Sabine Schönfellner (15)

Nachtgespräche

Ein letztes Mal rüttelte er an der Tür, dann setzte er sich auf den Boden, lehnte sich an die Wand. Wie hatte das passieren können? Er, ausgerechnet er, eingesperrt in einem unbekannten Raum in der unbekannten Schule. Nachts.

Mit seinen Freunden war er durch ein offenes Fenster eingestiegen, einfach nur aus Lust und Laune. Sie waren herumgeschlichen, bis einer schließlich stehen geblieben war und auf eine Tür gedeutet hatte: »Schauen wir da rein?« Keiner hatte vorangehen wollen, er war sich sehr mutig vorgekommen, als er einfach die Tür geöffnet hatte und eingetreten war.

Er hatte ja nicht damit rechnen können, dass seine Freunde die Tür hinter ihm zuwerfen und absperren würden. Als sie dann losgelacht hatten, war ihm klar gewesen, dass es sich um eine Mutprobe handelte. Gleich darauf hatten sich ihre Schritte entfernt.

Was konnte er jetzt tun, außer auf den nächsten Morgen zu warten? Langsam stand er auf, sah sich um. Zwischen zwei bis zur Decke reichenden Bürokästen schlich er hindurch.

Durch ein Fenster auf der linken Seite fiel das Licht einer Straßenlaterne herein und spiegelte sich in den Glasvitrinen, welche die ganze rechte Wand verstellten.

Er kniff die Augen zusammen und trat näher. Aus der Vitrine starrte ihn jemand an, erschrocken stolperte er einen Schritt rückwärts.

Da erkannte er, dass es sich um eine ausgestopfte Katze handelte. Alle Vitrinen waren voller ausgestopfter oder eingelegter Tiere.

Die Neugier packte ihn, behutsam öffnete er die Vitrinentür. Die Katze hockte steif auf dem obersten Regalbrett und schielte mit ihren Glasaugen auf ihn herunter. Er streckte die Hand aus und strich über das getigerte Fell. »Wie lange sitzt du schon da? Fünfzig Jahre? Siebzig Jahre?« Die Katze zog es vor, zu schweigen.

Da entdeckte er auf dem untersten Regalbrett ein Glas, gefüllt mit Alkohol, in dem eine Quallenleiche schwebte. Er hob das Glas hoch und besah sich die Qualle näher.

»Immer nur Alkohol. Was sagt deine Leber dazu?« Die Qualle schwebte stumm weiter.

»Ich kann auch anders.« Er schüttelte das Glas kräftig durch und stellte es zurück.

Neben der Qualle befanden sich, ebenfalls in Alkohol eingelegt, einige Frösche. Laubfrösche, wenn man den Beschriftungen glauben durfte. Alle in verschiedenen Entwicklungsstufen, hübsch nebeneinander aufgehängt.

»Seid ihr Geschwister? Oder habt ihr euch einfach zufällig hier getroffen?« Er blickte auf jedes einzelne Tier, von der Kaulquappe bis zum fertigen Frosch. Alle glotzten stur in dieselbe Richtung.

»Hässliche Viecher«, murmelte er und wandte sich einer Fledermaus zu, die ordentlich auf einem Gestell fixiert war.

»Dir hat deine Flügelspannweite von einem Meter auch nicht viel geholfen«, sinnierte er und strich über die papierartigen Flügel. Das Maul mit den beeindruckenden Zähnen hielt der Flughund weiterhin offen.

Kopfschüttelnd blickte er vom Feuersalamander zur Smaragdeidechse, vom Wiesel zum Gürteltier und vom Eisvogel zu den aufgespießten Schmetterlingen.

»Welche Tiere haben die eigentlich nicht getötet? Ich meine, abgesehen von Elefanten und Walen?«

Er trat einen Schritt zurück, um die Ausmaße dieser Leichenhalle besser überblicken zu können.

Mit der Schulter stieß er gegen ein Gestell, dass er bis jetzt übersehen hatte, da es in der Ecke stand. Er warf nur einen kurzen Blick zurück und wollte sich dann wieder auf die Tiere konzentrieren, als er erkannte, was auf diesem Gestell aufgehängt war.

Ein Totenschädel grinste ihn an. Im ersten Moment unterdrückte er nur mit Mühe einen Aufschrei, dann zuckte er resignierend mit den Schultern.

»Denen ist auch gar nichts heilig.«

Die Gelenke waren mit Draht aneinander befestigt, sodass das Skelett in seiner vollen Pracht und Größe vorhanden war.

»Was hast du verbrochen? Hast du die ganzen Leichen hier produziert?«

Keine Reaktion. Er ergriff die Hand seines Gegenübers und schüttelte sie kräftig.

»Sehr erfreut.« Der Draht war alt und brüchig – ein Krachen und er hielt die abgetrennte Skeletthand.

»Nicht einmal sorgfältig aufgehängt haben sie dich.« Er legte die Hand zwischen die Füße des Skeletts und wandte sich ab.

Ein letztes Mal sah er sich um, dann verkündete er laut: »Wenn niemand mit mir reden will, dann lege ich mich schlafen.«

Tote Augen glotzen ihn weiter an. Er legte sich einfach auf den Boden, rollte sich zusammen und war innerhalb von Sekunden eingeschlafen.