Anna-Maria Bauer (14)

Märchen

Tausende und abertausende von Sternen funkelten am Himmel und beleuchteten den schmalen Kiesweg, der hinauf zum Schloss führte. Der Mond tauchte den Schlosspark in sanftes, milchiges Licht, als er hinter dem Berg hervorkam und gen Himmel wanderte. Als der riesige Vollmond am wolkenlosen Himmel stand, durchfuhr plötzlich ein markerschütternder Schrei die Stille. Die Fensterscheiben des Elfenbeinschlosses klirrten, die Blätter zitterten, obwohl kein Lüftchen wehte, und Tinkerbell, die gerade an einer Blume genascht hatte, flüchtete mit hektischen Flügelschlag in einen hohlen Baum.

Schneewittchen, die im höchsten Zimmer des höchsten Turmes in einem bequemen dunkelgrünen Ohrensessel saß, rückte ich nur ihre Lesebrille zurecht und hob genervt eine Augenbraue. »Wieder mal Vollmond«, stellte sie nüchtern fest, und begann wieder, in ihrem »Gebrüder Grimm Märchenbuch« zu lesen. Sie liebte Märchen!

»Miss?« Vorsichtig lugte Seppls Nase hinter der schweren Eichentür hervor. »Unten im Keller bekommt Rumpelstilzchen gerade mal wieder einen ihrer Anfälle.«

Seufzend schlug Schneewittchen das schwere Buch zu und erhob sich. »Langsam könnte sie sich an den Drachen wirklich gewöhnen. So schlimm ist sein Geschrei doch gar nicht … Ob an der Legende wohl was dran ist?«

»Welche Legende, Miss?« wollte Seppl wissen und zupfte unruhig an seinem Bart.

»Es heißt, dass in der Höhle des Schattenberges ein Schatz verborgen liegt. Ein Schatz, so kostbar und wertvoll, dass du mit nur einem Bruchteil davon bis an dein Lebensende wie eine Kaiserin leben könntest. Als Wächter haust ein Drache in der Höhle, der jeden zu Asche macht, der auch nur in die Nähe der Höhle kommt. Man, sagt, dass der Drache unbesiegbar ist, aber …«

In dem Moment hallte ein lauter, erzürnter Schrei durch die Gänge.

»Rumpelstilzchen«, murmelte Schneewittchen und eilte die enge Wendeltreppe hinunter. »Wir sollten ihr wieder etwas Stroh zum Goldspinnen bringen. Das beruhigt sie.«

Seppl, noch immer im Bann dieses wahren Märchens, wuselte hinterher. Er liebte Märchen und kannte jedes erdenkliche Märchen, aber er hätte sich nie träumen lassen, dass er jemals einem »echten« Märchen begegnen würde.

Flehend blickte Wendy ihren Freund an. »Peterchen, willst du das wirklich machen? Weißt du denn nicht, wie gefährlich das ist? Bis jetzt ist noch jeder gescheitert.«

»Ach, Wendy, sei unbesorgt. Ich werde den Drachen besiegen, den Schatz holen und heil wieder nach Hause kommen. Und derweil lass ich die verlorenen Kinder da, um auf dich aufzupassen. Sei unbesorgt, Honigkuchen!«

Sie zog ihn an sich und drückte ihn ganz fest. »Versprich mir, dass du auf dich aufpasst, ja? Was wär’ ich ohne dich?«

Zärtlich küsste er sie auf den Mund, strich durch ihr kastanienbraunes Haar, hielt sie mit der anderen Hand fest im Arm. »Ich liebe dich auch, Honigkuchen, für immer!« Alles würde er für sie tun! Ihr die Sterne vom Himmel holen, die Fähigkeit zu fliegen aufgeben, oder sogar das Nimmerland verlassen. Na ja, man musste ja nicht gleich übertreiben!

»Also, ich werd’ jetzt mal besser!« Er stopfte sich Proviant in die linke und etwas von Tinkerbells Glitzer in die rechte Hosentasche, gab Wendy einen Abschiedskuss – wenn sie wüsste, dass es ihr letzter war! – und erhob sich in die Luft in Richtung Osten, wo gerade die Sonne in sanften rot und rosa Tönen über der Hochebene aufging.

