Gianna Zocco (17)
monolog mit dir.
morgendialog (vielleicht auch dein morgenmonolog): versteh doch, es ist aus. schuld ist ein großes wort. du bist zu sehr mit dir selbst beschäftigt. ich wünsche dir alles gute. ehrlich.
ich schweige am morgen.
schweige am mittag.
halte bettruhe am nachmittag.
den abend nannten wir das leben. wir fanden seine spuren in
engen gassen. wir wussten nichts.
wir hielten uns bei den händen, ließen sie unter den
pullover wandern, wenn das schlagen der armbanduhr zu laut wurde.
einmal flüsterte ich vom zahlenstrahl.
du sammeltest pflastersteine für meinen mund.
damals, zweites schuljahr, wir basteln ihn aus bunter pappe, wir
basteln ihn von null bis hundert.
du kamst mit watte in den ohren.
der zahlenstrahl ist schief. die lehrerin wohnt im haus gegenüber,
hat ein großes fenster im erdgeschoss, sagt, ich habe schlechte
augen, sitzt dort, streicht sich die haare hinters ohr, wenn sie
meinen blick bemerkt.
du hast dich auf zehenspitzen gestellt und mich festgehalten,
hast mich hin und her geschüttelt.
zwei monate lang spare ich mein taschengeld, kaufe einen gutschein
beim frisör, werfe ihn in ihren briefkasten.
du hast gelacht.
die lehrerin reißt das fenster auf, meine mutter wirft papier
in die biotonne, schlägt meine zimmertür zu, weißt
du nicht, dass die arme frau eine perücke trägt, seit
ihrer krankheit.
du bist losgelaufen wegen dem bus, und ich hab die watte am boden
aufgesammelt und in meine ohren gestopft. ich konnte nicht schlafen.
neun uhr.
ein tag wie heute verdient eine markierung im kalender.
auf meinem schreibtisch liegt das weiße blatt, in großen
buchstaben grenzenfischer. die untere hälfte fehlt, meine
zeichnung, der fischer mit der angel durch das zaungitter, die
angel darin verwickelt und der fischer ziehend, du hast sie zerrissen.
die sekunden vergehen so langsam.
ich weiß nichts.
an manchen abenden haben wir das telefonbuch aufgeschlagen, augen zu und finger dazwischen, die nummer gewählt. zwei stunden achtunddreißig, du hältst den rekord.
zehn uhr.
ich setze heißes wasser auf, mehr als ich trinken kann.
auf deinem bett mit dem rücken zur wand wurdest du ein bild.
du warst kostbar, ich durfte dich nicht anrühren, ich ging
mir die hände waschen. der hahn tropfte, du sprachst von
uns. auf dem spiegel zahnpastaspritzer, durch die offene tür
beziehung und durchzug, möglichkeiten, türenknallen,
den kopf an den spiegel lehnen. Verständnis, und ich kniff
die augen zusammen, gegenseitigkeit, ich biss mir auf die zunge,
alternativen, und aus meinem mund lief spucke, vertrauen, ich
wankte, suchte halt am waschbecken, liebe, du warst bei mir. kaugummiatem,
ich nannte dich mama, du füttertest mich mit weichem popcorn,
dein kaugummi klebte am spiegel fest.
popcorn, solche worte mag ich. popcorn, damit lassen sich die
lippen schwindlig machen, popcorn, popcorn und der kessel pfeift,
das wasser kocht.
der kessel ist heiß, damit jetzt auf das bett meiner eltern
steigen. ich würde mich ausziehen, würde mich verkleiden,
wäre cowboy. ich würde dort stehen, breitbeinig, würde
den stopfen mit dem mund rausziehen, den kessel mit beiden händen
halten, den stopfen ausspucken, das wasser über mich kippen.
siedend, kochend und nun jener sinnige ausdruck, den die paare
in der werbung haben, wasser, quelle des lebens.
fünf nach zehn.
ich kann nicht grinsen, kann nicht kichern, ich sollte mir kanten
ins gesicht operieren lassen. ich suche den alten zahlenstrahl,
finde den grenzenfischer, zerreiße ihn.
zehn uhr dreißig.
es ist ein tee geworden, pfefferminz, wie immer, wenn ich mich
nicht entscheiden kann. aus dem rest eine wärmeflasche, die
nicht zerplatzt ist.
ich habe die zeit abgestellt. die rollos heruntergelassen, alle
birnen aus den lampen geschraubt.
