Luisa Anna Slezak (15)

Sahnetrüffel vielleicht

Frau Kruppki war alt.

Frau Kruppki war krank.

Frau Kruppki sang den ganzen Tag nur traurige Lieder.

Wenn sie im Bad stand und den Spiegel putzte.

Wenn sie auf dem Weg vom Bad zur Küche Staub wischte.

Wenn sie in der Küche saß und wartete, bis die Milch überkochte.

Nur nicht im Wohnzimmer, da war sie still. Da konnte sie nicht singen. Da nämlich stand eine Schachtel, golden glänzend auf dem Glastischchen.

Eine Schachtel, wie sie einmal eine von Elsa bekommen hatte.


Eine Woge kalter Luft ließ sie kurz schaudern, das Fenster stand offen.

Sie trat ein.

Es roch nach Wein und Zigarren, nach alten, vergilbten Büchern und modrigen Vorhängen.

Frau Kruppki sah sich um. Fast war ihr, als stünde sie in einem fremden Zimmer.

Der Schrank, der gegenüber des Sofas eine ganze Wand verdeckte, und dann diese Bilder. Die, die in den Glasvitrinen standen. Bilder von ihr und Elsa.

Elsa, als Kleinkind.

Elsa, bei der Konfirmation.

Elsa mit ihrem Mann.

Frau Kruppki sank in einen Sessel. Er war grün und braun, und die Polster rissen auf. An den Lehnen konnte man die Füllung herauspulen.

Eine Weile starrte sie nur so vor sich hin, strich mit fahrigen Bewegungen ihre Schürze glatt, bohrte in den Löchern des Sessels und drückte den Schaumstoff immer wieder hinein.

Dann legte sie den Deckel der Schachtel beiseite und fingerte die erste Praline aus ihrem knisternden Schutzpapier.

Eierlikör, überzogen mit weißer Schokolade.

Die Masse klumpte in Frau Kruppkis Mund. Sie schob sie mit der Zunge hin und her, bis sie flüssig wurde, schluckte.

Mit der Zeit färbten sich ihre Fingerkuppen braun. Immer mehr Pralinen nahm sie heraus, kaute oder zerdrückte sie, biss nur Stückchen von ihnen ab oder aß sie in einem.

Kokos war dabei und Cognac, Himbeere und Krokant.

Und dann, nach einer Weile, war die Schachtel fast leer.

Frau Kruppki lehnte sich zurück, schleckte die Finger ab und fuhr mit der Zunge über ihre Zähne.

Nur noch eine Praline lag nun dort, eingewickelt in weißes Papier. Elsas Praline.

Sahnetrüffel in einer Hülle aus Zartbitterschokolade.

Elsas Sahnetrüffel.

Frau Kruppki nahm die Schachtel und stand auf.


Im Gang begann sie zu summen.

Ein dunkler Laut war das; er kam aus der Kehle, klang abgehackt, fast so, als verschlucke sie die Hälfte.

Frau Kruppki blieb vor einer Tür stehen, die Pralinenschachtel unter ihre Achsel geklemmt. Es war die Tür zu Elsas Zimmer.

Da nämlich bewahrte sie sie auf, die Sahnetrüffel. In Schalen und alten Verpackungen, auf Tellern und in Schatullen. Überall waren sie verteilt, im ganzen Zimmer roch es schon nach ihnen. Süßlich bitter wie der Schokoladenüberzug.

Frau Kruppki wollte gerade eintreten, als es klingelte.

Sie drehte sich um.

Langsam, eine Hand an der Wand ging sie vor, den Gang entlang, streifte mit dem Ärmel die Garderobe.

Sie hatte aufgehört zu summen und presste ihren Arm jetzt fester als zuvor gegen die Schachtel.

Ein paar Schritte noch und sie wäre da.

Ein paar Schritte noch und sie würde die Tür öffnen.

Dann würde dort Elsa stehen, und Frau Kruppki könnte ihr die Schachtel geben. Die Schachtel mit dem Sahnetrüffel.

Elsa würde lächeln, genau wie auf den Fotos im Wohnzimmer.

Und vielleicht würden sie sich auch umarmen.

Vielleicht.

Frau Kruppki stolperte, legte eine Hand auf die Klinke und merkte, dass das Metall kalt war.

Mehr nicht.

Nur, dass es kalt war.