Dahinter, von den zarten Strahlen der Sonne wachgeküsst, lag der Hundertmorgenwald. Puuh kroch gerade erst gähnend aus seinem Bett und holte sich seinen Honigkrug, während Rabbit schon eifrig bei der Arbeit war und unermüdlich das Unkraut bei den Karottenbeeten jätete. Iah saß betrübt unter einer Weide am Flussufer und betrachtete seinen abgerissenen Schweif, als Ferkel nur ein paar Bäume weiter die Wäsche aufhängte.

Zur gleichen Zeit, als Peter Pan in Schlangenlinien und Loopings über den Hundertmorgenwald hinweg, über den großen See bis zum Alten Wald flog, machte sich auch Robin Hood, nach einem ausführlichem Abschied, mit Mary Ann auf den Weg. Fröhlich vor sich hin pfeifend hüpfte er den Waldweg entlang und wäre um ein Haar mit Rotkäppchen zusammengeprallt, die gerade ein paar Blumen für ihre Großmutter pflückte.

»Guten Morgen, und, schon den Wolf getroffen?«

»Ach, der ist doch schon lange tot, nachdem ihn der Förster erschossen hat.«

Wie vergesslich ich doch bin, schimpfte sich Robin Hood und hüpfte weiter.

Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht und brannte erbarmungslos auf die Erde nieder. Die Tiere hatten sich unter einen Schatten spendenden Baum verzogen, lagen träge da und harrten der Hitze, auf dass sie bald verschwinden möge. Nur die Schlange räkelte sich genüsslich auf einem sonnigen Felsen und ließ sich von den Strahlen wärmen. Ein kleiner Bach bahnte sich gurgelnd sein Bett durch das kniehohe Gras auf der Lichtung, in dessen Mitte er sich als kleiner Teich sammelte, bevor er glucksend wieder in den Wald eintauchte.

Plötzlich kam Robin Hood auf die Lichtung gehüpft und erfrischte sich kurz am Bach, als Peter Pan über ihm auftauchte und mit spiralischem Landeanflug neben dem Retter der Armen auf einem Stein landete. »Heiß«, rief er erschrocken und sprang ins kühle Nass. Als er sich am Ufer wieder hochzog und sich im hohen Schilf niederließ, während er mit den Beinen im Wasser baumelte, sah er Robin Hood vergnügt an. »Guten Tag, Guten Tag. Wohin des Weges?« Doch bevor ihm Robin antworten konnte, ertönte Hufgetrappel, und ein Mann mit schwarzem wehendem Umhang kam auf die Lichtung geprescht und bremste mit in die Erde gebohrten Hufen neben den Zweien.

»Z wie Zorro!« stellte er sich vor, klopfte stolz auf seinen Degen und sprang vom Pferd.

»Angeber.«

»Niedlich«, rief Peter Pan entzückt. »Ist der Degen echt?«

»Aber ist doch klar.«

»Protziger Macho«, murrte Robin Hood verächtlich. »Was treibst du denn hier fernab von den hilflosen Frauen, die dir zu Füßen liegen?«

Doch wieder konnte die Frage nicht beantwortet werden, denn Aragorn, wegen seines Elbenmantels fast unsichtbar, kam über die Lichtung gehastet.

»Ein Waldläufer! Noch so ein niedlicher Kerl! – Aragorn, halte ein!«

Eine seltsame Gemeinschaft, die da am Fluss beieinander saß. Manche waren mehr von dem Zusammentreffen beigeistert, manche weniger. Aber als sie erfuhren, dass sie alle dasselbe Ziel hatten, waren sie zuerst erstaunt und dann entsetzt. Das konnte doch nicht möglich sein!

»Aber ich wollte den Schatz!« rief Zorro empört.

»Pech, ich war zuerst auf dieser Lichtung und werde auch zuerst beim Schatz sein.«

»Pah, das glaubst auch nur du! Ich kann fliegen, ich komm’ viel schneller voran!«

»Nun denn«, sprach Aragorn und erhob sich. »Möge der Beste gewinnen!«

»Ach, wie weise.« Plötzlich fand Peter Pan die Sache überhaupt nicht mehr niedlich. Er musste schnell einen Plan fassen, wie er die anderen am schnellsten beiseite räumen konnte.

Schnell wurden die Wasserflaschen aufgefüllt und noch einmal das Gesicht erfrischt, dann eilten alle vier Schatzsucher los.

Zorros Rappe preschte über den Forstweg, dass die Steine nur so spritzten. Selbstsicher trieb er sein Pferd voran. Er war sich vollkommen sicher, dass er den Schatz holen würde. Er hatte ein Pferd und war somit viel schneller, als die anderen. Narren waren sie, alle miteinander. Nur dieser fliegende Kobold konnte noch einen Konkurrenten darstellen. Aber den würde er beizeiten schon eliminieren.

