere, und dann werde ich merken, daß nichts mehr dahinter ist. Noch habe ich den Mut nicht, die Augen zu öffnen, mich zu bewegen und aufzustehen – ich bin so müde.

Dabei ist das nichts Schlechtes, es ist sogar ein zufriedenes Gefühl. Nichts könnte mich stören, jetzt, so, wie ich in Decken eingewickelt und unter Kissen vergraben hier liege, aber ich kann nicht mehr schlafen.

Es gibt Lieder in meinem Kopf, mehr, als ich singen kann. Ich selbst bin aber Stille, bin erfüllt von ruhiger, reiner Freude. Die Blumen, die sie mir ins Haar geflochten haben, welken langsam, und jede von ihnen war von Anfang an für den Tod bestimmt. Sie wußten es und blühten dennoch.

Ich bin nicht schön, nicht so, wie ich jetzt hier liege, mit zerzaustem Haar und die Falten der Decken ins Gesicht gemalt, nicht so, wie ich aussehen werde, wenn ich mich endlich aus dem Bett gerollt haben werde und unter Menschen wieder zu atmen beginnen werde.

Die Schatten des Fensterkreuzes wandern durch das Zimmer, zerteilen den hölzernen Boden wie der Familienvater am Weihnachtsabend die Gans, auf die wir uns schon das ganze Jahr freuen.

Mein Körper ist schwer geworden, irgendwann zwischen Träumen und Wachen, und ich fühle mich schuldig, denn es ist nur ein geborgter Körper, den ich bald zurückgeben werde. Morgen vielleicht. Nicht heute.

Wenn die Schatten erblassen, werde ich endlich aufstehen, denn dann wird alles leichter sein, und die Welt wird anders riechen, als sie es am Tag tut. Ich werde durch die Straßen wandern – Stille um mich – werde die Münder der Menschen sich verzerren sehen und nichts hören, von all dem, was sie sagen werden, zu mir, und die Stille wird mich warm halten; besser als die Decken.

Die Schatten sind schon fast nicht mehr sichtbar, und langsam beginnt die Schwere des Tages zu entschwinden. Meine Gedanken werden langsamer, kriechen unter den Decken hervor, und mit einem Mal kann ich fliegen, wenn ich die Augen schließe.

Irgendwann stehe ich dann vor dem Bett, in dem ich noch schemenhaft Körperumrisse entdecken kann, und warte auf das Blitzen der Sterne, das mich in die Stadt zum Tanz führen wird.