Irene Diwiak (15)

rotlicht

hätte ich den bericht nur geschrieben, wie ich hätte sollen. und schwarz-weiß-foto drunter von leidenden gesichtern namenloser menschen. ich bin eben eine reporterin und bunte bilder liegen mir nicht, auch beim schreiben nicht. wollte halt höher hinaus als die anderen, ist auch gelungen, und jetzt sitze ich da in einem viel zu großen haus und blättere in einem liebesroman mit meinem namen drunter. mit rosarotem umschlag, dabei hätte ich so gern einen roten gehabt, weil, immerhin ist das blut rot und das haar vom fuchs auch und der dicke vorhang, den ich immer vor augen hatte beim schreiben, der nach rauch riecht. kann aber den verlegern nichts vorwerfen. die ganzen farben in diesem roman haben nichts mit der wirklichkeit zu tun. alles ist wahr, nur die farben nicht. deswegen muss ich noch einmal anfangen, in schwarz und weiß und rot, und dem ganz vielen grau, von dem keiner glaubt, dass es es gibt, aber es gibt grau, auch drüben gibt es grau, genau wie hier. und ich werde kein rosa mehr schreiben und auch sonst keine pastelltöne, weil sonst alles ein dicker brei wird, wie die anderen liebesgeschichten, die man so kennt. ich schreibe auf, was die leute gesagt haben, und mehr nicht. im roman hab’ ich alles bewertet, alles schön oder hässlich gefunden, aber dazu hab’ ich nicht das recht, weiß ich jetzt.

ich schreibe endlich, was die leute gesagt haben und was gewesen ist und was wahr ist.


der erste tag. ich lerne »mama« kennen. ihr haar ist gelb gefärbt, nicht blond. es regnet.


Man nennt mich Mama, weil Maria hier her doch wirklich nicht passt und ich irgendwie auch die Mama bin von allen. Weil ich mich eben sorge, vor allem um die Mädchen sorge ich mich und um die Zukunft. Bei euch werden sie alles Mögliche, diese Mädchen, Frau Doktor werden sie oder Professor, aber das ist hinter der Wand. Das verstehen Sie nicht, Frau Journalistin. Sie sehen die Wand nicht. Man kann sie nur im Rotlicht sehen. Schreiben Sie das nicht in Ihrem Bericht. Es klingt sonst, als würden die Mädchen an dieser Wand stehen und sich die Nase platt drücken und Frau Doktor heißen wollen, aber so ist es nicht. Wir kennen uns aus hier auf unserer Seite, und solang man sich nur auskennt, hat man überall ein angenehmes Leben. Besser im Elternhaus als woanders, und die Mama bin ich.

Ich zeige Ihnen mein Haus. Wir sind sechzehn Personen hier, mit mir, und mit Ihnen siebzehn, ich stelle Ihnen ein Sofa im Flur zur Verfügung, mehr können Sie nicht erwarten. Mein Budget ist klein. Ich führe Sie zuallererst in die Küche. Ich koche selbst, und hier am schweren schwarzen Tisch wird gegessen. Die hygienischen Vorschriften werden eingehalten, sofern sie Sinn machen und es mir möglich ist, aber ich bin keine Hausfrau, das sage ich ehrlich, ich gehe auch nicht irgendwie wirtschaftlich vor, mir geht es immer um meine Töchter, ja, Töchter sind die Mädchen. Aber wenn eine krank wird, das sage ich gleich, kann es nicht am Essen liegen. Schreiben Sie das, und auch vom Appetit der Mädchen und dass was Gutes so schwer zu kriegen ist für wenig Geld. Gehen wir in den Keller, wo die Zimmer sind. Erschrecken Sie aber nicht, es sind keine gemütlichen Zimmer und groß sind sie auch nicht, aber besser als die Straße bei diesem Wetter. Im ersten Raum schlafen fünf und im zweiten sechs. Es ist keiner da im Moment, weil alle ihren Geschäften nachgehen, gehen Sie nur rein in das Zimmer eins, wenn sie wollen. Das dritte ist leer und bleibt leer, man kann auch nicht hinein. Und das vierte ist meines.

Die Betten sind vielleicht schmal, aber sie sind sauber und weich. Dass die Sachen herumliegen hier, liegt daran, dass der Schrank zu klein ist für die Sachen von sechs Mädchen, man weiß ja, was die alles brauchen. Es ist das Zimmer der Jüngeren. Die Jüngste ist Carin, zwölf, und Hanako ist sechzehn, sie ist die Älteste in diesem Raum. Sie ist von weit weg hergekommen, was sie sich erwartet hat, weiß ich nicht, wahrscheinlich dachte sie, die Leute hier können durch Wände gehen, Jasmin dachte wohl auch so. Jasmin ist fast ganz schwarz, keine ganze Negerin, aber sehr dunkel schon und kommt von ganz unten im Süden. Jasmin heißt sie, weil ihren echten Namen sich keiner merken kann und weil sie so gut nach Jasmin riecht. Ich muss schon zugeben, sie liegt mir besonders am Herzen, weil sie so eine Frohnatur ist, das zählt schon viel hier, und sonst überall auch, hier ganz besonders. Aber zwischen Töchtern entscheidet man nicht. Und Sie werden noch sehen, wenn Sie eine Zeit lang bei uns leben, wie Sie sich es vorgenommen haben, dass keine hier Vorrechte hat, die Weißen nicht und auch nicht die Neger oder sonst wer, hier kriegen alle ihr Geld, das sie sich verdienen, und alle ihr Essen in der Früh und um vier Uhr nachmittags. Da sind wir schon besser als viele von euch, die zwar Doktor werden können, aber das war es auch schon. Wir sind wenigstens noch menschlich.

