Dina Reis (18)

Gesellschaftsfähig

Mit zwölf Jahren kaute ich an meinen Nägeln. Meine Mutter brachte mich von dieser Gewohnheit ab, indem sie mit Schwung und im richtigen Winkel gegen meine Hand schlug, als ich diese gerade im Mund hatte. So verlor ich die oberen zwei Schneidezähne. Die Männer meiner Stadt bezahlten trotzdem meine Drinks. Die Zähne hob ich auf und legte sie meiner Mutter vor das Bett, wenn ich wütend war.

Meine Stadt war groß, und die Morgenstunden verliefen sich in den Straßen, und die Straßen verliefen sich in Menschen. Wenn mir jemand in die Augen sah, lief ich weg.

Ich ekelte mich vor dem Kochen und aß gern in menschenleeren Cafés, die kurz vor dem Bankrott standen, obwohl ich wusste, dass ich sie durch meine Besuche finanziell unterstützte. Ich besaß keinen Orientierungssinn, konnte nicht mit Geld umgehen und war nicht nett zu Menschen, die sich mir nützlich erweisen könnten. Die meisten erwiesen sich dennoch als nützlich. Ich hasste sie dafür.

Einmal schlug ich meinen Freund, als er mir helfen wollte, eine Dose zu öffnen. Mit dem scharfkantigen Deckel der Dose schnitt ich ihm in die Oberschenkel und in den Bauch. Er brach mir seinerseits eine Rippe, schlug die Wohnungstür zu und ließ den Schlüssel stecken. Wir lagen anschließend im selben Krankenhaus, aber wir besuchten uns nicht.

Vor zwei Wochen wurde ich entlassen. Die Hitze stand noch zwischen den Hochhäusern meiner Stadt, als ich sie verließ, und Tankstellen leuchteten heller als Siedlungen. Ich wollte mir mein Bett am Straßenrand bauen, aber ich hielt im Morgenrot vor einem gelben Hotel. Gelb war gut.

Ich fragte den Hoteldirektor nach einem Zimmer, und er half mir, die Koffer hinaufzutragen. Sehr zuvorkommend, ohne dabei helfend zu sein. Ein leises Zimmer war es, mit einem weißen Laken und zerkratzten Fenstern. Die Rippe tat noch weh. Etwas hinderte mich daran, den anderen Gästen morgens ein ebenso offenes Buongiorno entgegen zu werfen, wie der Hoteldirektor es tat. Er war sehr blass, weil er von der sengenden Sonne immer nur die Karos, die sie auf den Steinfußboden der Lobby malte, zu sehen bekam. Sehr kompetenter Mann, der Hoteldirektor. Ich hätte gern seinen Namen gewusst. Ich versuchte, wie er zu lächeln, wenn ich den Speisesaal betrat, und einige Reisende grüßten mich daraufhin.
Am Nebentisch ein Paar mit Töchtern, zwei bewegungseingeschränkten Elefanten, die hartnäckig eine Diät vortäuschten. Ich streckte ihnen durch meine Zahnlücke die Zunge heraus, und sie hörten auf zu essen. Immer, wenn ich ihnen begegnete, versuchte ich, schön auszusehen.

Ich ging in die Stadt und kaufte Postkarten, die ich in meinem Zimmer an die Wände hing. Ich stellte mir vor, in jedem dieser Orte jemanden zu kennen. Abends saß ich rauchend auf der Terrasse, sagte zu jedem "Buonasera" und drehte mich dann weg.

Plötzlich hatten Männer mit Rucksäcken das Hotel besetzt und jagten mich mit Zigaretten und Anekdoten.
"Che carina! Parli l'italiano?"
"No."
"Tu sei molto bella."
"Figlio di puttana."
Ich wusste nicht, was sie an mir fanden, warum sie meine verfluchte Nähe suchten. Ich mochte ihnen nicht zuhören, ich mochte nicht einmal mir selbst zuhören.

Ich blieb während der Belagerung in meinem Zimmer und bat den Hoteldirektor, mir das Essen heraufbringen zu lassen. Er erkundigte sich nach meinem Gesundheitszustand. Er sprach immer sehr freundlich zu mir und nie mehr als notwendig. Manchmal genügt es, höflich zu einem Menschen zu sein, um ihn zu heilen. Höflichkeit erfordert die Fähigkeit, Mitmenschen in Ruhe zu lassen.

Eine Woche später war die Sonne noch nicht aufgegangen, als ich ihre Stimmen unten auf der Straße vernahm - die Männer luden ihre Rucksäcke in einen Bus. Ich rannte die Treppe hinunter. Der Speisesaal war noch leer und sah aus wie immer, aber der Hoteldirektor war nicht zu sehen. Auch beim Abendessen begegnete ich ihm nicht. Ich trank Espresso und wartete bis Mitternacht in der Lobby, aber niemand kam herein. Er konnte Urlaub genommen haben. Oder krank sein. Ich mochte wissen, ob es ernst war. Ich versuchte, die Gespräche der anderen Gäste zu belauschen, aber sie erwähnten ihn nicht. Ich wollte mich bei der Küchenaushilfe nach dem Hoteldirektor erkundigen, aber ich sprach kein Italienisch. In der Stadt kaufte ich mir ein Wörterbuch und las es, wenn die Leute in den Straßen tanzten. Vielleicht würde ich in einer Woche soweit sein. Vielleicht war der Hoteldirektor bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Ich begegnete der Putzfrau, als ich mit einem Fuß in meinem Zimmer stand. Ich wollte die Tür hinter mir schließen, aber es gelang der Putzfrau, ein "Buongiorno, Signorina" durch den Türspalt zu zwängen. Ich trat wieder auf den Gang hinaus.
"Ist der Hoteldirektor weggefahren?", fragte ich auf Italienisch.
"Sì, è andato a Roma, signorina. Geschäfte".
Über uns hörte ich den Ventilator rauschen. Das Meer war hinter anderen Fenstern.
"Wie heißt er?", fragte ich wieder.
"Fabio."

Heute morgen ist das Hotel gestorben, und ich fahre nach Hause. Die Autobahn flüchtet in den Sonnenuntergang. Unter dem dunkelrosa Himmel verwandeln sich die Pappeln in Scherenschnitte, und Schilder werden nachts zu Schwarzlichttheater. Morgen lasse ich meine Zähne ersetzen. Anschließend werde ich mir Freunde suchen. Die Rücklichter der anderen kennen den Weg.