Marlene Bitriol (17)

Temple Cooey

Auf dem Temple Cooey finde ich das Haus einer Krabbe und hebe es mit spitzen Fingern auf, kitzle den harten Gehäusebauch, doch es ist verlassen, das Haus.

Während ich den Blick in die Ferne schweifen lasse, die Krabbe zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, erklärt er mir die Bedeutung des Temple Cooey, touristengerecht auf einer verwitterten Steintafel serviert. Ein Gebetshügel ist es, raunt er, während fliegende Finger ein gelbes Wörterbuch durchforschen – für mich hatte der Name Temple Cooey eher nach einem Getränk geklungen, einem süß-bunten Cocktail, der einen schon nach einigen Schlucken berauscht, doch es stellt sich nun also als heiliger Platz heraus.

Und nirgends sah ich grüneres Gras als hier, und ich unterbreche ihn in seinen murmelnden Ausführungen, um diesen Gedanken mit ihm zu teilen: Hier ist das Grün des Grases grüner als das grünste Gras daheim.

Seinem mißtrauischen Seitenblick, der einen Braue, die steil in die Höhe gezogen ist, kann ich entnehmen, daß er sich ernsthaft überlegt, ob ich ihn auf den Arm nahm, und daß das Wort ‘grün’ eindeutig zu oft in diesem einen Satz vorgekommen ist.

Ja, sehr schön, antwortet er schließlich gedehnt, und setzt damit die ganze Schönheit des Orts herab, stört entschieden meinen Sinn für Ästhetik mit dieser hohlen Bemerkung.

Ich gehe weiter hinab, in Richtung Meer, das man als einen dunklen Streifen nur erahnen kann am Horizont, natürlich höre ich bald seine taumelnden Schritte hinter mir, und die Frage, ob ich den Photoapparat auch nicht im Wagen liegengelassen habe – mein Kopfschütteln reicht ihm nicht, er muß mich von hinten umarmen, und ich muß mich an ihn sinken lassen, den Kopf zurücklegen, und mich von ihm küssen lassen – eigentlich mag ich es gern, aber meine Augen bleiben trotzdem geöffnet und verlieren nicht den Forscherblick, der alles aufsaugen will und so lange saugen, bis man das Mark aus allem gesogen hat und die Schönheit, und solange, bis man sich übersättigt fühlt, von der ganzen konsumierten Schönheit.

Die Wolken hier, bemerke ich, während meine Lippen auf den seinen liegen, sind schneller noch als meine Gedanken, und so eilige Wolken hab ich noch nie gesehen. Sie sind es wert, mit offenem Mund bestaunt zu werden – doch meinen Mund kann ich nicht öffnen, deshalb schließ ich die Augen.

Ich beginne allmählich in den weichen Untergrund zu sinken, immer tiefer und immer schwerer, wahrscheinlich ist mein Kopf der einzige Teil, der noch nicht von dem saugenden Schlamm aufgefressen ist – schließlich läßt er mich los, und wir schlendern weiter, hüpfen über eine Brücke aus einzelnen rutschigen Steinen, dann geht es weiter über Holz, das jemand über den Schlamm gelegt hat, obwohl außer uns keine Besucher hier sind, im Moment.

Es gibt nur braune und grüne Wiesen aller Farbschattierungen, und Schlamm, und kleine Bäche, die wahrscheinlich Äderchen des eigentlich ganz nahen Meers sind, doch als ich meinen Finger hineintauche, und prüfend lutsche, erweist es sich als Süßwasser. Und es gibt die Felsen, schwarz und grau, und abweisende Muscheln.

 

Er springt immer weiter, von Fels zu Fels, während ich zurückbleibe, da ich nasse Füße fürchte – seine Sohlen drohen oft abzurutschen, doch ich verliere bald das Interesse an seinen Hopsern, die noch lächerlicher sind, als würde man an einer toten Krabbe Dekorationsarbeiten vornehmen, indem man ihr ein gelbes Blümchen zwischen die Scheren stecken, und sich dann einbildet, das kleine Gesichtchen mit den schwarzen Knopfaugen grinsen zu sehen, während man sich auf dem Boden niedergelassen hat, ohne sich um die hellen Jeans zu sorgen, obwohl man doch sogar Angst vor nassen Füßen hat.

