Cordula Simon (18)
Aufbruch
"Wir brechen auf", sagt Inanna, doch eigentlich brechen
wir nicht auf, wir gehen nur, dorthin, wo wir weiter warten auf
das Leben, oder so. Warten aufeinander.
Ich nehme zur Kenntnis, dass das Wetter während unseres kurzen
Aufenthalts/Aufhaltens beim Auswärtsessen ein nasses gewesen
sein muss, denn eine Pfütze fängt mein Bild auf und
dreht mich, während ich über sie steige.
Da drehe ich mich nochmals um und mache einen großen Schritt,
wieder über die Pfütze, weil mir ihr Spiel gefällt.
Inanna greift nach meiner Hand, will nicht allein weitergehen.
Ich trödle, sagt sie oft; vorwurfsvoll, sie trödelt
nie, läuft keinen Bildern nach, will nicht, dass ich stehen
bleibe, anscheinend noch weniger als sonst.
Anderswo, wo wir warten, zu Hause, dort macht Inanna Kaffee.
Versunken sitzen wir da, versunken in die warme schwarze Flüssigkeit,
die mein Bild nimmt, wackelt und es wieder dreht.
Insgeheim stelle ich mir vor, es wäre Inannas Bild - Inanna
in der Tasse - sehe, wie sie darin schwimmt, sich umdreht.
Als ich den Kopf wieder hebe, sitzt Inanna nicht versunken da,
in keinem Kaffee
sie ist wieder in die Küche gegangen;
ich bleibe im Wohnzimmer zurück.
Sie kommt mit Keksen wieder, beißt ab.
Ich zerbreche einen Keks, um an das Innere, die Schokolade, zu
kommen.
Ich trödle, sagt Inanna oft, und ihr vorwurfsvoller Blick
formt sich im Schokokeks, obwohl wir nichts mehr vorhaben heute
Abend außer zu dämmern; wenn wir nur so daliegen, weil
es sonst nichts zu tun gibt, bei dämmrigem, abenddämmerlichem
Licht bis zum dämmernden Anbruch des Morgens, wir zueinander
sagen: "Wir brechen auf", und eigentlich doch nur gehen,
um zu arbeiten.
Ich nehme die Inanna in der Tasse und im Keks, trage beide in
die Küche, ohne Trödeln, bis der Wasserhahn mein Bild
zerspielt, bis es wie Inanna aussieht, die gerade erst hier stand.
Als ich zurückkomme, sitzt sie unverdreht auf dem Sofa, und
ich knie mich vor ihr hin, lege meinen Kopf in ihren Schoß;
gleich brechen wir auf, denke ich, oder eigentlich gehen wir,
nur bis ins Schlafzimmer.
Sie streicht über meine Haare und ich blicke auf, um Inanna
im Spiegel neben der Schlafzimmertür zu suchen, habe sie
doch auch im Kaffee gefunden, aber erst als wir den Weg ins Nebenzimmer
antreten, finde ich sie, dort zwischen den Bruchstücken;
es war ein Versehen, zerbrochener Spiegel; Splitterbild.
Schon lange sind wir nicht mehr so in dieses Zimmer gegangen,
Hand mit Hand, ineinander.
Zwischen den Kissen und dem dämmrigen Licht erzählt
Inanna leise und wie erschrocken über sich selbst, sie habe
getrödelt, vor dem Schaufenster eines Schuhgeschäftes;
die Scheibe habe ihr Bild genommen und gedreht, mein Bild genommen,
gedreht
sie habe getrödelt
und Inanna bricht
auf.