In dem Moment, als er sich den Tod des Peter Pan ausmalte, sauste ein riesiger Steinbrocken auf ihn hinab. Der Rappe bäumte sich erschrocken auf, und der durch den Steinschlag bewusstlose Reiter flog in hohem Bogen aus dem Sattel, knallte mit seinem Hinterkopf gegen einen Stein und blieb leblos am Boden liegen.

»Getroffen!« jubelte Peter Pan aus luftiger Höhe und machte vor Freude ein paar Saltos. »Und da waren’s nur mehr zwei. Auf, zum nächsten Opfer!«

»Miss?« Schüchtern öffnete Seppl die Tür.

Seufzend schlug Schneewittchen ihr Buch zu – sie hatte gerade mit »Allerleirauh« begonnen – und wandte sich an den Zwerg. »Was gibt’s denn?«

»Verzeihung, Miss, es ist nur so, dass ich diese Drachen-Schatz-Geschichte nicht mehr aus dem Kopf bekomme. Warum brüllt der Drache eigentlich immer um Mitternacht, wenn Vollmond ist?«

»Nun ja, die Legende besagt, dass dieser Drache unbesiegbar ist. Man hat nur eine Möglichkeit, ihn zu besiegen. Wenn der Schrei über die Lande hallt und der Mond die Welt regiert, dann und nur dann ist er zu bezwingen. Mit einem Holzklotz durch sein Herz, und sein Blut wird fließen.«

»Wenn Sie das alles wissen, warum haben Sie es dann noch nie versucht?«

»Ach, Seppl, ich weiß nicht …«

»Oh doch, Sie müssen es versuchen. Ich bin mir sicher, dass sie es schaffen würden.«

Dämmerung brach herein, pirschte sich von hinten an und umhüllte das Land plötzlich mit Dunkelheit. Wie ein verlorenes Vöglein flatterte Peter Pan über den Wald und wusste nicht, wohin. Er hatte weder Robin Hood noch Aragorn erhaschen können und haderte jetzt mit sich selbst, ob er sich lieber auf den Weg zum Berg machen oder doch lieber nach seinen Konkurrenten Ausschau halten sollte. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Aus heiterem – in diesem Fall wohl eher dunklem – Himmel kam ein Albatros heran geschossen.

»Vorsicht! Achtung!« schrien Bernhard und Bianca aus Leibeskräften, doch da war es schon zu spät. Mit vollem Karacho rammte der riesige, weiße, ungeschickte Vogel den kleinen Mann, der die Kontrolle verlor und Purzelbaum schlagend auf die Erde zu raste. Dumpf klang sein Aufprall und es war das letzte, was Peter Pan hörte.

»Tschuldigung!« brüllte Willbert und setzte seinen eiernden Flug fort.

Geschmeidig bahnte sich Robin Hood seinen Weg durch das Dickicht. Vereinzelte Regentropfen verirrten sich unter das Blätterdach, aber doch genug, um Robin Hood zu durchnässen. Doch was ein Mann ist, der hält etwas Nässe schon aus. Was hätte er auch sonst tun sollen? Eine Hütte als Unterschlupf war weit und breit nicht zu sehen.

Der Regen nahm zu, und aus dem leichten Nieselregen wurde bald ein richtiger Schauer. Dicke Tropfen prasselten auf das Blätterdach, dessen Grün durch den Regen noch intensiver geworden war.

Durch den Regenschleier konnte Robin Hood nur mehr schlecht sehen, und immer öfter schürfte er sich an der rissigen Rinde eines Baumes auf und stach sich an den Dornen wilder Rosenbüsche. Ganz am Ende seiner Kräfte kauerte sich am Boden zusammen und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen nassen Baumstamm.

Er war schon fast eingenickt, als er plötzlich etwas Großes, Langes über sich entdeckte, das sich schlängelnd den Baum hinab auf ihn zu bewegte. Grosse, gelbgrüne Augen funkelten ihm entgegen, und er vernahm eine lispelnde Stimme. »Glaube mir, vertraue mir …«

Bald hatte Kaa den Retter der Armen hypnotisiert. Na, das war aber leichte Beute gewesen, stellte Kaa erfreut fest, als ihr Maul aufsperrte und Robin Hood verschlang.