ich möchte mich in tücher hüllen. viele lange tücher,
manche aus wolle und schwarz, manche aus bunter seide. die tücher
verdecken meine glatze, ich schnüre sie eng am hals, und
sie hängen über die schuhe, in treppenhäusern werde
ich stolpern und mich am geländer festhalten, abends sind
die fingernägel zu kurz zum entknoten, ich rufe die nachbarin,
die ist nicht da, ich nehme die schere, schneide mir in die lippen,
du küsst mich nicht mehr.
wir suchten die alternativen im rahmen des möglichen.
wir holten uns eine zusätzliche decke, tee und tiefkühlpizza,
wir hockten uns auf mein bett, wählten das zweite programm
und wussten nichts vom film.
allein hab ich mehr platz.
ich bin ein bild auf alten fotoalben.
ich möchte keine tiefkühlpizza.
wir beschränkten uns auf das wesentliche.
pfefferminztee schmeckt wie dein lachen.
elf uhr.
wir kramten auf flohmärkten. unsere hände suchten platten,
hielten sich für hauch von leben, zogen heraus, strichen
staub weg, beauftragten münder zu pusten, riefen nach zehenspitzen,
tasteten, wo augen nicht hingelangten.
wenn ich mich zur seite drehe, liegt unsere platte im plattenspieler,
sie läuft ohne sprung.
hätten wir uns streiten sollen. sie lag ganz hinten, wir
rissen, du von rechts und ich von links, in der mitte unsere fingerspitzen,
zitternd.
die wärmeflasche ist kalt.
unsere augen schlichen über wangen, kletterten auf lippen,
blieben stehen.
aus der wärmeflasche kommt wasser.
wir vergaßen worte.
meine hände sind nass.
null uhr sieben.
es müsste jemand kommen. jemand mit taschenlampe, jemand
mit nassem schwamm auf meine stirn, mir die decke vom leib reißen.
wir waren ein dunkles haus mit kerzen.
waren eine traurige platte, die uns der verkäufer geschenkt
hatte.
wir nahmen eine decke als vorhang. tee und tiefkühlpizza
als requisiten.
ich bin zu sehr mit mir selbst beschäftigt.
wir sprachen vom leben, das hinter den vorhängen spielt.
wir waren hauptdarsteller.
die platte bleibt hängen. ich werde sie in zwei stücke
teilen, eins in einem briefumschlag bei der post aufgeben, porto
bezahlt empfänger.
das wäre nicht ehrlich.
ich nehme die platte aus dem spieler. sie schmeckt nach salz.
die alternativen im rahmen des möglichen.
schuld ist ein großes wort.
zwei uhr.
eine wahrsagerin aufsuchen. nach dem ende fragen. die schuhe ausziehen,
einen schreikrampf kriegen, von depressionen sprechen, auf offene
vorhänge achten.
ihr die kugel abnehmen.
weglaufen.
auf dem fußabtreter gegenüber steht willkommen. dort
die strümpfe ablegen. und die glatze. die halbe platte in
den briefkasten werfen. dreimal klingeln. auf der anderen seite
des fußabtreters steht auf wiedersehen.
einmal schnell nach hause laufen. kopf ins waschbecken mit kaltem
wasser, dann hände, füße, eiswürfel in den
mund, drei stück auf einmal, weiterlaufen.
drei uhr.
durchhalten.
vier uhr.
straßenbahngesichter. wir haben sie gesammelt. du wohnst
an der endstation. wer findet die besten gesprächsfetzen.
wir konnten uns nicht über den sieger einigen. neben mir
sitzt ein alter mann. die kugel gut verborgen halten.
morgengrauen.
herumschleichen vor deiner wohnung.
du schläfst immer mit gekipptem fenster.
die kugel wird schwer in meinen armen.
meinmorgenmonolog.
dein zweitschlüssel ist in meiner hosentasche. barfuß
lässt es sich gut schleichen.
die klinke ist fast geräuschlos.
wir waren nachttiere in den engsten gassen der stadt. wir suchten
die offenen vorhänge der nacht.
ich bin ein kater, man hat mir die schnurrhaare gestohlen.
die wahren vorhänge sind klein und grau. die zuschauerplätze
sind über den wolken, die bühne ist groß.
ich werde dich das zählen lehren.
ich werde weinen.
ich lege die kugel auf den nachttisch, möchte dich nicht
wecken, hebe die decke ein stück, suche deinen atem. taste
nach deinen händen, wo meine augen nicht hingelangen.
es gibt keine sieger.
kirchenglocken läuten.
morgens gemeinsam aufwachen und sich die augen reiben.
dein bett ist leer.