Mathias Rhode (16)

Und dann:

Toilettengestank. Schwere Luft und Nikotin. Müder Atem und hektisches Ziehen an Zigaretten. Kurze Blicke. Bald zu Hause. Überfüllt. Neben ihm Türken, hinter ihm Russen, Rauchwolken und Kringel. Fremde Sprachen und aufdringliche Kulturen. Aufeinanderprallen. Tropfender Schweiß. Hitzewellen.

Und dann: Wasser mit Limettengeschmack aus blauen Flaschen. Er trinkt und verschluckt sich. Unbeachtet. Raus, nichts wie weg. Eine Station, gleich umsteigen. Bissige Luft und brennende Mundhöhlen. Bild-Zeitungen auf den Tischen. Auf den Titelseiten zerschossene Köpfe und halbnackte Frauen. Dazu der Geruch von Big Mac und alter Fruchttasche. Im Fenster bunte Häuser, grüne Linien und Rapsfelder.

Und dann: Bahnhofseinfahrt. Gepäck wird gesucht, fällt herunter. Kurze Gespräche. Auf Wiedersehen, Dos Vidania und Gülle Gülle. Rucken und Quietschen. Omas und Opas stürzen. Türen klemmen. Treppe hinunter stolpern. Bahnhofslärm. Gedränge auf dem Bahnsteig. Unverständliche Ansagen. Zugverspätungen. Gleis 2.

Und dann fährt ein anderer Zug ein und hält. Sein Blick wandert entlang des Zuges und bleibt an einem zerkratzen Fenster kleben. Blickkontakt. Frauenaugen schauen ihn an. Sie sieht weg, und er versucht, sich ihr zu nähern. Sichtsperre. Ein großer Mann geht an ihm vorbei. Wieder kreuzende Blicke. Sie lächelt, im Zug, hinter der Scheibe. Ihre Hände streichen über die Arme, über die Haare. Sie steht versteinert für Momente und berührt die Scheibe.

Und dann lässt er sein Gepäck fallen, drängt sich durch die winkenden Menschen an den Zug heran und versucht, das Fenster zu öffnen. Sie drückt die Scheibe herunter. Wer bist du? Schweigen. Zaghafte Berührungen der Hände. Der Zug fährt nach Nürnberg, sagt sie, und sie legt die Stirn in Falten und lächelt ihm zu.

Im selben Moment wird die Abfahrt angekündigt. Er rennt zurück zu seiner Reisetasche, greift sie hastig, verliert Geld. Der Schaffner schließt die Tür zu ihrem Abteil. Adrenalinstoß. Er überlegt kurz und ordnet das Gedankenwirrwarr. Immer noch Blickkontakt mit ihr, als der Schaffner pfeift. Er läuft zu dem anderen Wagen, die Tür klemmt, und er stößt dagegen. Er wirft sein Gepäck zu Boden. Erleichterung. Er schaut zum Ende des Ganges, sie steht im anderen Wagen.

Und dann: Zugteilung. Nur vorderer Teil nach Nürnberg. Ansage überhört. Schnelle Schritte. Türen verschlossen, kein Durchgang. Gleisarbeiter zucken mit Schultern. Nasen und Hände an Scheiben. Rucken. Zug fährt. Aufgerissene Augen, schockierte Blicke. Grinsende Reisende. Wieder Zigarettengeruch. Geworfene Küsse und Beschleunigung.

Sichtsperre.

Und jetzt: Im Zug nach irgendwo.