Sebastian Meineck (15)

Damit das Holz nicht zerbirst

Die Hütte steht in einer Talsenke im Wald, umgeben von knarzenden Fichten. Ihre Balken vermosen. Hinter den Fenstern ist kein Licht.

Gustavson erkennt keinen Pfad und stolpert über Wurzeln und Steine, die der Nadelteppich verbirgt.

Er geht an einem Baumstumpf vorbei, auf dem eine Axt in einem Holzscheit wartet. Eine Wasserpumpe neben der Hütte rostet. Er klopft an die Tür. Ein Rabe schreit auf. Seine Flügel klatschen, als er aus den Baumwipfeln flattert. Die Zweige nicken dem Vogel lange nach.

Weil niemand antwortet, öffnet er. Die Tür knarrt. Die Dielenbretter ächzen, als er eintritt. Er muss sich erst an die Dunkelheit gewöhnen.

Vor ihm ist eine Treppe. Er setzt einen Schritt auf die stumpf getretenen Stufen und späht nach oben. Finstere Leere blickt auf ihn herab. Gustavson stellt seinen Koffer neben sich und lässt die Arme hängen. Tiefe Risse durchfurchen die Dielen.

Er blickt nach rechts. Er kann die Konturen einer Küche erahnen. Arbeitsflächen, eine Feuerstelle. An den Wänden reihen sich Schöpfkellen und Löffel wie in einem Museum. Vom Fenster fällt Licht auf einen derben Holztisch vor einer Bank.

Gustavson erschrickt, als er den Mann auf der Bank entdeckt. Er sitzt verborgen im Schatten der Ecke, als wäre er aus Holz. Seine Arme liegen verschränkt auf dem Tisch, in seinem Mund verharrt eine Pfeife. Gustavson kann den Rauch weder sehen noch riechen. Er starrt den Mann an.

»Sie sind Amundsen?«

Der Kopf nickt.

»Ich bin jetzt da.«

Gustavsons Ohren schmerzen von der Stille.

»Ist mein Zimmer oben?«

»Ja.« Amundsens Stimme klingt wie Holz, das langsam von einem groben Blatt zersägt wird.

»Ich gehe dann hoch.«

Amundsens Pfeife wandert in den anderen Mundwinkel. Gustavson nimmt den Koffer und steigt die Stufen hinauf.


Oben sind drei Räume, eine Tür steht offen. Er tritt ein. Es ist ein Dachzimmer mit schräger Decke. Sein Bett steht an der Wand unter der Schräge, er würde sich den Kopf stoßen, wenn er sich morgens unbedacht räkelte. Vor dem Fenster ein Schreibtisch, Holzwürmer haben ihn zersiebt, davor ein Schemel mit sich krümmenden Beinen. Sonst nichts außer einem Schrank, dessen Scharniere murmeln, als er ihn öffnet. Ein Nachttopf kauert auf dem Boden des Schrankes.

Er stellt seinen Koffer neben den Schreibtisch und setzt sich. Das Holz unter seinen Händen ist rau. Er klappt den Koffer auf und legt Papier und Füllfederhalter vor sich. Die Seiten leuchten leer im Dämmerlicht. Er dreht den Füller in der Hand und starrt nach draußen.

Am Rande einer Lichtung hinter der Hütte drängeln sich Baumstämme. Weiter oben beugen sich die Kronen mit zitternden Nadeln im Wind.

Er kramt nach seiner Taschenuhr und lässt sie aufschnappen. Zeitlos ruhen ihre Zeiger. Weder in der Küche noch im Flur ist das Ticken einer Uhr gewesen. Er fühlt sich hilflos.

Er beobachtet, wie die Sonne untergeht und nur die Wipfel und den Horizont mit Farbe begießt, während der Waldrand ergraut und Nachtschwärze über den Himmel kriecht. Er schämt sich über die nackten Seiten unter seinen Händen.


Er geht hinunter zur Küche. Tentakel aus Licht jagen Schattenfetzen durch den Raum, während die Flammen schnurrend an den Holzscheiten der Feuerstelle nagen. Auf dem Tisch ein Laib Brot, Butter und Pökelfleisch, zwei plumpe Tonbecher und Messer.

Amundsen sitzt in der Ecke. Ab und zu streicht der halbschattige Saum eines Lichttentakels über ihn und füllt die langen Furchen seines grob geschnitzten Gesichtes mit Dunkelheit.

Gustavson schiebt einen Stuhl über die Dielen und setzt sich. Amundsen gegenüber senkt und hebt die Lider. Die schwarze Oberfläche des Wassers im Becher zittert, als Gustavson die Hände auf den Tisch legt.

Amundsen nimmt ein Messer und sägt zwei Scheiben aus dem schlafenden Brotlaib. Das Auf und Ab des Messers ist wie ein leises Schnarchen. Amundsen nimmt sich eine Scheibe und greift nach Butter und Fleisch.

Wie ein Mühlstein zermalmen seine Kiefer das Brot.

»Soll ich Ihnen hin und wieder bei der Arbeit helfen?« Gustavson legt das Brot vor sich.