Aragorn, unwissend über das Glück, dass er als einziger der vier Schatzsucher dem Tod bis jetzt entronnen war, hastete durch den Wald, durchwatete Flüsse, schlief nur, wenn er vor Müdigkeit keinen Fuß mehr vor den nächsten setzen konnte, und erreichte nach gut drei Wochen den Waldrand. Vor ihm erhob sich stolz auf einem Hügel thronend das Elfenbeinschloss, das im Schein der untergehenden Sonne rötlich leuchtete. Es strahlte eine gewisse Gefährlichkeit aus, die Aragorn gar nicht behagte. Dahinter drohend und geheimnisvoll, schwarz ohne Bäume oder Wiesen, sondern nur aus Stein, die Spitze von Nebel umhüllt: der Schattenberg.

Aragorn schluckte, atmete tief durch und machte sich an die Überquerung der Ebene, die sich vor dem Schloss erstreckte. Wohl war ihm nicht, als er über die Ebene hetzte; er kam sich beobachtet vor, und selbst sein Elbenmantel vermochte ihm keinen Schutz zu geben.

Blutrot verschwand die Sonne am Horizont und nahm dem Schloss mit dem rötlichem Schein auch seine Gefährlichkeit, doch trotzdem verschwand Aragorns Beklemmung nicht.

Die Ebene zog sich scheinbar in die Unendlichkeit. Der Morgen graute bereits, als der Waldläufer endlich zum Rande des Schlossparks kam. Total ermüdet ließ er sich ins Gras sinken und war im nächsten Moment eingeschlafen.

»Miss! Miss!« Aufgekratzt stürmte Seppl in das Turmzimmer ohne anzuklopfen, was sonst gar nicht seine Art war.

»Kann ich denn gar nicht mehr in Ruhe lesen«, murrte sie genervt und verzog ihre Lippen rot wie Blut zu einem verkrampften Lächeln. »Was denn?«

»Ein Mann, ich hab ihn zuerst fast nicht wahrgenommen – scheint sich der Natur irgendwie anzupassen, wie ein Chamäleon …«

»Was ist mir ihm?«

»Er versucht, auf den Schattenberg zu kommen.«

»Wieder mal einer, der kläglich scheitern wird, weil er nicht weiß, wie er ihn töten soll und bis er einen Entschluss gefasst hat, liegt er verkohlt neben einem Haufen anderer, die das gleiche Schicksal erlitten.«

»Aber, Miss, da muss man doch was tun. Wir können ihn doch nicht einfach sterben lassen. Er sieht so tapfer und klug aus, bitte, wir müssen was tun!«

»Wie sehen kluge Menschen denn aus? Du hast ihn ja nicht einmal aus der Nähe gesehen.«

»Ach, Miss, seien Sie doch nicht so herzlos. Ich weiß genau, dass Sie es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren könnten, wenn der Mann jetzt stirbt, nur weil Sie zu … zu faul waren, ihn zu retten.«

»Was heißt zu faul? Ich bin doch keine Kindergartentante. Der Mann hat selbst entschieden herzukommen, obwohl er bestimmt gewusst hatte, was ihn erwartet.«

»Eine Heldin rettet jeden, wenn sie es kann!«

»So, und was macht mich plötzlich zur Heldin?«

»Hören Sie schon auf, Sie plädieren doch immer für diese Emanzipationsgeschichten. Wer behauptet denn immer, dass es eine Frechheit ist, das die tollen Helden in den Märchen immer Männer sind? Jetzt haben Sie die Gelegenheit, das mal zu ändern!«

Langsam machte er sich an den Aufstieg. Steine rutschten unter seinen Füßen weg und polterten in die Tiefe. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, der Wasservorrat neigte sich dem Ende zu, und er hatte erst maximal ein Drittel bis zur Höhle hinter sich gebracht. Eine unerträgliche Hitze hatte sich übers Land gelegt, die Luft flimmerte, und ein paar Mal ertappte sich Aragorn, wie er eine Wasserstelle zu sehen glaubte.

Je weiter er voran kam, desto beschwerlicher wurde es. Der Hang wurde immer steiler, das Gestein bröckeliger und die Tatsache, dass er halb am Verdursten war, während ihm die Sonne in den Nacken schien, erleichterte den Aufstieg auch nicht gerade.