Das Zimmer Nummer zwei schaut gleich aus wie dieses hier, nur ist es für die Großen, die Frauen, zwei von ihnen haben schon Kinder. Natalia zum Beispiel ist die Mutter eines wunderschönen Mädchens namens Daisy. Das Kind ist erst drei und sehr süß. Große blaue Augen und dunkle Haare. Glauben Sie mir, ich ließe das Kind nicht in einem solchen Haus und in einem kleinen stinkenden Zimmer aufwachsen, wenn ich es verhindern könnte, aber die Straßen sind nass um diese Jahreszeit und zu jeder anderen auch. Draußen ist es immer kalt und nass, und die Bösen sind unterwegs. Man sagt bei euch hinter der Wand immer, dass wir die Bösen sind, insbesondere ich, aber das ist eine Lüge. Die anderen hier sind böse, Ihnen ist Ihr Notebook entwendet worden? Das hätte ich Ihnen gleich sagen können, die holen sich, was sie kriegen können, manchmal auch meine Mädchen, da werde ich aber wild. Und ich kann nicht verantworten, dass Natalia und Daisy mitten unter denen leben.

Die zweite Mutter in diesem Zimmer heißt Bahati, eine Negerin, als sie hergekommen ist, war sie schon dreißig und brachte einen zwölfjährigen Sohn mit. So was mag ich eigentlich gar nicht. Eine ab dreißig muss man quasi umsonst hergeben, und dann auch noch schwarz, und der Sohn muss auch durchgefüttert werden, nicht wahr? Und der größte Witz ist ja, dass der Sohn rotes Haar hat. Und jetzt sagen Sie mir einmal, Sie, die studiert haben, wie geht denn das zusammen? Ein weißer, rothaariger Junge, und der soll eine Negerin zur Mutter haben! Wo Bahati nicht einmal einen Namen für ihn hat und ihn alle Fuchs nennen, wegen der Haare, aber Fuchs ist jetzt doch wirklich kein Name. Bahati beteuert aber, dass es ihr Bub’ ist, und er nennt sie auch Mutter, Bahati will ihn immer aus allem raushalten und nicht arbeiten lassen. Irgendwann habe ich gesagt, so geht es nicht, andere tun was für ihr Geld und Essen, aber Fuchs schmarotzt einfach mit, und dann habe ich einen Zuschlag von zweihundert verlangt, wenn sie den Jungen hier behalten will. Und zweihundert ist viel, eigentlich zu viel, es war mehr so ein Test, ob sie ihn nicht doch loslässt, wenn es um Geld geht. Aber sie hat einfach mehr gearbeitet, zwanzig an einem Tag, und alles hat sie gemacht, wofür man Geld kriegen kann. Das Bett muss sie sich auch teilen mit dem Jungen, aber das ist ihr egal, und jetzt ist er siebzehn und passt am Abend und auch tagsüber auf Daisy auf. Er ist wie seine Mutter, will die Kleine auch beschützen von allem. Ich würde gerne glauben, dass er der Sohn ist, wäre da nicht die weiße Haut und das rote Haar, sofort würde ich es glauben.

Aber das sind ja nicht Ihre Sorgen, die Leute gehen Sie nichts an im Speziellen, meine ich, es geht nur um die Lebensumstände, das haben sie ja bereits gesehen, sechs schmale Betten in einem Zimmer und ein zu kleiner Schrank. Das Klo ist übrigens am Gang und auch die Dusche und das Waschbecken. Hier, in dieser kleinen Kammer. Das muss Fuchs putzen, ich mache eine solche Arbeit nicht, man darf sich in meiner Position nicht ganz verbrauchen, das Kochen hat meine Hände schon genug abgenützt, und ich habe Brandblasen vom spritzenden Fett. Gehen wir wieder hinauf, immer die Treppe hoch. Ich habe sie letztes Jahr renovieren können, sie knarrt nicht mehr und ist edelweiß. Gehen Sie weiter, bis zum Dachboden hinauf. Wie Sie sehen, hier ist es schon viel gemütlicher, die freundlichen Tapeten und der Teppichboden und an jeder Wand ein Spiegel. Die Zimmer sind besetzt, vielleicht hören Sie das leise Klopfen aus den Räumen, es hört sich an wie ein Metronom manchmal, aber ich will Sie nicht belästigen, gehen wir wieder in die Küche. Hier oben sind vierzehn Zimmer, sie sind alle sehr klein, aber sehr gemütlich. Ich möchte sagen luxuriös. Wenn auch rundherum der Schmutz steht, daran darf man in den Zimmern mit den feinen Bettüberwürfen und den schönen Samtvorhängen nicht denken. Und ein Schreibtisch steht in jedem, es verleiht ein Gefühl der Geschäftigkeit und Arbeit. Man muss sich oft daran erinnern, dass es Arbeit ist. Und dort drüben führt eine Treppe von draußen herauf. Es braucht nicht jeder Dahergelaufene durch unsere Wohnung gehen und seinen Dreck hinterlassen.