Amundsen kaut und trinkt und schluckt.

»Sie sind hier, um Ihr Buch zu beenden.« Seine milchigen Augen könnten auch blind sein. Er bewegt sie nicht.

»Es wäre aber kein Problem, mich ab und zu nützlich zu machen. Bei einem Wildhüter kann man sicher mit anpacken.«

»Sie sind hier, um Ihr Buch zu beenden.«

Sie kauen und schlucken, und das Feuer zerfrisst das Holz. Amundsen sägt noch drei Scheiben vom Brot, zwei davon isst er.

»Frühstück um sechs«, sagt er. Er stapelt die Teller. Er starrt auf die Krümel, während er sie zusammenschiebt.


Am nächsten Tag frühstückt Gustavson nicht. Er sitzt an seinem Schreibtisch, die Hände auf dem Papier. Der Wald färbt sich im Dämmerlicht graublau. Als das frühnebelbleiche Grün der Nadeln über den noch schlafenden Stämmen deutlicher hervortritt, streckt sich der Schatten der Hütte in Richtung Waldrand.

Amundsen stapft in Gustavsons Sichtfeld und verschwindet zwischen den Bäumen. Das schwarze Abbild der Hütte zerrt immer tiefer in den Wald hinein, als wollte es ihn suchen.

Gustavson merkt, dass sich das Papier unter seinen feuchten Fingern wellt. Er versucht es vergeblich glatt zu streichen.

Bald kehrt Amundsen zurück. Seine dicken Arme hängen herab, nur die Beine bewegen sich. Er geht in einen Schuppen hinter der Hütte; Gustavson muss aufstehen, um ihn zu sehen. Flechten beflecken das morsche Dach des Schuppens. Amundsen holt Bretter und eine Säge, Hammer und Nägel. Er legt alles auf den Boden. Der Schatten kriecht langsam zurück, als wollte er ihm bei der Arbeit zusehen. Schließlich geht Amundsen auf die andere Seite der Hütte.

Die Pumpe röchelt und quiekt. Die Tür knarrt, feste Schritte auf den Dielen, später schlägt ein Kochtopf dumpf auf das Holz des Küchentisches. Obwohl Gustavsons Magen knurrt, kommt er nicht nach unten.

Das rostrote Phantom eines Eichhörnchens huscht durch die Kronen. Erschrocken zucken die Äste zusammen. Gustavson streicht über die getrockneten Wölbungen des Papiers. Sich niederbeugend kann er erkennen, wie sich die Zellstofffäden vernetzen und verschlingen.

Als Sonnenlicht um den Schuppen streicht, kommt Amundsen wieder. Er sägt die Bretter zurecht. Er nimmt einen Nagel.

Mit gleichmäßigem Auf und Ab des Hammers schlägt er den Nagel in das Holz. Das plumpe Pochen hallt in der Talsenke. In den Pausen, in denen Amundsen einen weiteren Nagel ansetzt, ist der Wald vom Lärm erstarrt, während in Gustavson die Stille wallt. Vielleicht baut Amundsen einen Käfig.


Gustavson schließt die Augen. Er erschrickt, als es plötzlich an der Tür klopft. Dass Amundsen die Treppe hinaufgegangen ist, hat er nicht gehört.

»Herein.«

Die Tür öffnet sich leise. Amundsen blickt Gustavson an. Die Bartstoppeln ragen wie Späne aus seiner mattgrauen Haut.

»Haben Sie ein Ende für das Buch gefunden?«

»Nein.«

Als Amundsen blinzelt und die Lider seine getrübten Augen verbergen, glaubt Gustavson gar kein Leben in ihm zu sehen.

»Nein?«

»Nein.«

Amundsen starrt ins Leere.

»Es muss wohl noch etwas Zeit vergehen.«

Amundsen nickt. Nochmals öffnet und schließt er die Augen. Gustavson steht neben ihm. Die leeren Seiten auf dem Schreibtisch und der Koffer sind verschwunden. Das Bett unter der Dachschräge ist nicht bezogen, aber man würde sich den Kopf stoßen, wenn man sich unbedacht räkelte.


Sie gehen hinunter und bauen den Käfig fertig. Gustavson hält die Nägel, und Amundsen schlägt sie in das Holz, langsam, damit es nicht zerbirst, mit festen, gleichmäßigen Hieben.

Dann gehen sie in den Wald und durchfurchen die Stämme der jungen Fichten mit einem Rindenhobel, damit sie harzen und verborken. Die Wunden werden sie vor Rotwild schützen, das zu weiche Rinde benagt und schält.

Als die Dämmerung nicht mehr fern ist, kehren sie um. Sie werfen nur einen Schatten im schrägen Licht.

Die Hütte wartet. Es gibt keinen Pfad, und der Nadelteppich verbirgt die Wurzeln und Steine. Amundsen öffnet die Tür und tritt auf die ächzenden Dielen. Das Licht der untergehenden Sonne fällt auf den Tisch vor der leeren Küchenbank.