Andrea Knecht (15)

Ein Stück Leben

Alles begann mit dem Plan, reich zu werden.


Am Abend vor meinem fünften Geburtstag war die Luft dick und roch nach heißem Staub. Es war so schwül, dass Papa mich überreden konnte, die Fensterläden offen zu lassen.

Ich lag im Bett und lauschte dem Zirpen der Grillen, atmete die warme Sommerluft ein, die sich mit dem Duft von Tau zu vermischen begann. Meine Beine kribbelten, ich war zu aufgeregt, um zu schlafen. Also starrte ich zum Fenster hinaus, sah den dunkelblauen Nachthimmel, die Dächer der Nachbarhäuser, wenn ich den Kopf nach rechts neigte, die Wipfel einiger Tannen. Ein Blitz zuckte über den Himmel, und ich begann die Sekunden zu zählen, doch der Donner folgte nicht; das Gewitter war zu weit entfernt.

Irgendwann gingen flackernd die Straßenlaternen an. Noch immer schaute ich den Blitzen zu; die Tannen schaukelten inzwischen im Wind. In der Ferne grollte der erste Donner. Ich dachte an morgen.


Papa saß auf der nassen Schaukel, im Arm eine große Schachtel mit blauer Schleife. Ich stand im Gras, es reichte mir bis an die Hüfte und hätte längst gemäht werden sollen. Meine Füße waren kalt vom Tau, und Erde klebte zwischen meinen Zehen.

»Glückwunsch, Sohnemann, du bist fünf!«

»Wo ist Mama?«, fragte ich.

»Arbeiten«, erwiderte er und wippte mit den Fersen auf und ab.

»Aber ich habe Geburtstag!«

»Hier ist dein Geschenk«, sagte Papa und reichte mir die Schachtel.

Bedächtig streifte ich das Papier ab und öffnete die Schachtel.

Ein Schwein aus rosa Porzellan mit einem Schlitz im Rücken.

Papa beugte sich vor, um mein Gesicht zu sehen. Unsicher nahm ich das Schwein aus dem Karton.

»Ein Sparschwein«, erklärte Papa und schaukelte vor und zurück.

Ich schüttelte es. Ein Scheppern.

Ich sah Papa an, der immer noch gemächlich vor sich hinschaukelte.

»Was ist da drin?«, fragte ich.

»Ein Fünfliber.«

Ich kniff die Augen zusammen und spähte durch den Schlitz. Die Münze rutschte hin und her und blieb schließlich über meinem Auge liegen.

Enttäuscht ließ ich das Sparschwein sinken.

»Er kommt nicht raus«, sagte ich anklagend und schüttelte das Sparschwein stärker. Papa sprang von der Schaukel und riss mir das Schwein aus den Händen. Ich sprang hoch, doch er hielt es auf Schulterhöhe, sodass ich es nicht erreichen konnte.

»Hör gut zu«, begann Papa und machte ein ernstes Gesicht, »immer, wenn du eine Münze findest oder etwas verdient hast, wirf es in dein Sparschwein. Je schwerer es ist, desto reicher bist du. Irgendwann wirst du dir etwas kaufen können. Ein Auto. Eine Weltreise. Du darfst nur nicht schwach werden und dein Geld für Nichtigkeiten verschwenden.«


Damals war mein Leben zeitlos. Wenn es hell wurde, stand ich auf; wenn ich müde war, ging ich schlafen. Ich verbrachte meinen fünften Sommer im Garten. Ich suchte Bilder in den Rostflecken am schmiedeeisernen Gartenzaun, kletterte auf die Weide und suchte im hohen Gras nach leeren Schneckenhäusern. Wenn ich eine Münze auf der Straße fand, steckte ich sie in mein Sparschwein. Den Schlüssel dazu trug Papa an einer Schnur um den Hals. Manchmal schüttelten wir es, lauschten dem Scheppern, das mit jeder Münze lauter wurde, und malten uns aus, wie es sein würde, wenn ich reich wäre.