Es ist schon zehn. Sie finden selbst hinunter? Ich erwarte hier noch Gäste. Und seien Sie morgen um spätestens elf wieder auf. Wir sind nicht so genau mit dem Aufstehen, wir arbeiten ja auch lange, aber nur bis elf gibt es Frühstück. Und das gibt es nicht in allen Haushalten hier, glauben Sie mir, gute Nacht!


der zweite tag. ich lerne in der küche jasmin und leni kennen. die sonne scheint.


Ich bin Jasmin und das ist Leni, meine Freundin. Heute am Nachmittag gehen wir in die große Stadt. Wir müssen das Geld in einem Beutel tragen und den um den Hals unter unserer Kleidung. Wir kaufen uns neue Sachen. Ich will Schuhe haben, die hochhackig sind und schwarz, und Leni braucht endlich Lidschatten, der zu ihren blauen Augen passt. Die sind doch der Hammer, diese Augen, die muss man richtig betonen, und wenn es sich ausgeht, kauf’ ich noch für uns beide ein Diadem. Wahrscheinlich nur eines aus Plastik, aber das wird sich schon gut machen. Das wird auch Mama freuen, wenn wir so schöne Kinder sind. Sagen Sie es nicht weiter, aber eine wie Carin bringt ja nichts, mit so wenigen Haaren am Kopf. Mama versucht das zu vertuschen mit einer Haube, aber irgendwann nehmen sie die Haube ab, und dann ist sie da, die böse Überraschung. Das kann bei Leni und mir nicht passieren, vor allem Leni, ich finde, sie ist die Schönste hier, wegen der schönen Augen, aber dafür riech’ ich besser. Ich riech’ nach Jasmin, einfach so, von mir selber aus, darauf bin ich mächtig stolz. Darum nennen sie mich auch so.

Ich brauch’ nur noch passende Schuhe, dann ist es perfekt.

Ja, und erst recht mit einem Diadem! Sagen Sie es nicht Mama, aber so schön gemacht geh’ ich nicht als Erstes heim, so geh ich als Erstes Tim besuchen, der kriegt mich als Geschenk, weil er der liebste Mensch ist und der Beste, aber das versteht Mama nicht. Leni versteht das schon, darum sind wir so gute Freundinnen, und sie wird bestätigend nicken, wenn ich behaupte, dass wir uns verlaufen haben. Dabei ist das ja lächerlich, wir und verlaufen, wir kennen uns ja besser aus hier als alle anderen. Aber Mama wird es glauben, ich werde mich auch beeilen, und es ist besser, wenn Tim nicht zu viel auf einmal kriegt, sonst hat er zu schnell genug.

Leni hat keinen Freund, so wie ich. Weil sie so schlecht im Lügen ist. Deswegen muss ich ja immer bei ihr sein. Ohne Lügen kommt man ja doch nicht weiter, da kommt man nur um. Aber wer würde mich, oder auch Leni, lieben, wenn wir nicht lügen, und wenn es einen Grund hat, ist Lügen gerechtfertigt, sage ich mir.

Was wollen Sie noch hören?

Über die Leute. Da weiß ich schon einiges zu sagen. Carin ist eben die Jüngste, hat Haarausfall, und keiner weiß, woher. Sie ist eigentlich nett, aber sie weint immer, wegen jedes Blödsinns weint sie, und Blödsinn passiert viel hier, aber man darf es ihr nicht übel nehmen, sie kennt sich eben noch nicht aus. Dann sitzt da Hanako, die ist auch ganz nett und sechzehn. Sie hat sehr lange Beine, und da macht es nichts, wenn die Nase zu kurz ist, und aus Asien ist sie, aber sie erzählt nie was von ihrer Heimat und redet auch sonst nicht viel. Dann natürlich noch Leni, die meine beste Freundin ist. Die großen Frauen sind nicht in meinem Zimmer, aber ich kenne sie schon gut, weil wir ja so eng zusammen wohnen, nicht wie eine Familie, anders irgendwie.

Das sechste Bett? Steht leer. Fragen Sie nicht mehr.

Und Fuchs und die kleine Daisy leben auch hier. Ich weiß nicht, wo sie jetzt sind, und es ist mir auch herzlich egal, ob sie was zu essen bekommen oder nicht. Das Mädchen mag noch klein sein, aber der Junge hat überhaupt keine Art, und ich lebe schon so lange hier und bin einiges gewohnt. Fuchs flucht nur und schreit, den lieben langen Tag und in der Nacht, während wir uns den Arsch abschuften. Leni findet ihn hübsch, aber ich hab ihr schon gesagt, das wird nie was, und wenn Sie mich fragen, der ist geistig nicht normal.

Aber lang bleib’ ich eh nicht mehr da und Leni auch nicht.

Sagen Sie das bloß nicht Mama.

