Irina Maria Zamfirescu (17)

Eines Tages

Sieben Uhr. Der Wecker klingelt schrill. Der Mann streckt seine linke Hand aus und drückt auf den Knopf. Seine Hand weiß genau, wo der Wecker und wo der Knopf auf dem Wecker ist. Er steht auf, steigt in seine Hausschuhe.

Der Mann deckt das Bett zu, zupft die Ecken der Decke sorgfältig zurecht.

Im Zimmer gibt es nur ein Bett, einen Stuhl und einen Tisch aus hellem Holz. Vor einigen Jahren hatte er die Farbe schön gefunden. Jetzt bemerkt er sie nicht mehr. Der Mann geht zum Fenster und öffnet es. Er schaut auf das Thermometer. 23 Grad Celsius, liest er.

Er geht ins Badezimmer, putzt seine Zähne, rasiert sich. Er wäscht sein Gesicht und seine Hände. Das Handtuch faltet er zusammen und legt es in einen Korb neben dem Waschbecken.

Er zieht sich an. Dann geht er in die Küche und bereitet das Frühstück. Ein kleines Brötchen mit Käse und Schinken, Tee. Er schaut auf seine Armbanduhr. Sieben Uhr 30. Er spült seinen Teller, die Tasse, reinigt den Tisch.

Eine dünne Jacke aus dem Schrank neben der Küche, die Aktentasche vom Stuhl. Er greift nach den Schlüsseln, die an dem Schlüsselhaken hängen sollten, aber seine Hand berührt nur das kalte Metall. Er schaut den Schlüsselhaken lange an, seine Hände zucken. Die Schlüssel liegen auf dem Boden. Er zögert, bevor er sich vorbeugt und die Schlüssel aufhebt.


Der Mann geht die Straße entlang zur Bushaltestelle. Er weiß alles über seine Straße, alle Steine, die im Weg liegen, alle Unregelmäßigkeiten des Asphalts, die Anzahl der Schritte, die er bis zum Ziel machen muss. Als er noch zum Himmel geschaut hat, kannte er auch die Wolken, die über seine Straße schwebten, es waren immer die gleichen. Er hat einmal, vor langer Zeit, bemerkt, dass die Umrisse der Wolken wie bei Puzzle-Stücken zusammenpassten. Aber er hat nie versucht, das Puzzle zu lösen. Die Steine, die in seinem Weg liegen, räumt er auch nicht aus dem Weg.


Der Bus hält gerade an; »Eine Minute zu früh«, seufzt der Mann, steigt ein, setzt sich auf seinen Platz, direkt gegenüber dem Hintereingang. Er senkt den Kopf und starrt seine Hose an.


An der fünften Station steigt er aus, betritt das graue Gebäude neben der Haltestelle. Dritter Stock, zweite Tür. Er drückt die Klinke.


Der Mann tritt ein, hängt seine Jacke an den Kleiderhaken neben der Tür. Fünf Schritte, er steht vor seinem Schreibtisch.

Auf seinem Stuhl sitzt ein Fremder. Die Hände des Mannes zucken.

»Mein Platz«, sagt er leise. Seine Stimme ist heiser, wie bei Menschen, die selten sprechen.

Der Fremde dreht sich nicht um. Erst jetzt bemerkt der Mann, dass der Fremde schreibt. An seinem Computer. Die fremden, schmutzigen Finger berühren die schwarzen Tasten. Der Mann ballt seine Hände zu Fäusten. Er steht reglos da, während Sekunden langsam verstreichen. Er kann spüren, wie das Blut in seinem Gesicht pulsiert.

»Sie sitzen in meinem Büro«, sagt er leise. Er räuspert sich, dann etwas lauter: »Sie sitzen in meinem Büro.«

Der Fremde antwortet nicht.

»Sie sitzen auf meinem Stuhl.«

Der Fremde dreht sich um. »Sie irren sich«, sagt er entschlossen.

Der Mann glaubt, dieses Gesicht zu erkennen, diese Kleidung, die ihm so bekannt vorkommt, aber bevor er darüber nachdenken kann, wendet sich der Fremde um und beginnt wieder zu schreiben.

Auf die Stirn des Mannes bilden sich Schweißtröpfchen. Er schaut sich um. Er erkennt sein kleines Bücherregal, zählt sie Bücher. Fünfundzwanzig. Genau. Er weiß, dass er sie vor zwei Tagen abgestaubt hat. Auf dem Fensterbrett steht die Kugel aus Stahl, die er vor vielen Jahren gekauft hat, er erinnert sich nicht mehr, wo oder warum. Sie ist dort, wo er sie selbst hingestellt hat und sie ist immer dort gewesen, seitdem er in diesem Büro arbeitet. Sein Büro. Der Mann fühlt, wie in seinen Fäusten die Nägel in die Haut eindringen.

»Ich irre mich nicht«, sagt er plötzlich. »Das ist mein Büro. Die Bücher gehören mir. Die Kugel gehört mir. Ich habe sie gekauft.«

Der Fremde dreht sich um. »Ich war vor Ihnen da. Weder Sie noch ich haben Rechte hier. Der Erste, der da ist, hat Rechte. Ich war als Erster da. Ich bleibe.«

Der Mann bebt am ganzen Körper. »Sie können nicht einfach …«, schreit er, bekommt plötzlich keine Luft mehr.

»Was die Bücher angeht«, sagt der Fremde kühl, »ich helfe Ihnen, sie nach draußen zu tragen, wenn Sie kein Vertrauen in mich haben. Und das Dings da aus Stahl können Sie gleich mitnehmen«, und zeigt verächtlich in Richtung Fensterbrett.

»Meine Bücher bleiben hier. Und Sie gehen. Das ist mein Büro. Die Rechte hier habe ich. Zehn Jahre arbeiten ist wichtiger, als als Erster da zu sein. Ich bestehe darauf, dass Sie gehen.«

Der Mann versucht, sich zu beruhigen, aber zittert am ganzen Körper. Er bemerkt, dass ihm die Hände weh tun, und öffnet die Fäuste. Auf jeder Handfläche hat er vier kleine Spuren.

Der Fremde lacht. Der Fremde lacht laut.

Der Mann verbirgt sein Gesicht in den Händen. Seine Hände sind nass. Das Lachen des Fremden durchbohrt ihn. Er kann nicht bleiben. Er stürzt auf die Tür zu und über die Schwelle. Hart schlägt er auf dem Boden auf. Der Flur ist staubig. Er will sich aufrichten, aber der Fremde wirft ihm die Bücher in den Rücken. Zum Schluss trifft ihn die Kugel aus Stahl. Der Mann hört, wie sie den Flur hinunterrollt.


Sieben Uhr. Der Wecker klingelt schrill. Der Mann streckt seine linke Hand aus und drückt auf den Knopf. Seine Hand weiß genau, wo der Wecker und wo der Knopf auf dem Wecker ist. Er steht auf, tritt barfuß auf den kalten Boden. Auf dem Tisch liegen die Bücher verstreut. Er geht zum Fenster und öffnet es.

Ein großer Schatten breitet sich auf dem Himmel aus. Die Wolken fügen sich zu dem Puzzle, das er nie lösen wollte und sie kommen immer näher, bedrücken ihn und wollen ihn ersticken.