Andrea Kern (16)

Zwei

Die Nacht war dunkel, tiefviolett. Zwei kamen, um den Wind zu beschwören, trafen sich unter den Bäumen. Zufällig. Erschraken. Er sah sie, sie ihn, dachten an die Windspiele, die sie veranstalten wollten, allein, seltsam, jetzt beobachtet durch den anderen. Ihre Körper starre Bewegungen vollführend, der Versuch, dem anderen aus den Augen zu fallen. Sie schlichen zwischen den Bäumen, einander belauernd, einander ignorierend. Sie haßten sich oberflächlich, waren voneinander fasziniert. Die Bäume waren weiße Schatten in der Finsternis, waren mächtig, fast heilig. Bedrohlich im Wind. Sie sah ihn, er sie. Sie störten einander, raubten sich die Freiheit des unbefangenen Handelns durch die Gegenwart des anderen. Der Wunsch nach Einsamkeit, nach Verborgenheit. Keiner überließ dem anderen diesen magischen Ort, keiner teilte ihn, nicht jene Absichten wissend, die den anderen herführen mochten. (Windspiele)

Sie belauerten, sie schwiegen. Argwöhnen, überspieltes Interesse, Fremdheit. Sturm kam auf, beide erstarrten. Ein Rauschen in den Kronen, ein Wispern, ein Tosen, ein Brüllen. Der Wind zerrte an ihnen, sie blieben erstarrt. Der Wind löste ihr Haar, fuhr über seine Haut. Sie genossen es, atmeten den Wind mit geschlossenen Augen. Sie waren schön, waren häßlich, waren Betende im Sturm.

Er erwachend, als das Tosen nachließ, betrachtete sie, die immer noch regungslos war. Sie war schön, war dunkel in der Dunkelheit, ihr Gesicht ernst, war unheimlich im Zauber dieser Nacht. Er sah den Wind in ihren Haaren, die Geister, sah es, bemerkte es lächelnd. Er begann zu gehen, Schritte zählend, wollte in ihre Nähe, in ihre Geborgenheit, war fast bei ihr, als er sich umdrehte, weiterging, nicht wollend, daß sie etwas merkte, es doch wollend.

Sie war. Sie erwachte, ihn sehend. Erschrak, wich zurück, sah ihn im Wind, plötzlich verstehend, und lachte.

Fremdheit war trügerische Vertrautheit geworden. Sie hatten begonnen zu tanzen, waren in eine Ekstase verfallen, sich immer noch umschleichend, einander näherkommend und in Distanz bleibend.

Er jetzt im weichen Gras liegend, sie nah neben sich, weit weg, beide lachend, beide spielend. »Ich hab ‘ne Liebe zu verschenken.« Sie ihn hörend, verstummte, lachte weiter. »Sommernächte«, entschuldigte er. »Du verstehst?« Sie verstand, nickte, meinte, sie wäre nicht sie selbst in solchen Nächten, wäre eine erzwungene Persönlichkeit, um magischer zu wirken, anziehender. Sie sprachen, redeten aneinander vorbei, nicht wissend, ob der andere erkennen würde, es doch wissend, ängstlich davor, die Entfernung zu durchbrechen. Windstille. Er sah sie, sah sie schön, war gefallend. Er hörte ihr gemeinsames Sprechen, ihr gemeinsames Nichtssagen, endlich begreifend, die Distanz nie aufheben zu können durch solch Oberflächlichkeiten. Er zögerte, nahm plötzlich ihren Kopf in seine Hände, strich ihr über die Haut. Sie stockte, hielt inne in der Bewegung, der Ausdruck in ihren Augen sanft. Dann kam neuerlich der Wind. Sie erstarrte, fauchte, lachte plötzlich, sprang auf, wegrennend von ihm wie im Spiel. Neue Oberflächlichkeiten, neue Erzwungenheit. Sie tanzte, schrie, sang im Wind, ließ sich fallen, lag im Gras, wartend, daß er zu ihr kam. Er kam nicht.

Die Nacht des Sommers um ihn, er einsam im Gras hockend, die Kälte in der Erde fühlend, den Wind. »Sie macht ‘ne Show.« Er fühlte sich müde, unverstanden, lächerlich in diesem Geschehen. Er saß regungslos, saß Wochen, Jahre, die halbe Nacht, Augenblicke lang.

Schließlich kam sie, schmiegte sich an ihn, war da, sanft und weich. Sie küßte ihn, er legte die Arme um sie. Dann zogen sie sich aus, liebten sich, waren einander nie so fremd gewesen, liebten sich im Schreien der Tiere, im Gelächter des Windes. Beide dunkel in der Dunkelheit. Das Tosen des Sturmes um sie, als sie sich voneinander lösten, das Schreien in ihren Köpfen. Sie erstarrte plötzlich, lachte, biß ihn, (verschlungen vom Wind) gebärdete sich wie ein Tier, wild. Er erschrak. Sie sich fest an ihn klammernd, ihm die Haut abreißend, als er sich von ihr zu befreien suchte. Er schlug sie. Sie stockte, lachte plötzlich, war hämisch, war übertrieben, wich vor ihm zurück, lachte.

Sie kehrte ihm den Rücken zu, wollte gehen im Sturm, ging, drehte sich wieder zu ihm. Das Tosen des Sturmes war schrecklich, war beängstigend und reißend. Beide standen ruhig, sahen sich an. Er sah ihre Trauer, ihr Erschrecken über sich selbst. Sie war weit weg, war nah, war sie selbst, war zerbrechlich im Sturm. Er glaubte, daß er sie liebte, die, die nicht Windspielerin war, nicht erzwungen, um magisch zu sein und anziehend. Sie lachten nicht, waren regungslos, den Sturm ignorierend, sahen sich an, waren entfernt, waren das erste Mal tiefgründig. Er sah sie schön, sah sie endlich wirklich.

Ein Baum erschlug ihn, schlug ihn tot, als der Sturm durch das Holz fuhr mit zerbrechender Gewalt, boshaft und gewinnend.

Sie sank zusammen, war entsetzt, schwieg, verstand nicht, verstand und schrie. Windstille. Ihr wankender Gang zum Toten, ihr Unglauben. Er unter dem Baum begraben, unter dem Holz sein Körper, seine Hand, die noch warm war. Sie hielt diese und weinte. »Du hast doch ‘ne Liebe zu verschenken.«