Sie glaubt, dass wir glücklich sind, weil wir uns auskennen und so, aber das stimmt nicht. Vielleicht sind wir unbeschwert. Aber das kann ja nicht alles sein, sag’ ich mir, von Luft und Wasser und Essen zu leben. Das sagt Leni auch, aber sie ist sich nicht ganz sicher, was Glück ist, sie weiß sowieso nie, was sie glauben soll, und glaubt dann Mama, was dumm ist, weil Mama nicht gebildet ist oder so was. Sie ist nett und macht Essen. Aber egal, was Mama sagt und was Leni, das ist kein Leben für uns. Aber schreiben Sie, dass es an nichts fehlt hier. Guten Tag.


der zweite tag, später. ich lerne fuchs kennen.

er schleicht im treppenhaus an mir vorbei, und ich weiß, dass es er ist, wegen der roten haare und weil er doch noch jung ist. alte männer laufen gelegentlich hier ’rum, sagt mama, gesehen hab’ ich keinen, kommen wohl beim anderen eingang herein. gesehen hab’ ich nur fuchs und er hat sein gesicht gesenkt und die haare davor, und ganz schnell gegangen ist er. ich wollte ihn um ein interview bitten, aber da ist er nur noch schneller und war weg. immer noch schönes wetter.


der zweite tag, abends. das flursofa steht nun in einer fensterlosen kammer, und jasmin kommt mit dem schlüssel. kein wetter mehr, nur vorhang.


Ich muss jetzt zusperren. Mama sagt, das ist unbedingt notwendig, und jetzt muss ich noch tun, was sie sagt, es ist besser so. Weil Samstag ist und viel los. Heute kommen auch die Reichen, die Berühmten, es ist besser, wenn Sie sie nicht zu Gesicht bekommen. Sie unterlassen es ja doch nicht, darüber zu schreiben, oder? Dann sind wir alle dran, dann wird das Haus verkauft. Alles, wofür Mama gelebt hat, ist dann kaputt, das wollen Sie auch nicht. Morgen, nachdem Sie aufgestanden sind, kommen zwei und holen Ihr Bett in den Flur. Weil der Flur doch besser ist, mit den Fenstern, und da können Sie dann auch auf und ab gehen. Die Lampe ist kaputt, glaub’ ich, es wird finster sein, und der rote Vorhang verdeckt die Flecken an der Wand, und die Stellen, wo der Putz abgebröckelt ist. Es ist wirklich nur samstags, und es tut mir aufrichtig Leid. Aber zusperren muss ich doch, damit die Versuchung nicht zu groß ist. Gute Nacht, Frau Journalistin, schöne Träume wünsche ich Ihnen, ich selber träume immer schön, als Einzige hier.


lange zeit warten. notizen unleserlich, da im dunklen geschrieben. und dann noch die neugierde. hin und wieder geräusche am gang, schritte und worte. verstehe nichts. möchte nicht mehr eingesperrt sein und kenne mich auch nicht aus. versuche, mich auf irgendetwas spezielles zu konzentrieren. kinderlieder. während ich summe, wird es still um mich.

und dann wieder schritte. kratzen an der wand. ein schlüssel dreht sich im schloss. fuchs steht da, und er trägt daisy am rücken.


Alle sind weg. Das ist selten, dass alle weggehen, wirklich alle. Meistens wollen sie nicht gesehen werden. Aber heute sind sie gut drauf. Schleppen alle Frauen zu einer Party. Weiß nicht, ob es so ausgemacht war. Wird schon so gewesen sein. Weil, wenige Frauen leben hinter der Wand, oder sie verstecken sich, aber das wird »Mama« schon erzählt haben, sie redet immer von der Wand. Solche Partys sind immer scheiße irgendwie, sagt Leni. Aber da sind die Promis und die haben’s dick, um damit um sich zu werfen. Dann kaufen sich die Mädchen wieder neue Kleider und Schminke, anstatt … Vergiss es. Ich hol dich heraus. Die Kammer benutzt keiner mehr, weil sie dreckig ist. Früher hat »Mama« Lebensmittel hier gehortet. Aber wir haben nichts mehr zum Horten, und ungesund wäre es wahrscheinlich auch. Der ganze schöne Vorhang, nur um den Dreck zu verstecken. Als wenn sonst alles sauber wäre.

Das ist Daisy. Sie ist meine Schwester. Sie ist meine Schwester und Bahati meine Mutter, aber alle glauben ja an das Gen-Zeug und so, da lass’ ich sie im Irrglauben, halten mich eh alle für blöd. Ob’s an den Haaren liegt, aber die brauchen nicht so tun, als hätten sie was gegen Rot, sie machen sich die Lippen rot und die Wangen und Kleider, und das Licht auch. Gegen Männer haben sie sowieso was, weil die böse sind. Aber sie bringen auch das Geld. Ich bin keiner dieser Großmäuler mit Goldzähnen. Ich bin ein Löwe, nicht nur ein Fuchs. Ich schütze alle. Das kapiert keiner, und warum ich das tu, das weiß ich selbst nicht, nicht einmal Mutter weiß es. Und Mutter ist eine kluge Frau, klüger als »Mama«, aber wer glaubt das schon. Nur Daisy weiß es. Ich bin kein Heiliger. Ich will kein Geld und schon gar nicht Anerkennung, darauf scheiß’ ich, aber den Löwen brauchen die Frauen. Und Sarah.

