Christian Kohlhofer (16)

Stell dir vor ...

Ich liebe Filme.

Ich weiß ja nicht, wie’s mit Ihnen steht, aber ich gehe für mein Leben gern ins Kino. Ob romantisch, und meist schnulzigen Herzschmerz, ob mörderisch-brutale Actionware oder brutal-blutige Horrororgien – ich liebe alle diese Filme.

Besonders letztere haben mir es zur Zeit stark angetan, denn seit SCREAM 1+2 sind eben genau diese Horrorfilme wieder up to date, sozusagen in aller Munde und – egal ob mit offenen oder geschlossenen Augen – man muß sie einfach gesehen haben.

Stellen Sie sich vor, Sie haben die High-School soeben abgeschlossen, und auf der Heimfahrt ihrer Fete springt Ihnen ein alter Mann vors Auto, in ihrer Betrunkenheit reagieren Sie zu langsam, und machen aus dem alten Mann einen toten Mann. Könnte doch jedem von uns einmal passieren, oder? Also, um nicht als Mörder publik zu werden, lassen Sie die vermeintliche Leiche im Meer verschwinden. Jedoch im darauffolgenden Sommer feiert diese Gewalttat ihren ersten Jahrestag, und der Totgeglaubte taucht in Fischerkutte und mit Mörderhaken wieder auf, um seine Peiniger aufs Minimum zu reduzieren. Gut, das kann nicht jedem von uns so leicht passieren. Aber trotzdem – willkommen in der Welt von

ICH WEISS WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST

Eine der Hauptbeteiligten und der Gejagten ist Julie, gespielt von Jennifer Love Hewitt, und Julie hat den mordlüsternden Psychopathen zwar mit einigen Schocks und nötiger therapeutischer Behandlung, aber lebendig überlebt.

Im Kino war dieses Movie der große Knüller, und – welch Überraschung – kam zwei Jahre später die Fortsetzung mit dem klingenden Titel

ICH WEISS NOCH IMMER WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST ins Kino.

Schaurigerweise kehrt der böse untote Fischer zurück und jagt unsere liebe Jennifer Love Hewitt diesmal auf einer einsamen Insel in der Karibik bis zum bitteren Ende, doch die Gute hat mal wieder Glück im Unglück und überlebt.

So, soviel einmal zum theoretischen Teil meiner Geschichte. Nun kann ich endlich das erzählen, was ich eigentlich von Anfang an vor hatte zu erzählen.

Neulich bin ich durch die Stadt spaziert, habe dies und das eingekauft, habe diesen und jenen getroffen und hab mir einfach einen schönen Tag gemacht.

Rein zufällig bin ich auch am Kino vorbei, und mir fror wahrlich das Blut in den Adern, als ich dies las:

Demnächst in Ihrem Kino:

STELL DIR VOR, ICH WEISS NOCH IMMER WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST

Ich war geplättet, einfach hin und weg. Sollte die Ära der menschenmordenden Psychopathen nie ein Ende haben? Nun ja, diesen Sommer nicht, entschloss ich.

Wo sollte der irre Fischer denn nun zuschlagen? Eine Großstadt und eine einsame Insel hatten wir ja schon serviert bekommen, was nun? Ein Unterseeboot vielleicht, oder ein Raumschiff, oder gar einen fremden Planeten?

Während ich in meine Gedanken vertieft war, entwarf ich einen eigenen Plot.

I feel it in my fingers

I feel it in my toe

That LOVE is all around me

And lets my feeling show

Genialer Titelsong oder? Damit kommt Jennifer Love Hewitt brutal gut zur Geltung oder finden Sie nicht?

Nun ja, der Sommer der mörderischen Gewalttat jährt sich zum dritten Mal, und Hauptperson und demnach Hauptgejagte Julie (Jennifer Love Hewitt, Anmerkung der Redaktion) reist allein – wohlgemerkt allein – in die Berge, zu ihrer alten wehrlosen Großmutter, um Abstand zu gewinnen.

Da hätten wir sie – die Logik der Horrorfilme. Beachte stets: Wenn der Mörder naht, verlasse die Großstadt und deine Angehörigen und ziehe dich in die Einsamkeit zurück, dort wo dich niemand zu finden glaubt und wo du auch bestimmt nicht leichter um die Ecke gebracht werden kannst als unter Menschen in der Großstadt.

