Susanne Gottlieb (15)

Das Erbe

Als Sprössling einer hoch angesehen Mafia-Anwaltsfamilie, wobei man nicht den unglaublichen Reichtum vergessen sollte, war ich der einzige Erbe. Seit meinem fünften Lebensjahr war mir eingetrichtert worden, immer nett zu den Großeltern zu sein, obwohl ich damals noch nicht den tieferen Sinn dieser Handlung verstand. Meine Großeltern waren immer komische, misstrauische Kauze gewesen, aber ich konnte es ihnen nicht verübeln. Einmal, zu meinem sechsten Geburtstag hatte meine Mutter sie zum Essen eingeladen, und ich wäre beinahe erstickt, als ich Großmutters Kuchenstück aß, in dem sich eine riesige, nicht zerhackte Nuss befand. Seither nahmen sich die beiden immer eigene belegte Brote mit, die aufgrund ihres Geldes meistens mit Kaviar und sonstigen edlen Gaumenfreuden belegt waren. Ein anderes Mal waren sie zu Weihnachten da gewesen und Großvater wäre beinahe auf dem nassen Boden ausgerutscht, den meine Tante noch vorher gewischt hatte, und hätte sich somit am Schürhacken aufgespießt der da aus unerklärlichen Gründen ’rumlag. Mir taten die beiden immer Leid. Ich hatte mir angewöhnt, ihnen Briefe zu schreiben, und konnte sie so immer vor dem nächsten Mordkomplott, das in der wöchentlichen Familiensitzung festgelegt wurde, warnen.

Aber auch innerhalb unserer Familie tobte der Krieg. Familienangehörige verschwanden auf seltsame Weise im hohen Norden, aus dem es kein Zurück mehr gab, wobei gemunkelt wurde, dass man zumindest den männlichen Teil zuletzt zugepumpt mit einer Prostituierten in Richtung Süden gesehen hatte. Darunter war auch mein Lieblingsonkel Richard gewesen. Ich erinnerte mich noch gut, wie er mir immer Barbiepuppen geschenkt hatte und beschwipst gemeint hatte, so lerne ich den menschlichen Körper am besten kennen. Ich schenkte sie normalerweise an irgendwelche Mädchen weiter. Gar nicht Leid tat es mir dagegen um meine Großcousine Michelle, die irgendwer auf die verrückte Idee gebracht hatte, in Hollywood Karriere zu machen, und auf halbem Weg irgendwo, ich schätze Las Vegas, verschwunden war. Sie war eine Verrückte gewesen, die Vögeln gern den Hals umdrehte und sie dann mit dem Küchenmesser sezierte.

Doch niemand konnte sich den Fall rund um Halbonkel Lukas und seine geldgierige Freundin Anastasia erklären. Sie hatten auf ihrer Luxusjacht, mit der sie immer so angegeben hatten, eine Kreuzfahrt gemacht, und irgendwie muss ihnen wohl das Benzin ausgegangen sein, denn man hörte nie wieder was von ihnen. Ein Jahr lang erzählte Tante Lucilla, die Wischmoppmeisterin, wie gefährlich Luxusjachten heutzutage wären, wenn man nicht alle Schotten regelmäßig überprüfen würde. Sie war die Hexe unserer Familie und praktisch die Drahtzieherin sämtlicher der so genannten sportlichen Aktivitäten.

Doch um genau zu sein, ging es keinem so schlecht wie mir. Meine Eltern hatten früh entdeckt, dass meine Großeltern mich mochten und dadurch, dass sie den Anwalt bestachen, durften sie auch schon einen Blick auf das Testament werfen. Dort stand schwarz auf weiß mein Name als Alleinerbe von einer Summe, die ins Unendliche ging. Meine liebe, gute Mutter war nicht dumm und begann, mich daraufhin als ihren persönlichen Joker einzusetzen. Ich wurde von ihr und dem Rest meiner Familie, die hinter die Geschichte kamen, verhätschelt und verwöhnt, ich war einfach der Star unseres Familienclans.

Mit siebzehn – meine Großeltern hatten zur Enttäuschung vieler noch immer nicht das Zeitliche gesegnet – wurde mir dann klar, dass ich dieses blöde Geld nicht wollte. Ich dachte daran, meinen Kindheitstraum zu verwirklichen und Bauer in der Einöde, wo ich meinte, meine Ruhe zu haben, zu werden. Meine Eltern waren alles andere als glücklich. Mit ihren juristisch geprägten Augen sahen sie mich bereits als Staranwalt, der sein geerbtes Vermögen mithilfe des Gesetzes nur vergrößerte und genug an sie abfallen ließ. Doch auch monatelanges Ausgehverbot und Einschränkung der Nahrung konnten mich nicht von meinem Plan abbringen.

Als ich dann einundzwanzig Jahre alt war, starben die Alten schließlich. Es war ein Flugzeugabsturz gewesen. Vom Hören wusste ich, dass irgendein Verwandter von uns bei der Fluggesellschaft arbeitete.

Meine Familie wurde zur Testamentsverlesung vorgeladen. Der Anwalt las uns das Testament vor. Ich musste mich nur noch entscheiden, ob ich das Erbe annahm, als ein markdurchschütternder Schrei vonseiten meiner Mutter kam. Auch meine Tante warf jetzt einen Blick auf das Testament und fiel in Ohnmacht. Der Anwalt, im nicht allzu nüchternen Zustand, schaute sie besorgt an. Auch der Rest meiner Familie war jetzt neugierig geworden. Alles, woran ich mich noch erinnere, ist, dass die weiblichen Mitglieder bestürzt nach einem Glas Wasser krächzten, während die Männer teilweise mithilfe ihrer Krücken erbost und schreiend durch die Gegend stampften.

Was folgte, war die höchste Scheidungsrate in der Geschichte unserer Familie. Meine Großeltern wurden aus dem Familienstammbaum herausgestrichen. Der Anwalt hatte wohl im trunkenen Zustand das Testament verfasst, denn wie sich herausstellte, fehlte die Unterschrift meines Großvaters.

Heute lebe ich auf einem Bauernhof am Land, melke hin und wieder eine Kuh, komme alle zwei Monate in die Stadt, und werde für den Rest meines Lebens froh sein, dass das Geld noch auf irgendeiner Bank in Zürich liegt.