Abends lag ich erschöpft im Bett; die Kletterrosen hatten ihre Köpfe geschlossen und erzählten von einem fremden Duft der Süße.


Mama sah ich selten. Sie ging arbeiten, bevor der Tag anbrach, und kehrte erst wieder zurück, wenn ich auf dem Weg ins Bett war. Sie wirkte müde und abgekämpft. Traurig.

Eines Abends – ich lag schon im Bett – hörte ich Papa ihr vorwerfen, sie hätte gar keine Zeit mehr für ihn.

Glas klirrte.

»Such dir doch eine Arbeit!« Mamas Stimme klang weinerlich.

»Und wer kümmert sich um den Jungen?« Papa sprach leiser, ich verstand ihn kaum.

»Du weißt genau, dass ich mich kümmern würde, wenn ich nicht Tag und Nacht arbeiten müsste!«, rief Mama schrill; sie weinte.

»Hör doch mal auf!« Jetzt schrie auch Papa. »Du weißt, dass die Lage im Moment schwierig ist!«

Ich zog die Decke über den Kopf.


Mein unbeschwertes Leben nahm ein abruptes Ende, als ich in die Schule kam. Mama weckte mich, bevor sie arbeiten ging; zu Mittag aß ich in der Schule. Die vielen Kinder irritierten mich, ich wusste nicht, über was ich mit ihnen sprechen sollte, ich wusste von keinem, das leere Schneckenhäuser sammelte.

Abends musste ich Hausaufgaben machen, was mir schwer viel. Papa half mir oft, manchmal auch Mama. Sie konnte besser erklären als er, wurde jedoch oft wütend, wenn ich mit meinen Gedanken anderswo war. Dann kam Papa und zog mich mit dem Fußball unter dem Arm nach draußen.

»Weißt du«, sagte er dann verschwörerisch, »es gibt Wichtigeres im Leben als Hausaufgaben.«

Ich musste ihm recht geben.


Papa arbeitete immer noch nicht, während die Ringe unter Mamas Augen immer dunkler wurden.

Eines Morgens war Mama weg. An meinem Bettpfosten hing ein Zettel mit einer Telefonnummer. Ich kam zu spät zu Schule.


Ich wurde zwölf. Seit meinem fünften Geburtstag war das Gras nie geschnitten worden und im Laufe der Zeit in sich zusammengefallen. Der Gartenzaun war so von Rost zerfressen, dass man keine Bilder mehr darin erkennen konnte.

Und das Sparschwein wurde immer voller.


Dann begann ich zu arbeiten. Ich führte den Hund der Nachbarin aus und jätete ihre Blumenbeete. Sie war stets zufrieden mit mir. Die Blumen mochten mich, unter meinen Händen wuchsen sie schneller, sie schienen mehr zu leuchten und süßer zu duften. Ich bekam stets einen ordentlichen Lohn.


Es nieselte. Papa hatte mir den Arm um die Schultern gelegt. Wir kamen von der Bank.

»Warum haben wir das Geld nicht dort gelassen?«, begann ich, »Dann hätte ich jetzt ein Konto.«

Wir hatten die Münzen gegen Noten umtauschen lassen, und ich war überrascht gewesen, wie viel ich gespart hatte.

»Ach, weißt du«, sagte Papa gelangweilt, »vertraue fremden Leuten nicht dein Geld an, irgendetwas steckt immer dahinter!«

Es tröpfelte.


Als ich am nächsten Morgen erwachte, hatte der Regen aufgehört. Ich ging hinunter ins Wohnzimmer.

»Papa?«

Keine Antwort.

»Papa!«

Nichts.

Der Tisch war leer. Verwirrt schaute ich in die Spüle, doch nicht einmal Papas Kaffeetasse stand darin.

Ich ging hoch in sein Schlafzimmer. Die Vorhänge waren gezogen, das Bett leer. Ich öffnete den Kleiderschrank. Nur ein alter Pullover.

Ich setzte mich auf den Boden und begann zu weinen.


Erst später merkte ich, dass das Sparschwein verschwunden war.