Sarah? Das ist die große Schwester von Leni. Nicht Schwestern wie Daisy und ich. Sie haben dieselbe Mutter gehabt, eine von der anderen Seite. Aber elender und grausiger als alle Menschen von hier, die ich kenne. Und ich kenne alle.

Sarah wohnt auch hier. Nicht im Zimmer von den jungen Mädchen, sie ist schon achtzehn, aber auch nicht bei den älteren. Sie ist krank. Dafür hat niemand Verständnis, nur Leni und ich. »Mama« hätte sie sterben lassen und die anderen auch. Auch meine Mutter und Jasmin, sie sagt: »Was nicht mehr geht, geht nicht mehr.« Mutter sagt nichts dazu, aber sie denkt es sich sicher. Die haben keine Ahnung von … Vergessen sie es. Ein Leben zwischen lauter Frauen und im Bett seiner Mutter machen weich, glaub’ mir das. Für dich hat »Mama« das Sofa rausgerückt, es ist ihr privates und bisher in ihrem Zimmer gestanden, für mich hat sie das nicht getan, aber was soll’s.

Sarah sehen? Warum? Willst du ein nettes Foto machen? Für die Titelseite? Eine tolle Geschichte schreiben? Willst du vielleicht auch noch Krankenakte sehen? Weißt du was? Hau ab!


unten wieder in der kammer auf meiner, nicht fuchs’, couch und rote vorhänge vor meinem gesicht. fuchs hat nicht zugesperrt, weil er weiß, dass ich nicht mehr hochkomme. höre daisy schreien, dann nur noch brabbeln, dann wieder still. muss meine uhr irgendwo im haus verloren haben. es dauert aber lang, bis ich wieder stimmen höre und schritte. es sind die mädchen. sie sind anscheinend enttäuscht vom abend. vergleichen ihre einnahmen. höre zahlengemurmel und das erleichterte aufatmen, wenn sie aus den stöckelschuhen schlüpfen. und wieder stille. schlafe dann doch ein, was ich nicht gedacht hätte.


der dritte tag. es wird wieder die tür geöffnet. diesmal leni. redet nicht mit mir. zwei ältere kommen und tragen die couch. frühstückszeit an mamas tisch. wieder schönes wetter – für mich.


Die Mädchen, müssen Sie wissen, hatten keinen Spaß gestern, deswegen essen sie auch so wenig und reden kaum. Es muss solche und solche Tage geben. Partys sind beliebt, weil sie einen über die Wand katapultieren, als wäre nichts, aber eben auch zurück, und da tut der Aufprall weh. Wenn man nicht so viel gekriegt hat, wie man dachte, brechen alle Knochen, aber immerhin sind sie versorgt mit Essen und Zigaretten zurückgekommen, ja, und Bares auch, natürlich. Sie hätten sich eben fein kleiden wollen nach dem Abend, aber wenn man so alt ist wie ich, weiß man, über die Wand zu kommen heißt gar nichts. Ist sogar schlimmer noch als hier, wenn nur für einen Abend. Was man einmal hat, will man nicht mehr hergeben, weiß man ja.

Jetzt werden die Zeiten härter, wenn nächste Woche auch Carin dreizehn wird, bis sie die Regel kriegt, kann es nicht mehr lange dauern. Wenn sie doch hübsch wäre, oder wenigstens frisch, aber das ist sie ja nicht, sie hat ja fast keine Haare mehr und angenommen wurde sie nur als Kind. Und Jasmin, so gern ich sie habe und vor allem ihren Geruch und dass sie so mädchenhaft ist, sie ist eben schwarz. Dann bleibt noch Leni, und Sie wissen ganz genau, was ich hab’ an diesem Kind. Auf der Party gestern hat niemand die Augen von ihr gelassen, obwohl sie nur da gestanden ist, schüchtern und eingepackt bis zum Hals, aber so schön. Das arme Ding, aber sie hat am meisten Geld bekommen und einer vom Film hat zu ihr gesagt … aber die Männer sind immer vom Film, wenn es darum geht, aber Geld, Geld ist nie, Hochstapler.

