Katharina Laun (17)

Nachspiel

Freitag

Geschafft! Endlich ist auch die letzte Prüfung meines ersten Staatsexamens vorbei.

Viele Monate der Vorbereitung und des Lernens liegen jetzt hinter mir. Monate, in denen ich bis spät in der Nacht über meinen Büchern und am Computer gesessen habe. Monate ohne ausreichend Schlaf und ohne Freizeit.

Alles, was ich den letzten Semestern gelesen und gelernt hatte, musste ich wiederholen und anschließend möglichst vollständig im Kopf behalten.

Und dann die Prüfungen! Bei einigen Fragen bin ich ganz schön ins Schwitzen gekommen, denn bei diesen Fragen wurde nicht das Allgemeine abgefragt, sondern nur die Ausnahmefälle.

Trotz allem bin ich zuversichtlich. Bei den meisten Fragen habe ich die Antwort ohne viel nachzudenken geben können, und die Fälle, wo ich mir nicht ganz sicher bin, sind vielleicht etwas vage formuliert, aber bestimmt nicht ganz falsch. Durchgefallen bin ich mit Sicherheit nicht, vielleicht reicht es sogar für ein Prädikatsexamen.

Aber jetzt will ich erst mal ein bisschen ausspannen. Nach dem ganzen Stress werde ich hier an der Nordsee zwei Wochen Auszeit nehmen. Gleich nach der letzten Prüfung bin ich losgefahren, mit dem Zug dauerte die Reise knapp vier Stunden. Nicht sehr weit weg von zu Hause, aber weit weg von den Prüfungssälen.

»Im Laufe der nächsten Woche werden ihnen die Ergebnisse zugeschickt«, meinte der Professor auf die Frage, wie lange man wohl auf die Korrektur warten müsste. Ich habe die Adresse meines Hotels angegeben.

Samstag

Der erste Tag seit langen, an dem ich aufgewacht bin und nicht sofort darüber nachgedacht habe, was ich heute wiederholen muss. Ich habe ausgiebig gefrühstückt und dann einen langen Spaziergang am Meer entlang gemacht.

Am Nachmittag habe ich gelesen. Es ist lange her, dass ich ein Buch gelesen habe, das nichts mit dem Studium zu tun hat.

Vor dem Einschlafen habe ich bemerkt, dass ich fast vergessen habe, wie schön es ist, den ganzen Tag alles das zu machen, was man gerne tut.

Ich fühle mich wohl, meine Nerven beruhigen sich.

Sonntag

Eigentlich eine Wiederholung von Samstag. Lange gefrühstückt, Spaziergang, gelesen, einfach die Ruhe genossen.

An mein Examen denke ich nicht viel, und wenn, dann nur flüchtig.

Alle Anstrengung ist abgefallen, ich bin befreit und glücklich, genieße diese Zeit.

Montag

Es regnet, ich kann nicht spazieren gehen. Aber auch vor dem Fenster sitzen und den Regentropfen zusehen, wie sie über die Blätter der Bäume oder über die Fensterscheibe laufen, ist eine schöne Beschäftigung.

Einen Tag zu verträumen ist schön, vor allem, weil ich die Vorbereitungszeit ohne Tagträume auskommen musste.

Keine Zeit zum Träumen, denn das Examen kam mit jedem Tag näher, und wenn ich meinen Gedanken in einer kurzen Pause nachhing, dann endeten sie immer bei den Prüfungen und der Angst, durchzufallen. Dann also lieber doch nicht träumen, sondern weiter lernen.

Am Abend kam mir plötzlich eine Examensfrage in den Sinn, und ich war mir nicht sicher, ob ich die richtige Antwort gegeben hatte. Vielleicht hatte ich den Ausnahmefall verwechselt.

Ein kurzer Blick in eines meiner Bücher beruhigte mich jedoch.

Falscher Alarm, meine Antwort war richtig. Doch gut, dass ich die Bücher mitgenommen habe. Mir so einer Panikattacke habe ich gerechnet.

Dienstag

Ich habe in der Nacht sehr schlecht geschlafen. Ich träumte vom Examen, saß völlig unvorbereitet in der Prüfung.

Auch während des Frühstücks konnte ich den Traum nicht völlig abschütteln. Beim Spazierengehen nagte immer wieder ein leiser Zweifel in mir.

Ob meine Antworten wirklich alle so richtig waren?

Als ich später versuchte, zu lesen, konnte ich mich nicht auf die Geschichte konzentrieren, wusste nach zwei Zeilen nicht mehr, was ich überhaupt gelesen hatte. Eine leichte Unruhe hatte mich ergriffen.

