Katharina Müller (17)

Regen

»Wohin gehst du?«, fragte er. Sie war aufgestanden und stolperte umher. Sie sah ihn nicht an, ihr Blick flog glasig durch den Raum. Unruhig! Sie war unruhig, wie sonst nie. Er kannte sie nicht. Er erhob sich, sie zu berühren. Nur einmal ihre Schulter berühren, an ihrem Haar riechen für einen Moment, nur einen kurzen Blick festhalten. Um sicher zu sein, dass sie wirklich war. Dass sie wirklich war.

Er vermochte sie nicht zu greifen. Sie war zu schnell und zu unruhig. Unbegreiflich.

»Bleib stehen«, sagte er. »Bleib sofort stehen!« Sie sah ihn nicht an, obwohl ihr Kopf in seine Richtung gewandt war.

»Bleib stehen, verdammt noch mal!« Er griff sie hart an den Schultern und wunderte sich, dass sie nicht zerbrachen, unter dem Unrecht. Er krallte all seine Trauer in sie hinein und seine Angst vor dem Unausweichlichen. Fest, sehr fest.

»Sprich mit mir, verdammt, sprich, sag endlich was!«

Sie hielt den Blick gesenkt und zitterte nicht. Sie stand aufrecht, wie immer, voll Entschlossenheit und furchtlos.

»Sieh mich an«, flüsterte er. »Bitte.«

Doch sie regte sich nicht und trug das Unrecht mit zarten Schultern und sah ihn nicht an. »Siehst du nicht, wie sehr ich …« Ihm fehlte der Mut.

Sie blickte auf und sagte: »Der Regen wäscht alle Schuld.« Und sie wand sich mühelos frei unter seinem unrechten Griff.

»Geh nicht fort, verlass mich nicht, wohin gehst du?« Seine Arme hingen erschöpft.

Sie nahm seine schwere Hand ruhig in ihre weißen und betrachtete sie lange. Dann strich sie zögernd seine Haut wie zum Abschied und wandte sich ab. Es war zu viel.

Er ächzte vor Schmerz und stürzte und riss sie zu Boden und schlug auf sie ein. Mit der Faust ins Gesicht, die ganze Furcht ins Gesicht. Er brüllte und schlug und weinte tausend giftige Tränen. All seine Wut schlug er in sie hinein, bis er leer war. Leer.

Sie schrie nicht und sie weinte nicht. Sie rührte sich nicht, und sie war nicht mehr stark, wie sie dort auf dem Boden lag, sondern weiß und rein und vergoss Blut.

Er erschrak und wich zurück, die Hände erhoben und leer.

Sie stand leise auf und ging. Sie hatte gewusst von den Schlägen, und heute war es das letzte Mal.

Als sie weg war, hörte er: »Der Regen wäscht die Schuld.«

Er zitterte. Er war müde. Er hatte aufgegeben. Sie und sich selbst. Kein Blut an seinen Händen.

»Nein«, sagte er ohne Worte und müde. »Wohin gehst du? Vergib! Vergib. Die Tropfen sind zu klein für die Schuld.«

Und er wollte nicht sehen, dass sie gewusst hatte. Von seiner Schuld.

Draußen fiel Regen.