Wie das ist mit den Finanzen? Ein Drittel geht an mich. Wegen Hauserhaltung und Essen und so. Da ist es nicht anders als auf der anderen Seite der Wand, es muss Steuern geben und Regeln, und würden wir das endlich verstehen, wäre die Wand nicht, sage ich, und wir hier sind am besten Weg zum Einriss, sage ich. Der Rest darf behalten werden. Das ist nicht viel, wenn man nicht Leni ist. Die anderen sind ganz eifersüchtig, auch die Großen, Natalia vor allem, weil sie doppelt zahlen muss, Bahati schweigt darüber mit starrem Blick, sie weiß, was ich sagen würde, wenn sie sich beschwert. Schick den Jungen weg. Fuchs ist ein Gespenst in unserem Haus, schlecht gelaunt, aber was meinen Sie, wie es mit so vielen Frauen sein muss, er findet besseren Anschluss auf der Straße. In Verbrecherbanden, aber kleine Verbrecher sind sie ja alle, die Männer, aber wir sind abhängig von ihnen, solange wir unabhängig sein wollen. Warum Bahati nur so an ihm hängt, und die kleine Daisy wird wohl auch wie er werden, wenn er sie weiter mit sich herumschleppt in seiner grimmigen Miene. Bei einem Mann mag Grimm noch einen seltsamen Reiz haben, aber eine Frau, die nicht lächelt, ist verloren. Und wenn sie nur so tut als ob, aber kleine Kinder lernen das Grimassenziehen, das Lachen wie das grimmige Schauen, vom Vater. Daisy hält Fuchs anscheinend für einen, den Richtigen werden wir alle niemals kennen lernen, arme Natalia, so was ist lange nicht passiert. Und wenn … aber das ist etwas anderes, und über so was brauchen Sie nicht zu schreiben und auch nichts zu wissen. Dass Daisy hier lebt, dürfen Sie auch nicht schreiben, Sie können es sich denken. Wenn es um so was geht, sprengen die da drüben die Wand, nur um Natalia das Kind aus den Armen zu reißen und mitzunehmen, dann geht alles weiter, ohne Daisy, und die Wand ist größer als vorher. Denken Sie auch an Fuchs, er ist so unberechenbar, und er hängt an ihr und an …

Sarah? Sie kennen Sarah? Haben gehört von ihr. So ein Tick von Fuchs und Leni. Völlig sinnlos, weil sie doch schon tot ist, nur mit dem Körper noch nicht, aber sonst alles. Sie müssen es endlich verstehen, wenn sogar schon Jasmin das sagt, und sie hat immer Hoffnung, immer.

Sarah sehen? Das geht nicht. Ich muss jetzt weiter. Es geht Sie nichts an, wohin. Schieben Sie heute Abend die Couch wieder in die Kammer. Machen Sie es selbst, oder ich muss es tun, aber ich lasse keine Vorsicht walten. Heute Abend wird es lauter, wieder einmal.


viel später gefunden. brief von leni. wahrscheinlich am dritten tag spät oder am vierten früh geschrieben. hier beginnt der roman. regen und sonne gleichzeitig.


Fuchs,

ich hab Zigaretten bekommen, gestern, jede Menge Zigaretten. Ist das nicht lustig, wo ich doch nicht rauche? Ich habe es dem »Grafen« nicht sagen können (du weißt, wer der Graf ist, sonst frag deine Mutter, die wird es dir sagen), das wäre unhöflich gewesen.

Findest du das Wetter nicht auch sonderbar? Ich finde Sonne viel schöner, wenn ich drinnen sein muss. Heute Abend bleib ich herinnen, und du?

Ich habe Jasmin nichts gesagt von den Zigaretten und schon gar nicht Hanako, du weißt, wie gern sie rauchen, und auch Mama hab ich nichts gesagt. Ich würde sie gerne selber nehmen, weil Jasmin immer sagt, wie wunderbar es schmeckt und beruhigt und etwas ist, nachdem man sich sehnen kann, so wie nach Tim. Aber ich bin noch nicht so gut, dass ich beruhigt genießen darf und sehnen. Ich muss noch sehr lange arbeiten, bis das geht. Geld hab ich schon. Einen Teil in der Sohle der hohen, rosa Schuhe, den größeren in einer kleinen schwarzen Geldbörse in der Matratze, was nicht fantasievoll ist, aber sicher genug, glaube ich.

Bevor ich es vergesse, Schokolade, jede Menge Schokolade hab ich auch!

Ich finde es zu warm für diese Jahreszeit. Ich mag es lieber kalt und im weißen Nachthemd auf meinem Bett sitzen. Du solltest einmal kommen und mich sehen, im tiefsten Winter. Wenn die anderen nicht wären.

Es dauert noch lange, bis ich genug Geld habe.

So lange muss ich arbeiten. Deswegen schicke ich dir meine Zigaretten. Mach dir ein paar schöne Minuten, wenn du dich nicht gerade um irgendetwas sorgst, Fuchs. Und die Schokolade. Iss du sie. Weil du meiner Schwester und mir immer zur Seite stehst. Danke.

Ich finde deine Haare so schön, Fuchs, und dein Name passt so gut dazu.

Aber dass du so grob warst zur Reporterin, das will mir nicht in den Kopf. Sie ist nicht eine von denen. Wenn sie eine von denen wäre, hätte sie schon so viel kaputtfotografiert. Vielleicht hat sie Geld. Es ist nicht die feine Art, sie darum zu bitten, aber wenn sie Sarah nur einmal kurz sieht, dann weiß sie, dass wir es nur fein meinen. Jasmin will auch weg.

Red mit der Reporterin, bitte red mit ihr.

Pass auf Daisy auf.

Ich hoffe auf baldige Kälte.

Leni


vierter tag. zu mittag. hab wieder in der kammer geschlafen, wie mama gesagt hat. habe trotzdem laute geräusche gehört und bin immer wieder aufgewacht. jetzt laufen die menschen herum, im flur, auf den treppen, sitzen im zimmer, wie in einem normalen haus, als hätten alle geschlafen. als ich am weg zum mädchenzimmer bin, fotos machen (aber nur die gesichter), packt fuchs mich am ärmel, er zieht mich, ohne was zu sagen, am ärmel in das dritte zimmer, »das leere«, es riecht nach abgestandener luft, nach saurer milch und nach eingetrocknetem erbrochenenen. ein bett in der mitte. etwas liegt darin, zu dünn, zu wenig, um es zu erkennen, und haarsträhnen schauen heraus unter dem viel zu dicken bettzeug, sie sind kastanienbraun und tot. die augen sind geschlossen.


