Claudia Kleinheinz (15)

SEINE KAMERA

Jetzt liegt sie vor mir. Großvaters Videokamera. Dunkel hebt sie sich von der polierten Oberfläche meines Schreibtisches ab.

Sie sieht seltsam aus, so hart und kalt gegen das warme, rötliche Holz.

"Er wollte, dass du sie bekommst", hat Mutter zu mir gesagt.

Ich verstehe die Worte, aber ihre Bedeutung bleibt mir verborgen.

Warum ich? Er kannte mich doch gar nicht. Ebensowenig, wie ich ihn kannte.

Wenn ich an ihn denke, sehe ich einen alten, ernsten Mann vor mir, der mir früher immer unendlich groß und furchterregend erschienen war.

Eine Szene taucht vor mir auf. Die einzige, an die ich mich erinnern kann, bei der ich ihn bewußt wahrgenommen habe.

Großvaters Geburtstag. Es ist Jahre her, ich war damals sieben, und mein Bruder sagte ein Gedicht für ihn auf.

Er sah so lächerlich aus, wie er dort stand und krampfhaft gereimte Zeilen vortrug, die so keinen Sinn ergaben und – ich lachte.

Alle Gesichter wandten sich mir zu, unendlich viele waren es, und sie blickten so zornig.

Nur ganz hinten am letzten Tisch saß der große alte Mann, der immer so ernst war, und lachte mit.

Ich schüttle den Kopf, versuche meine Gedanken zu ordnen.

Eigentlich hätte er die Kamera meinem Bruder schenken müssen, meinem Bruder – nicht mir.

Denn er war es, der immer Schauspieler werden wollte.

Ich besitze nur ein paar Gedichte, die seit Jahren in meiner Schublade liegen, die ich nur für mich geschrieben habe, und von denen niemand etwas gewußt hat. Niemand – auch er nicht.

Und nun liegt seine Kamera vor mir. Ich weiß noch, wie meine Mutter sich gefreut hat, als Großvater sie ihr gezeigt hat.

"Endlich", hat sie immer wieder glücklich geflüstert. "Endlich erfüllt er sich seinen Traum!"

Damals hat sie mir das erste Mal davon erzählt, dass Großvater immer Schauspieler werden wollte, sein Vater es ihm aber verboten hat.

Ich habe nicht verstanden, wie ein Vater den Traum seines Sohnes zerstören konnte, doch Mutter sagte: "Weißt du, als sein Vater jung war, wollte er unbedingt studieren, hatte aber zuwenig Geld. Er hat sein Leben lang hart dafür gearbeitet, seinem Sohn die beste Ausbildung ermöglichen zu können, und wollte nicht, dass dieser die Chance vertut."

"Aber es war nicht der Wunsch von Großvater", habe ich damals beharrt.

"Er ist auch niemals glücklich geworden, in seinem Beruf, aber wer weiß, ob er es als Schauspieler geworden wäre", hat Mutter damals erwidert.

Eigentlich weiß ich nicht, ob er jemals einen Film mit dieser Kamera gedreht hat, aber ich glaube nicht. Und nun soll ich seinen Traum verwirklichen?

Vorsichtig nehme ich die Kamera in die Hand und drehe sie hin und her. Sie liegt gut in der Hand, so als würde sie irgendwie dorthin gehören, doch das Gefühl, einen fremden Traum in der Hand zu halten, macht mich nervös. Trotzdem lege ich sie nicht wieder zurück.

Statt dessen öffne ich die Klappe an der Seite und starre eine Weile auf die eingelegte Kassette, die mich still aufzufordern scheint, sie mit Bildern und Szenen zu füllen.

Einen kurzen Moment blicke ich noch auf die Kamera in meiner Hand, dann schließe ich die Klappe und schalte sie ein.

Wie ein Auge, das alles wahrnimmt, leuchtet mir das rote Lämpchen an der Oberseite des Geräts entgegen.

Langsam, die Kamera fest mit beiden Händen umklammert, verlasse ich das Zimmer, steige die Treppen in das Erdgeschoß hinunter und öffne die Haustür. Helles Tageslicht empfängt mich, als ich ins Freie trete.

Ich schließe die Augen, während ich die Kamera davor halte, und bleibe kurze Zeit so stehen. Dann öffne ich die Augen.

Bäume und Häuser, die schon standen, lange bevor es mich gab, und die mir, solange ich denken kann, so vertraut waren, wirkten durch den Sucher dieser Kamera fremd. So als befände ich mich in einer anderen Welt.

Schnell nehme ich die Kamera vom Auge und schalte sie aus.

Eine Weile blicke ich auf die Häuser, die aussehen wie immer und die doch für einen Moment so anders waren, und weiß plötzlich, wie ich Großvaters wirklichen Traum erfüllen kann.

Von einer plötzlichen Ruhe erfüllt, nehme ich einige alte Zeitungen vom Stapel neben der Haustür, wickle die Kamera darin ein und lege sie vorsichtig in die Mülltonne. Dann breite ich noch ein paar der Seiten darüber, bevor ich den Deckel leise schließe.