Am Nachmittag waren meine Zweifel so stark geworden, dass ich versuchte, mich an möglichst viele Fragen und meine Antworten zu erinnern. Dann schlug ich in meinen Büchern nach, ob meine Antworten richtig waren.

Besonders gut lief es nicht, denn ich konnte mich zum größten Teil nicht an die exakte Fragestellung erinnern. Die Nervosität wurde immer stärker, denn wenn ich mich so schlecht an die Fragen erinnerte, hatte ich sie dann beim Examen vielleicht zu flüchtig gelesen und am Ende die Frage falsch bearbeitet?

Am Abend beschloss ich, die Bücher wegzuschließen, um meine innere Unruhe nicht weiter zu verstärken.

Mittwoch

Die Nacht über habe ich fast überhaupt nicht geschlafen. Immer wieder schossen mir Fragen- und Antwortfragmente durch den Kopf.

Zum Frühstück trank ich nur drei Tassen Kaffee, dann wollte ich spazieren gehen.

Kurz übertönte das Rauschen des Meeres die Stimmen in meinem Kopf, aber nach wenigen Minuten waren sie wieder deutlich zu hören. Immer wieder Fragen und Antworten.

Ich ging zurück in mein Zimmer und setze mich wieder über die Bücher.

Aber so sehr ich mich auch bemühte, die Fragmente ergaben zwar wieder vollständige Sätze, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern, ob ich diese Fragen in einer Hausarbeit, in einem Seminar oder im Examen beantwortet hatte. Meine Hände begannen zu zittern, mein Magen verkrampfte sich. Ich war nun fast so nervös, wie kurz vor dem Examen.

Irgendwann legte ich mich müde und mit Kopfschmerzen aufs Bett. Ich träumte wieder vom Prüfungsaal und dem Examen. Diesmal träumte ich auch von einer Stimme, die nur ein einziges Wort sagte: »Durchgefallen!«

Am Nachmittag setzte ich mich wieder über die Bücher, aber jetzt ging alles durcheinander. Meine Antworten und die Fragen verstrickten sich zu Sätzen, die weder im Examen vorgekommen noch richtig waren.

Am Abend war ich völlig verzweifelt, weinte, zitterte, war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Immer wieder saß ich über den Büchern, las ganze Absätze in der Hoffnung, mich doch an einige Frage und Antworten zu erinnern.

Um halb zwölf nahm ich zitternd und mit hämmernden Kopfschmerzen eine Schlaftablette; fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Donnerstag

Beim Aufwachen spürte ich weder Panik noch Nervosität. Ich lag mit geschlossenen Augen da und hörte auf das Prasseln der Regentropfen.

Dieses Geräusch hatte mich schon während der Vorbereitungszeit immer beruhigt, ich fühlte, wie mein Herz ganz gleichmäßig schlug. Ein leichtes, freieres Gefühl durchflutete mich, die Aufregung der letzten Tage verschwand langsam.

Als ich die Augen öffnete, war dieser Zustand vorbei. Ich sah die Bücher auf dem Tisch liegen, die Anspannung, dieses inzwischen so vertraute Gefühl, bemächtigt sich meiner erneut. Kopfschmerzen, Kniezittern und der unregelmäßige Herzschlag, alles kommt zurück. Ich muss in den Büchern nicht mehr lesen, die wirren Gedanken verstricken sich schon zu sinnlosen Sätzen, wenn ich sie nur anschaue.

Ohne Frühstück gehe ich ans Meer. Der Horizont liegt weit von mir entfernt, das Meer ist glatt wie ein Spiegel. Fast wie bei meiner Ankunft.

Meine Ankunft! Hektisch rechne ich nach, wie lange ich schon hier bin.

Fast eine Woche! Bald muss das Ergebnis geschickt werden.

Meine wirren Gedanken verschwinden, ebenso die Nervosität. Sie machen einer riesigen Angst und Verzweiflung und einem einzigen Gedanken Platz: Bin ich durchgefallen oder nicht?

Das Rauschen des Meeres ängstigt mich, die Wellen, die auf mich zukommen, scheinen mich verschlucken zu wollen. Ich renne in mein Hotel zurück, die Angst läuft als lautloser Begleiter mit.

Als ich die Tür öffne, fällt mein Blick sofort auf ein großes braunes Kuvert. Ein weißes Schild gibt den Absender bekannt: Staatliche Universität Heidelberg …