Sabine Schönfellner (15)

Ins Gesicht geschrieben

Sie kniete sich neben der Leiche ins Gras und sah ihn fragend an. Er zuckte nur ratlos mit den Schultern, nahm im Schneidersitz Platz, streckte zaghaft die Hand aus. Mit zitternden Fingern strich er über das Fell. Sie blickte in die leblosen Augen. »Sollte man nicht … ich meine, muss man nicht auch bei einem Hund die Augen schließen?«

Absurd, dachte er, völlig absurd. Warum weicht sie nur den offensichtlichen Fragen aus?

»Dem Hund ist es ohnehin egal«, sagte er ungerührt. Sie zuckte zusammen, verbarg das Gesicht in den Händen. Er bildete sich sogar ein, Tränen zu sehen. Unruhig rutschte er hin und her, fühlte sich in seiner Haut nicht wohl.

»Ich hab’ es ja nicht so gemeint«, schwächte er seine Aussage ab.

Sie reagierte nicht, saß unbeweglich da.

»Er war ein guter Hund », meinte er halbherzig. Sie sah ihn ungläubig an, pflichtete ihm dann aber bei. »Ja, er war ein sehr guter Hund.«

Stille trat ein, beide wunderten sich darüber, was sie gesagt hatten.

»Vermisst du ihn etwa?« Seine Hände strichen immer noch wie automatisch durch das Fell.

Sie überlegte einen Moment, dann antwortete sie: »Es ist … die Gewöhnung. An seine Anwesenheit, meine ich.« Er fügte hinzu: »Er war einfach ein Teil des Ganzen. Und ein fehlender Teil …« Er ließ den Satz unvollendet.

Keiner von beiden erwähnte die vielen zerbissenen Schuhe oder die getöteten Hühner, die sicher kein Fuchs totgebissen hatte. Oder die Schafe des Nachbarn, die immer einem Herzinfarkt nahe gewesen waren, wenn er mit mordlüstigem Blick am Gatter vorbeigestrichen war.

»Er musste ja nicht leiden«, flüsterte er.

»Nicht leiden? Und was … ist mit …«, sie deutete auf den Hinterkopf des Labradors. Er beugte sich vor, erst jetzt sah er eine großflächige Verletzung, eine blutverkrustete Stelle im schwarzen Fell.

»Sieht aus wie … als ob … ihn jemand auf den Hinterkopf geschlagen hätte?«, fragte sie.

»Geschlagen? Wer sollte schon einen alten Hund schlagen?«, meinte er und wandte den Kopf ab.

Misstrauen flackerte über ihr Gesicht: »Es hat doch niemand einen Grund dazu.«

»Niemand«, flüsterte er wie ein Echo. Langsam drang das Bild des toten Hundes immer tiefer in sein Bewusstsein vor. Es berührte ihn doch, was er ihr gegenüber nicht zugeben wollte.

»Womit denn?«, sagte sie, während sie sich aufmerksam umblickte. Er beobachtete, dass ihr Blick dabei immer wieder zu dem Hund zurückhuschte, zu der Verletzung am Hinterkopf.

Plötzlich trafen sich ihre Blicke, fast hätten sie gesagt: »Mit einem Holzknüppel.«

»Aber wer?«, fragte sie hilflos. Er ließ sie nicht aus den Augen, als er mit belegter Stimme antwortete: »Der Nachbar vielleicht.«

Erleichtert nahm sie diesen Satz auf: »Ja, der Nachbar. Vielleicht. Wegen der Schafe.«

»Ja, wegen der Schafe.«