Nun gut, Julie kommt bei ihrer Großmutter noch gesund an, Großmutter und Enkelin verstehen sich prächtig, Großmutter und Enkelin haben sich viel zu erzählen, Großmutter und Enkelin kuscheln sich eng aneinander, als ein Gewitter aufzieht und Großmutter und Enkelin werden hysterisch, als der Strom plötzlich ausfällt.

Um mal ganz ehrlich zu sein: Die Überlebenschancen einer alten senilen Frau gegen einen durchtrainierten und geübten Killer sind gewöhnlicherweise sehr gering, und wie es kommen muß, liegt die Großmutter am nächsten Morgen tot und mehrfach durchgeschüttelt in ihrer eigenen Waschmaschine.

Julie weiß sofort: ER IST WIEDER DA!!

Ein nervenzerfetzender Kampf zwischen Gut und Böse beginnt, natürlich mit schönen Schrecksekunden geschmückt. Jedoch, um meinen Hörern nicht jegliche Lust auf den Film zu nehmen, erzähle ich noch in mitreißenden Bildern das schaurige Finale:

Julie sitzt, einem Nervenzusammenbruch nahe, am warmen Ofen und betet, er möge sie doch am Leben lassen – das Bild einer betenden nervösen Frau, eine klassische Figur in Horrorfilmen. Plötzlich, während Julies Vater-Unser, knarrt das Fenster. Julie gerät in Panik, blickt sich hilfesuchend im Zimmer um, erblickt eine alte antike Vase und schleudert sie gegen das Fenster. Ein Panikanfall à la »WAS WILLST DU DENN NOCH? WENN DU MICH WILLST, DANN KOMM DOCH!« folgt und tatsächlich kommt der Fischer durch das Fenster und steht der hysterischen Julie gegenüber. Julie beginnt zu schreien – oscarreif zu schreien – und stürzt zurück. Leider Gottes stolpert sie über ihre neuesten Stöckelschuhe und fällt zu Boden.

Die Entscheidung naht – wird sie es erneut überleben?

Ich merke schon, wie jedem von Ihnen die Spannung bis zum Halse steigt, ich könnte nun um den heißen Brei herumreden, aber ich tu’s nicht.

Also, Kurzzusammenfassung: Der Fischer steht vor der am Boden liegenden Julie, hat sein Opfer also direkt im Visier. Er hebt seinen Hakenarm, schreit ein obligatorisches AAAAAAAAAAAAAHHH und sticht auf sein Opfer ein. Einmal, zweimal, dreimal –

Stop. Das ist ja nicht das Ende – zumindest nicht mein Ende. Ich muß von den Gefühlen wohl so überrumpelt gewesen sein, dass ich nicht mehr daran dachte, was ich sprach, sondern einfach sprach, ohne zu denken.

Also, noch einmal von vorne.

Der Fischer steht vor der am Boden liegenden Julie, hat sein Opfer also direkt im Visir. Er hebt seinen Hakenarm, schreit ein obligatorisches AAAAAAAAAAAAAAHHH und –

PENG PENG PENG PENG PENG

Im Fenster erschien Julies Lover Ray, der auf den verrückten Fischer schoß und somit das Leben seiner Freundin rettete – natürlich, ohne Happy-End geht überhaupt nichts. Und wenn das Happy-End schon nicht vorhersehbar ist, soll es wenigstens schön an den Haaren herbeigezogen sein.

Julie und Ray flüchten mit Rays neugekauftem BMW Z3 Roadstar – ein wenig Werbung muss sein – aus den Bergen. Alle sind glücklich – Julies Eltern, dass sie endlich das Häuschen in den Bergen erben, Ray, dass er seine Freundin wieder hat, die Polizei, dass sie keine Leiche findet und Julie für verrückt erklären kann, und Julie, dass sie weiterhin zur Therapie gehen darf.

Und auch der Regisseur ist glücklich, denn er läßt die Leiche verschwinden und den Fischer erneut zurückkehren – in Teil 4, der folgendermaßen heißen könnte:

ICH WEISS, DU GLAUBST ES NICHT, ABER GLAUBE MIR, ICH WEISS NOCH IMMER WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST