Katharina Serles (18)

Landliebe

Frau Rosemarie erwacht in rotkarierten Daunen. Ihre Marillenmarmeladensemmel isst sie vom Plastiktischtuchschoner. Darunter rot-weiß-gestickte Pracht. Draußen schlachten sie jetzt die Berti. Der Bauer hat den Hals der Sau aufgeschlitzt, die Bäuerin schwitzt und fängt das Blut auf. Das wird sie aufschäumen und kühl halten, bis die Zwiebeln geröstet sind und sie zu Mittag Blutstommerl auftischen kann. Dann immer: Übelkeit im und unterm Herrgottswinkel.

Frau Rosemarie hat einen zarten Magen, ist überhaupt sehr empfindlich, soll sich im Hintergrandl zwischen Kuhdung und Bauernstubenidylle von ihrer langen Krankheit erholen. Beim Damenausstatter hat sie sich dafür einen weißen Königin-Elisabeth-die-Zweite-Hut gegönnt. Außerdem viel Literatur, vorzugsweise Rilke. Ihre Freundinnen beneiden sie um den Urlaub, aber Frau Rosemarie weiß noch nicht, was sie davon halten soll. Bergquellwasser lässt sich daheim in Wien schlecht als Kneipp-Kur, Kuhfladen sich kaum als Bad Gasteiner Schlammpackung verkaufen. Und dass sie sich eine Kur gar nicht leisten kann, verschweigt sie besser.

Gestern: Nächtliche Begegnung mit dem Fritz. Das ist der Bub vom Bauern. Er ist auf dem Steinboden im Gang gesessen und hat mit seinem Zumpfi gespielt. Hat ganz selig gegluckst dabei und sie lieb angelacht. Der Fritz ist 28. Der Fritz ist nicht ganz richtig im Kopf. Er wird den Bauernhof nicht übernehmen können.

Die Sau ist tot, die Bäuerin kommt in die Stube. Sie nickt ein kurzes Guten Morgen, wischt das Blut von der Berti in ihre Mantelschürze und stößt den dicken Hund zur Seite. Die Bäuerin ist eine entfernte Verwandte, so weit, dass sie Frau Rosemarie siezen muss, für Kost und Logis aber nichts außer städtischem Glanz in ihrem Heim erwarten darf. Zwiebeln werden geschnitten und in der Pfanne klappernd umgerührt. Jetzt scheppert das Radio, die Bäuerin schaut trotzdem grimmig drein. Sie rührt und es stört sie, dass Frau Rosemarie so selbstzufrieden sitzt und isst und gar nicht daran denkt, zu helfen. Maria und Josef, ein unnützer Esser mehr.

Am Sonntag in der Kirche haben sie ein ungewöhnliches Bild ergeben. Neben der Bäuerin, die grob geaderten Hände fest für den lieben Gott gefaltet, ist Frau Rosemarie gesessen, korrekt, gerade, Stirn und Nasenrücken strebten nach Jesus Christus, unserm Herrn. Mittelpunkt der Agape sind Frau Rosemarie und der Apfelstrudel von der Erni gewesen. So etwas Gutes sieht die Gemeinde im Hintergrandl selten.

Frau Rosemarie entgeht dem Blutstommerl, mit Hut und Rilke flüchtet sie auf eine Wiese. Aber die Größe der mitgebrachten Literatur will sich ihr nicht recht erschließen – unweit von müßig wiederkäuenden Kühen. Sie hört nur regelmäßiges Rupfen von Gras, sieht nur schlaffe Euter, gerade gemolken und ausgeleiert von der täglichen Last.

Der Bauer und der Moralder brennen ihren Schnaps in der Waschküche vom Riedl-Hof. Wenn der Bauer, benebelt von heißem Dampf und scharfem Gesöff, abends heimkommt, singt er von Wadeln schöner Bauerntöchter und jagt den Fritz, bis er ihn im Schwitzkasten hinter den Hühnerstall zerrt und ihm sein Anderssein aus dem Leib prügelt. Er schämt sich für den Fritz, geht nicht mehr an den Stammtisch im Schwammerlwirt.

Sonntagnacht schlief Frau Rosemarie schlecht. Im Nebenzimmer ächzten Lattenrost und Bäuerin um die Wette. Die anliegende Wand zitterte, der Bauer schrie und schimpfte, als sie unrhythmisch versuchten, einen Erben für den Hof zu zeugen. Frau Rosemarie betete zitternd und ganz laut einen Rosenkranz. Gegrüßet seist du, Maria, es wurde endlich still im Hof. Frau Rosemarie lag noch lange wach.

Obwohl sie nicht dürfen, spielen die Töchter vom Moralder ab und zu mit dem Fritz. Sie nehmen ihn mit an den Bach, wo sie sich Saublotschn, fleischig-haarige Blätter, auflegen, damit die Brüste endlich wachsen. Sie kichern, wenn der Fritz sich verlegen die Augen zuhält. Schau her, verführen sie ihn, nimm die Klaraäpfel, steck sie dir ins Unterhemd, dann siehst du aus wie wir. Sie binden ihm einen Gänseblümchenkranz. Als er ihnen einmal sein Zumpfi entgegenstreckt, rennen sie heulend weg. Der Moralder schwört, den Krüppel zu erschießen. Dabei wollte der Fritz doch nur spielen.

Hinter Tenne und Heuboden steht das Plumpsklo, ein schiefer, modriger Holzverschlag. Neben dem Duftbaum hat die Bäuerin ein Bild von der Himmelmutter angebracht. Verblasste, abblätternde Farbe wacht über feuchtes Holz und Sägespäne, nur das flammende Herz in den Händen der Madonna leuchtet rot. Der Fritz steht oft dicht vor dem Rot und schaut. Frau Rosemarie meidet das Plumpsklo, so gut es geht, sie weiß nicht, dass sie das Zeitungspapier aneinander reiben muss, damit es weicher wird.

Wieder auf der Wiese, ist es schon früher Abend. Frau Rosemarie ist über die Rilke-Lektüre eingeschlafen, erwacht erst von den Rufen des Bauern. »Seee Mudl Seee«, ruft er die Kühe zu sich, die schon unruhig geworden sind. Die Euter sind prall, dicke Adern treten hervor, schmerzen. Der Hund spuckt Schaum, geifert, treibt die trägen Kühe in den Stall zur Melkmaschine. Frau Rosemarie gähnt, atmet tief satte Landluft ein. Immer noch ruft der Bauer. Einmal senkt sie den Kopf noch, beugt sich tief in die Wiese, rupft grünes, saftiges Gras und kaut. Sie schiebt das Gras gegen den Gaumen, drückt es mit der Zunge zurück. Querrillen der Mahlzähne zerdrücken die Halme, die bald von vier Mägen verdaut sein werden. Frau Rosemarie erhebt sich langsam, Paarhufe werden in weichen Untergrund gedrückt. »Seee Mudl Seeeee«, und bevor der Hund sie ins Bein beißt, folgt sie dem Bauern in den Stall. Der Tag im Hintergrandl geht zu Ende. In der Stube bekreuzigt sich die Bäuerin mit Wasser aus dem Weihbrunnkessel zur guten Nacht.