Und trotzdem lege ich meine Krabbe zur Seite, um ihn zu photographieren, wie er stolz zum Horizont blickend auf einem Stein posiert, während er so tut, als würde er mein Knipsen nicht bemerken.

Ich pflücke weitere Blumen, und bedauere, daß es hier nur gelbe Blumen gibt, da ich rote bevorzuge – überraschend schnell ist er wieder neben mir, sein Gesicht ist ein rotbackiges Kindergesicht, seine Augen sind hell, wie ich unter den hängenden Haaren erkennen kann.

Ich fühle mich frei, bekennt er, und ich bedauere ihn still, da er erst kleine Klippen beklimmen muß, um dieses Gefühl zu erlangen.

Wir machen uns auf den Rückweg, zurück zum Altar, auf den Holzplanken balancierend, und von oben herab betrachtet er mit einem Ausdruck der Verachtung meine zurechtgemachte Krabbe, und während er noch nach Worten sucht, um seiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen, geht ein mächtiger Regen auf uns hernieder – keine sanft-streichelnden Regentropfen erst, die den heftigen Regenguß schonend ankünden würden, nein, nicht hier. Ich behaupte von mir gern, daß ich nur glücklich bin, wenn es regnet, doch ich kann ein Gefühl der Erleichterung nicht leugnen, als er seine Lederjacke auszieht und sie über uns beide breitet – wir sind stehengeblieben, und ich bin besorgter um meine Krabbe als um meine Kamera.

Es dauert hier immer nur zehn Minuten, dann scheint wieder die Sonne, sagt er in wohlwollendem Tonfall, und wie er, beruhigend, wie’s scheint, mein Haar in Unordnung bringt, unterdrücke ich ein breites Grinsen, denn schließlich ist es sein Land, auch wenn es ein wildes Regenland ist. Ich starre unter unserem provisorischen Zelt hervor, versuche mit Blicken den Regenschleier zu durchstoßen, und glaube nicht recht an sein Zehn-Minuten-Versprechen; obwohl ich schon Gelegenheit gehabt habe, diesen extremen Wechsel der Wetterverhältnisse kennenzulernen, grenzt er für mich immer wieder an ein Wunder, ebenso wie die Gelassenheit meines Gegenübers mich immer wieder wundert, fast so, als wolle er damit meine Nervosität hervorheben.

Der Regen wird nicht schwächer, hört dann genauso abrupt auf, wie er begonnen, nach einem letzten peitschenden Schlag, und durch das erfrischte Land setzen wir unseren Rückweg fort, bis wir wieder zum eigentlichen Gebetshügel kommen, wo wir schon zuvor den groben Steinaltar bestaunt haben, ebenso die Sitzgelegenheiten für fromme Pilger aus längst vergessenen Zeiten, die aus schlichten Steinen bestehen, doch für mich wirken sie bequemer als jeder Stuhl, auf dem ich bisher gesessen habe.

Während ich auf eben diesem Stein sitze, stellt er sich hinter den Altar, dabei mit ausgebreiteten Armen einen Priester imitierend, und automatisch greife ich nach dem Photoapparat und drücke ab, dreimal. Ich frage mich schon jetzt, was später aus den vielen Photos wird, die ihn in allen denkbaren Posen zeigen, ob ich den Film überhaupt entwickeln lassen werde, oder ihn unbarmherzig einfach dem Sonnenlicht aussetzte. Es sind Photos, die es wert sind, geküsst oder zerrissen, verbrannt oder gerahmt, gestreichelt oder bespuckt zu werden.

Nach einem letzten sehnsüchtigen Blick zurück verlassen wir den Platz, der jetzt, da ich ihn verlasse, fast mystisch wirkt, einen Arm hab ich um ihn geschlungen, den anderen um meine Krabbe.

Momentaufnahmen.