Hier bin ich, wenn Daisy schläft, zu Mittag und in der Nacht. Daisy soll das nicht sehen.

Das ist Sarah. Sei still. Sie schläft jetzt. Sie ist nur an die Stimmen von Leni und mir gewöhnt. Alles andere macht ihr Angst. Das kann sie nicht sagen, aber ich weiß es. Sie liegt hier, weil sie nicht mehr isst und trinkt. Wir wissen nicht, warum. Und verdammt einmal, halt das Maul, du musst leise sein! Ich weiß wirklich nicht, warum. So was kann man nicht wissen. Sie hat gesagt, dass sie schmutzig ist, und kein Essen verdient. Das ist ja lächerlich, sie ist doch nicht schmutzig, nicht mehr als wir alle und sogar du. Ich mag sie, und weil sie zu Leni gehört. Ich gebe ihr Milch, aber sie nimmt nichts auf. Sie kotzt. Deswegen muss ich vorsichtig sein. Nie zu viel auf einmal. Sie weiß gar nicht, wie sie Leni straft. Und krank macht. Manchmal würde ich am liebsten das Kissen nehmen und drauf, nur damit Leni endlich frei ist. Was mit mir ist, ist mir egal, weißt du? Wenn man von hier ist, darf man nicht zu viel auf sich geben, macht nur krank, wie Sarah.

Trink schon, die Milch ist frisch, das haben wir nicht oft hier, es ist kein Dosenfutter, nur frische Kuhmilch für eine blöde Kuh, aber ich mag dich doch, ich will dich ja lieber lebendig als tot, zier dich nicht und trink. Ich rede mit ihr, weil Leni sagt, diese Art von Zuwendung hilft, aber sie antwortet nicht. Sie muss leben, wegen Leni. Wir werden die Krankheit heilen.


viel später gefunden. brief von fuchs. wahrscheinlich am vierten tag spät geschrieben.


Leni, hör zu, du rauchst jetzt selbst die Zigaretten und isst die Schokolade. Und wenn es sein muss, schlag ich dich, bis du es machst, und du weißt, ich mach das wirklich. Ich drohe nie. Du machst dich krank. Mir reicht eine. Wie soll man Genuss verdienen, sag mir das, Leni, das geht nicht. Du bist doch nicht so blöd. Ich muss jetzt ehrlich sein. Ich hab immer an dich geglaubt und an Sarah. Aber sie nimmt die Milch wieder nicht und wiegt nur noch zwanzig, glaub ich, die Reporterin war auch geschockt, aber sie hat kein Foto gemacht, darauf hab ich geachtet. Wenn du weg willst, geh jetzt gleich. Mit Jasmin. Ich kenne ihren Plan, obwohl sie das nicht weiß, ich höre immer mehr als man glaubt. Ich bleibe dann da und flöße Sarah Milch ein. Vielleicht kann ich sie dir einmal nachschicken, wenn sie stark genug ist. Das Gemeinsamgehen war eh eine blöde Idee. Ich kenn mich halt hier aus und sonst nirgends. Und jetzt rauch und iss deine Schoko und schreib mir, wenn du Zeit hast.

Fuchs


fünfter tag. musste die nacht nicht in der kammer verbringen. es waren nicht so viele da, dass sie keinen platz in den zimmern gehabt hätten. bin ausgeschlafen und munter. frühstück verläuft ungewöhnlich still. bin auf dem weg von der küche hinauf zu den mädchenzimmern. hab’ meinen fotoapparat irgendwo liegen lassen. so was wird gerne gestohlen. hebe meinen arm, um ans zimmer der kleinen mädchen zu klopfen. als ich klopfen will, hält sie jemand von hinten fest. es ist fuchs, und er zieht mich in das zimmer von sarah, es tut weh, er greift fest zu mit einer hand. in seinem arm trägt er daisy. sie weint. sie weint nicht laut wie ein kleines kind, sondern lässt still die tränen rinnen. regen klopft an die scheibe.


