Madeleine Adolf (20)

Essen lieben

Es war eine typische Grillparty. Sonja trug ihre blonden Haare hochgesteckt und hatte sich ein grünes Tuch umgebunden. Sie rauchte und quasselte ununterbrochen, lächelte jeden ihrer Gäste abwechselnd an und hoffte somit dafür zu sorgen, dass ihre Veranstaltung mitten im Garten wohl die coolste dieses Sommers in ihrer Clique werden würde. Ihr Miniaturhündchen kam herbeigelaufen und stupste mit der Nase gegen ihre Beine. Sie fuhr mit der Hand über seinen Rücken, nahm ihn auf den Schoß und zerstreichelte sein Fell.

»Ist er nicht lieb?! Nicht goldig?!«, sie drückte seine sabbernde Schnauze gegen ihre Brust. »Ich liebe Hunde!«, sagte sie betont oberflächlich, um nicht in die blöde Lage zu kommen, den anderen mehr erklären zu müssen. So kam kurze Zeit später das Thema auf Katzen, Meerschweinchen und Ähnliches, was sie zusammenfassend mit, »Ja, ich liebe alle Tiere!« kommentierte.

Steven am Grill rief zu ihr herüber, »Hey, ein Würstchen aus Hundefleisch vielleicht?«

»Ha ha, sehr witzig!« zickte Sonja, »Sind sie denn schon gut durch?«

»In Peru gibt’s als Festessen Meerschweinchen«, sagte Thomas, der etwas weiter hinten am Tisch saß, nippte am Bier und schaute ernst.

Ein entrüstetes »Äh!?« drang aus der Runde.

Sonja schnitt den Zipfel des Würstchens ab, schob ihn in den Mund.

»Das könnte ich nicht«, erwiderte sie kauend, »Ich meine, das sind doch so süße Wesen.«

»Kleine Kälber sind auch süß«, bemerkte Elli, eingekuschelt in zwei Strickjacken und zwischen Thomas und Corinna.

»Du wieder«, Sonja verdrehte die Augen.

»Und was ist mit den kleinen Fischen?« Thomas sah Elli belustigt an und spülte einen Schluck Bier zwischen seinen Mundhälften hin und her.

»Vegetarier sein ist eh out«, rief Corinna neben ihr dazwischen.

»Genau«, Sonja war froh, endlich wieder das Gespräch lenken zu können. »Das war mal 'ne Zeit lang in Mode, aber mittlerweile macht man das nicht mehr. Es gibt bessere Diäten.«

»Was denn? Weißt du eine gute?« Bekka an der anderen Seite des Tisches sah sie erwartungsvoll an und fügte etwas leiser hinzu, »Im Urlaub hab ich nämlich um einiges zugenommen.«

Steven griente. »Wir haben das alle eben gehört. Ganz schöne Schweinehüften hat sie bekommen, findet ihr nicht?«

Das scharfe Gelächter aller war seine Bestätigung, die er als Ermunterung sah, hinzuzufügen, »Saftig und lecker. Zum Reinbeißen!«

»Wir müssen ja nicht gleich zu Kannibalen werden«, amüsierte sich Corinna.

»Eigentlich müssten doch kannibalische und vegetarische Lebenseinstellungen miteinander vereinbar sein«, wandte sich Thomas an Elli, »schließlich isst man keine Tiere.«

Da legte Elli los.

 

Sonja zog ihr kläffendes Lieblingsgeschöpf zu morgendlichen Sportbetätigungen über die Dorfpromenade. Der Wind schnitt ihr in den Hals und sie zog ihre Lederjacke noch etwas höher.

Sonja war genervt. Dass aber auch niemand den Mund aufbekommen hatte gestern! Außer dieser unangenehmen Tierdiskussion. Was man liebt, das tötet man ja auch nicht. Außer in Shakespeare-Dramen, aber das ist was anderes. Und kannte sie das Schwein in der Wurst? Nein. Aber Elli, die neuerdings neben Gemüse nur noch Eier, Milchzeug und Fisch aß, um sich aufspielend als Vegetarierin, fachlich lateinisch genauer als Ovo-Lacto-Pesco-Vegetarierin (Sonja könnte sich doch analog Ovo-Lacto-Pesco-Hühnchen, auf Lateinisch-Schwein, auf Lateinisch-Rind, auf Lateinisch-Vegetarierin nennen), zu bezeichnen, hatte natürlich allen den Appetit nehmen müssen. Und die Laune. Moraldiskussion statt Feiern. Am Ende hatten sich alle ein Schwein als fröhliches, quiekendes Haustier vorgestellt. Da wäre ein Videoabend wohl besser gewesen. »Ein Schweinchen namens Babe«. Bekehrung für viele. So viel eigenen Zynismus vertrug sie nicht. Sie dachte schnell an etwas anderes.

 

Seufzend befreite sie zu Hause ihren Hund von der Leine und presste ihn an sich. Er lief fort in die Küche, wo sie ihren Vater hantieren sah. Sie setzte ihre Mütze ab und sich mit aderroten Wangen und vom vielen Denken hungrig zu ihrer Mutter. Eine Frau, die immer die Lösung ihrer Probleme wusste. Sie las ein intellektuell aussehendes Buch in braunem Einband.

»Mutti, was gibt’s zum Mittag?«

Sie schaute kurz auf. »Schweinegulasch.«