Susanne Alice Scherm (14)

Der Hutständer

Ich stehe in der Ecke, wie immer und warte. Auf ihn, bis er wieder geflogen kommt. Das macht er jeden Tag. Doch noch ist es hell, und er kommt erst, wenn es dunkel wird, von seinem Arbeitsplatz zurück. Von morgens bis abends hängt er dort. Ich stehe in der Ecke und er hängt, was ändert's. Aber ich schwitze im Sommer nicht so wie er. Das kommt von seinem Besitzer, der ist dick und fast glatzköpfig, und in die paar Haare, die er hat, schmiert er sich Unmengen von diesem ekelhaften Haarwasser. Trägt ihn der Besitzer ein paar Tage im Sommer, kann er ihn schon wieder reinigen lassen.

Er, auf den ich warte, und ich, wir haben unsere eigene Sprachweise. Er steht nicht auf mich, nein, er fliegt auf mich und hängt dann die ganze Nacht bei mir rum. Wir sind recht schweigsam, da wir nicht sehr gut reden können, dafür sind wir einfach nicht geschaffen, und dazu kommt auch noch, dass er aus Taiwan stammt, aus irgend so einer Fabrik, und ich aus dem deutschen Wald bin. Für eine Beziehung sind wir auch nicht geschaffen. Ich meine, ich bin männlich und er auch, dagegen hätte ich an sich nichts, doch ein wenig achte auch ich auf das Aussehen: Er ist klein und rund, trägt einen komischen Federnlook, weil er wohl öfter auf die Jagd geht. Ich bin eher der lange, hagere Typ. Aber gute Freunde sind wir, auch wenn wir bisher noch kein Wort miteinander gewechselt haben. Wir haben keine Scham mehr voreinander. Ich weiß, dass er im Sommer oft etwas übel riecht und im Winter immer klitschnass ist. Der Winter ist überhaupt eine schlimme Zeit für uns beide. Er geht schon aus dem Haus, wenn es noch dunkel ist, und kommt auch an den Abenden erst bei Dunkelheit wieder nach Hause. Aber dann ist er nass und tropft alles voll mit dem Schnee und dem Regen. Dann tropft das Wasser auf mich, da bin ich schon an manchen Abenden ganz aufgeweicht, meine Füße sind geschwollen, und dann kommt auch noch so ein kleiner Köter und verrichtet sein Geschäft an mir, doch ich kann ihn meistens nicht davon abhalten, denn ich bin ein wenig steif und unbeweglich, das bin ich immer, angeboren. Doch jetzt, wie ich sehe, wird es dunkel, und dort kommen sie auch schon. Er, mein Freund, wird von dem selben Herrn wie jeden Tag getragen, dem dicken Glatzkopf. Ich halte meine drei Arme weit nach oben gestreckt, versuche festen Halt unter meinen vier Füßen zu bekommen. Der Herr kommt durch die Tür und wirft mir meinen Freund zu, dieser fliegt auf meinen mittleren Arm, der sehr massiv ist. Durch und durch Erlenholz, wie mein ganzer Körper. Und beim Fliegen kommt mir schon der Duft von Waschmittel entgegen, mein alter Freund riecht heute besonders gut. Er war wohl in der Reinigung, keine Flecken mehr zu sehen.