Nada Krnjic (17)

Eine halbe Stunde für Packen

Und es wird ein warmer Mai. Ein Mädchen packt alles in einen Koffer und geht mit seiner Familie weg. Unruhe überfällt sie. Sie muß die Koffer packen, und ihr Zimmer, ihre Umgebung, ihre Vergangenheit vergessen. Sie muß frei sein in diesem Jahr, alles aufgeben, den Ort, die vier Wände und die Menschen wechseln. Ihr Zimmer ist schon ausgeräumt, aber einiges liegt herum, von dem sie nicht weiß, was damit geschehen soll: Bücher, Fotos, Bilder, eine Reproduktion, von der ihr nicht einfällt, woher sie sie hat.
Sie muß schnell weggehen, und sie hat nur eine halbe Stunde zum Packen. Sie hat Angst. Ein Koffer faßt nicht 15 Jahre Leben. Sie fürchtet sich vor der ganzen Welt. Sie weiß nicht, wohin sie gehen muß. Und dann ist sie in Graz. Es ist schön. Aber es ist unmöglich, hier nochmals zu leben.

 

Im Schulhof

Es wird ein kalter September. Ein Mädchen ist zum ersten Mal im Schulhof. Viele andere Kinder sind auch da. Der Hof schaut so schön bunt aus. Die Kinder schreien, laufen, spielen… Man sieht die Kinder, das Haus und den Baum. Der Baum steht seit unendlich langer Zeit im Hof. Er liebt die Kinder, die Menschen, die Sonne und den Himmel. Der Baum versteht die Menschen, sie aber verstehen seine Sprache nicht – mit Ausnahme der Kinder. Die Kinder sehen in die Dinge hinein, sie reden mit Steinen, Blumen und auch mit Bäumen. Wenn der alte Baum seine Krone schüttelt, dann lacht er. Sie wissen, daß er sich freut. Wenn der Baum im Herbst seinen Saft tief in die Wurzeln zurückzieht, freuen sie sich mit ihm bereits wieder auf den Frühling. Jetzt ist es Nachmittag, und nur das Mädchen steht auf dem Schulhof. Es ist so leise, daß man nicht erkennen kann, ob es eine Schule oder ein Kloster ist. Die anderen Kinder sind zu Hause. Der Baum schüttelt seine Krone nicht. Das Mädchen steht an die Mauer gelehnt. Es blickt hinauf in das Stück Himmel über dem Hof und denkt, er wird nie so blau werden wie daheim.

(1994)