Dina Reis (18)

Wellenbrecher

Sie legt sich auf die Brüstung und sieht brennende Schmetterlinge. Die Sonne treibt sie umher. Heute ist der Himmel sandfarben, und der Tag verbrennt die Dächer der Stadt. Der Wind zerrt an Horizonten. Sie spürt, wie die Energie des Betons in ihren Bauchnabel dringt, und bewegt sich nicht, um selbst hellgrau zu werden.
Er versucht, im Wind eine Zigarette anzuzünden, und setzt sich neben sie. Ihre Jeans haben genau unterhalb der linken Pobacke einen langen Riss, der beim Gehen knirscht und weiter aufreißt, wenn sie die Beine übereinander schlägt.
Er erinnert sich daran, dass er das schön findet.
»Wirklich, kauf dir mal neue Jeans. Dann siehst du nicht mehr so versifft aus.«
Sie fährt sich durch die Locken.
»Sie gehen kaputt vom Kämmen«, sagt sie. »Ich möchte nie wieder glatte Haare haben.«
Sie setzt sich auf und schließt die Augen.
An einem Ort ohne Bilder kann sie nicht denken. Er weiß das, denn sie hat oft davon gesprochen, aber er hörte nur beim zweiten Mal zu.
»Ich kann das Meer hören«, sagt sie.
»Du hörst die Autobahn.«
»Oh. Wirklich? Und ich dachte, heute wären die Wellen alle Huren.«
»Du bist nichts, und nichts gehört mir«, sagt er auf einmal lachend und drückt sie an sich.
Sie spürt seinen Schulterknochen an ihrer Schläfe. Ihre Beine liegen über seinen.
Sie reißt zwei Blätter aus einem Buch und faltet Papierflieger.
Die Buchstaben werden zu Ornamenten.
»Wir sprechen nicht, um glücklicher zu werden, weißt du.«
Sie gibt ihm einen Papierflieger und lehnt sich sitzend nach vorn, die Arme aufgestützt.
Unter ihnen wird der Rasen besprengt.
»Wie tief man hier wohl fällt?«
»Dreizehn Meter«, sagt er.
»Hast du Angst?«
»Wir werfen auf drei.«
»Nicht zählen, bitte«, sagt sie leise.
Sie springt auf und beobachtet den Gleitflug der Papierflieger, die Parallelen und Spiralen in der flimmernden Luft hinterlassen.
»Ich werde etwas über uns schreiben«, sagt er, »und dir schreibe ich auch.«
Sie antwortet nicht, weil sie versucht, mit den Händen Flugbahnen in die Wolken zu zeichnen.
»Die wollen wohl gar nicht mehr zur Erde«, sagt er und blickt in die Luft vor sich.
»Wie schnell immer alles egal wird«, sagt sie leise und raucht seine Zigarette auf.
Seine Stimme wird zu Bitterschokolade: »Traust du mir das zu?«
»Sei nicht so dumm. Du weißt, wie das läuft, du hast auch ’n Leben.«
»Ja«, sagt er leise.
Sie macht einen Schritt nach vorn und schnippt die Zigarette fort.
Sie fällt steil an der Wand entlang, überschlägt sich im Wind und landet im Gras.
Dann liegt sie auf dem Rücken und sieht ihn über sich, dreizehn Meter entfernt. Sie reißt Gras aus und legt es langsam auf ihren nackten Bauch. Wassertropfen sammeln sich in ihrem Bauchnabel. Sie denkt, er würde ihren Namen rufen, aber sie hat ihn nie schreien gehört.

Die Papierflieger segeln durch die Luft, stoßen dann aneinander und fallen neben ihr zu Boden.