Einen Hunderter. Einen Hunderter musst du mir geben. Oder zwei. Frag nicht blöd herum. Her damit! Sarah? Ist nicht hier. Das siehst du doch! Ich brauche Geld! Und ich brauche es jetzt und nicht für mich. Hör zu, verdammt, ich will kein Dieb sein, aber du hast es doch, du bist von hinter der Wand, du musst es haben, verkauf deine Story von uns asozialen Tieren hier, und du hast das Geld wieder. Hör auf, nach Sarah zu fragen, und rück raus mit allem, was du hast. Und lüg nicht, ich hasse Lügen, ich bin selber immer ehrlich zu allen, und ich weiß, dass du dein Portmonee mithast, in der Tasche deiner Jeansjacke. Gib mir das Ganze! Du weißt, dass ich unberechenbar bin, das weißt du doch, und du weißt, dass ich Versprechungen immer wahr mache, immer. Ich bin einer von hier, wenn ich auch in einem Haufen Weiber aufgewachsen bin und die Kranken und Kinder pflege, bin ich einer von hier. Wer von hier ist, ist böse. Wer von hier ist, beißt und kratzt nicht, sondern schlägt mit den Fäusten oder nimmt ein Messer, du solltest das doch wissen. Und schreib es auf, schreib es in deinen verfluchten Artikel, schreib genau auf, was ich sage: Ich bring’ dich um. Wenn es sein muss, bring ich dich um, vor den Augen von Daisy und überhaupt allen und Gott, und er wird wissen, dass ich es für Leni tue. Wie ich immer alles für Leni tue, in der Früh aufstehen und essen und trinken, ich bin nicht ignorant, wie Sarah es war. Aber ich weiß schon, es war eine Krankheit. Ein Virus oder Bakterien oder so was. Eine Seuche vielleicht.

Gib mir das Geld! Du weißt auch, dass das kein Platz ist für Leni. Sie muss über die Wand. Zum Film vielleicht. Weil sie so schön ist. Und so dumm, und glaubt, dass sie arbeiten muss, und nicht weiß, dass man die Freiheit angeboren hat. Scheiße, was ich schon wieder red’, es macht mich krank, meine eigenen Weisheiten und doch nichts dahinter. Alles nur leeres Gerede. Am Ende zahlt man doch für alles.

Also bitte ich dich. Ja, ich bitte dich. Gib mir das Geld. Bitte.


viel später gefunden, wahrscheinlich geschrieben am fünften tag gegen mittag. brief an fuchs.


Wo ist Sarah?

Leni


am fünften tag, nachmittag. ich hatte wirklich kein geld dabei gehabt beim überfall am vormittag. die couch steht wieder im gang. vermisse aber die roten vorhänge der kammer. weil ich nicht denken kann, wenn ich die weiße decke sehe, die nicht her passt, kein bisschen grau. begutachte meine notizen. mama ist viel zu diskret. hab’ keine guten storys über das leben. fühle mich fast wie in einem mädcheninternat, wenn das rot nicht wäre. eine dunkelhäutige frau läuft vorbei, sie trägt daisy im arm, die immer noch weint. ich sehe es ganz genau, dass sie inzwischen nicht aufgehört hat. der regen wird stärker.


Mein Sohn. Fort. Einfach weg. Mein Fuchs. Mein rothaariger, mein leiblicher Sohn, das weiß ich! Und ist er nicht perfekt gewesen, so war er gut, so unglaublich gut, mein Sohn. Lesen kann er und schreiben, in zwei Sprachen, in meiner und in der Landessprache, aber das weiß keiner, glaubt keiner. Niemand hat ihn gemocht, aber ich umso mehr. Ich bin seine Mutter! Was denkt er sich, uns so alleine zu lassen, mich und seine Schwester, aber der Junge denkt ja nicht. Einen Brief hat er hinterlassen, als Letztes. Als würde er nicht wissen, dass ich nicht lesen kann. Und alle Arbeit umsonst gewesen und im Alter einsam.


jasmin.


Alles nur erfunden. Ich rieche gar nicht wirklich nach Jasmin. Ich stehle Parfums, in der Stadt. Von mir selber aus rieche ich nach Schweiß und saurer Milch. Ich bin auch nicht fröhlich. Nie. Nur freundlich, und mache, was man von mir erwartet, zu tun.

Es gibt keinen Tim. Ich hasse alle Männer. Es wäre nur so schön, wenn einer da wäre, den ich nicht hassen muss, der schön ist und auch schön zu mir. Und wenn es einen Platz gäbe, wo ich hin könnte, wenn ich weglaufe. Dann denk’ ich an Tim, denk’ daran, wie er an der Mauer der Parfümerie lehnt und lange Haare hat und meinen Geruch mag. Ich erzähle dann Leni davon, als wäre alles echt. Wenn es für Leni echt ist, muss es für mich auch echt sein, oder? Was anderes geht ja nicht! Es kann nicht einmal echt und einmal falsch sein, das ist unlogisch, entweder nur echt oder eben nicht. Ich muss ihn nur finden, Tim, und nach Jasmin riechen, immer weiter, nicht ekelig werden, nur weil ich ich bin, bin ich nicht ekelig, oder? Und weil ich tue, was ich tue, aber ich muss ja … Aber bald gehe ich zu Tim.


blättere im roman. liebe, immer wieder habe ich von der liebe geschrieben, nur von der großen liebe. im letzten kapitel sind fuchs, leni und sarah auf der anderen seite der wand angelangt. sarah kann wieder laufen und ist schön, leni trägt ein schönes hochzeitskleid und rosa schuhe. von der anderen seite habe ich nichts mehr erzählt. ich wollte nur die protagonisten in sicherheit wissen. dafür hab’ ich unheimlich viel vergessen und gelogen. aber es hat mich beruhigt. ich schreibe am liebsten über das wetter und mag rosa lieber als rot. wenigstens am ende. aber diesmal geht es ums fertigmachen. fertig machen, wie es war.


der abschiedsbrief.


Wir sind fortgegangen.

Sarah, Leni & Fuchs