Irgendwann hatte er aber dann doch geschafft. Knapp fünfzig Meter neben ihm befand sich der Eingang zur Höhle. Er legte eine kurze Verschnaufpause ein und begann, sich zum ersten Mal darüber Gedanken zu machen, wie genau er den Drachen beseitigen wollte. Bis jetzt war das Ungeheuer immer so fern gewesen, dass er sich immer nur über den Weg Sorgen gemacht hatte und die Tötung des Drachens in den hintersten Winkel seines Gehirnes verdrängt hatte.

Wie er so dasaß, im Licht des aufgehenden Mondes, der fast voll war, und hin und her überlegte, vernahm er plötzlich ein Röcheln. Erschrocken sprang Aragorn auf und horchte. Schlurfende, kratzende Schritte, die langsam aber unaufhaltsam näher kamen. Der Drache!, schoss es ihm durch den Kopf. Panisch griff er nach seinem Schwert und trat einige Schritte zurück.

Und da kam er. Sein riesiger, dunkelgrüner Kopf mit den stechend gelben Augen schob sich aus der Höhle. Kleine, spitze Ohren und eine riesige Nase, die ihm den Weg wies, strahlend weiße Zähne, die im Mondlicht funkelten.

Aragorns Kehle war wie ausgetrocknet, sein Puls raste, sein Blick war unverwandt auf das Monster gerichtet, dass sich auf einer kleinen Felsplatte vor der Höhle aufbaute.

Sein Schwanz zuckte ungeduldig, seine Augen blickten gierig umher, suchend. Dann hatte sein Blick Aragorn fixiert und es kam auf ihn zugestapft.

Wie zu Stein erstarrt stand der Waldläufer da, unfähig, sich zu bewegen.

Gerade, als der Drache sein Maul öffnete, um den lästigen Zeck, bestimmt wieder einer von denen, der den Schatz wollte, zu beseitigen, kam Schneewittchen angesaust, briet dem Monster mit einem Stock eins über, das daraufhin ärgerlich den Kopf schüttelte und sich nach dem dreisten Angreifer umsah. Doch da war die blasse Schönheit mit dem pechschwarzem Haar schon an ihm vorbei, schnappte sich Aragorn, zischte den felsigen Berg hinab und setzte schließlich im Park vor ihrem Schloss auf.

»Danke«, stammelte Aragorn benommen.

Seppl und Brummbär latschten vorbei und blieben neugierig stehen.

»Und hat die Sache mit Tinkerbells Glitzer funktioniert?«

»Super. Und ich hab sogar wen mitgebracht.«

Brummbär musterte den Waldläufer kritisch. »Schon peinlich, von einer Frau gerettet zu werden, was?!«

Aragorn erwachte in einem rosa tapezierten Zimmer in einem hellblauen Himmelbett unter einer weiß und rosa geblümten Decke.

»Eine Frau mit Geschmack!« brummte Aragorn ironisch. Er gähnte herzhaft, streckte und reckte sich und machte sich dann auf die Suche nach einem Esszimmer.

Hier hatte zweifellos die Frau die Fäden in der Hand. Während Schneewittchen genüsslich ihr Frühstück verspeiste, wuselten die Zwerge um sie herum, brachten selbst gepressten Orangensaft und ofenfrische Semmeln, machten den Abwasch, wischten Staub.

Den ganzen Tag haderte er mit sich. Sollte er den Aufstieg noch einmal wagen? Schneewittchen liess ihn den ganzen Tag nicht aus den Augen; sie schien sicher gehen zu wollen, dass er das Schloss nicht verließ. Auch bemerkte er eine gewisse Spannung an ihr. Sie wirkte verkrampft, als würde ihr etwas bevorstehen, dass ihr nicht sonderlich behagte. Je weiter der Tag voranschritt, desto unruhiger wurde sie, und als sie zu abend, aßen bekam sie keinen Bissen runter, wanderte unruhig auf und ab und wimmelte die besorgten Zwerge unwillig ab.

Der runde Vollmond tauchte den Schlosspark in sanftes, milchiges Licht. Schneewittchen lehnte sich seufzend in ihrem Ohrensessel zurück. Unbewusst wartete sie darauf, horchte erwartungsvoll in die Stille. Doch er kam nicht, der Schrei. Erst da wurde ihr wirklich bewusst, dass sie es geschafft hatte. Sie hatte ihn besiegt und den Schatz geholt. Sie, als Frau! Damit hatte sie der Männerwelt einen ordentlichen Dämpfer verpasst. Zufrieden setzte sie sich ihre Lesebrille auf und schlug das Märchenbuch auf.