Federico Grössing (15)

Friedhof der Haustiere – Zu Hause bei Familie Riffert

In einer Welt, die von Menschen dominiert wird, hat man es als Tier sowieso nicht leicht. Wenn dann noch Menschen hinzukommen, wie zum Beispiel die Familie Riffert, kann man sich als unterlegenes Geschöpf gleich eingraben.

Familie Riffert, bestehend aus den beiden Elternteilen, dem Junior und dessen Schwester, war keineswegs eine Gruppierung von Menschen, die den sadistischen Drang hatten, kleine, unschuldige Tiere zu quälen, mehr lag es daran, dass die Art der Haltung oft nicht artgerecht durchgeführt wurde. Das Haus ebenfalls erwies sich als ein Gebäude voller heimtückischer Fallen und die Gegend, in der sie wohnten, war nicht besonders tierlieb – bösartige Nachbarn, die jeden Hund am liebsten dem Fleischwolf übergeben hätten, und ein schießwütiger Jäger, der schnelle Bewegungen nicht leiden konnte und mit der geladenen Flinte im Bett schlief.

Junior und Schwester hatten sich schon in ihren frühersten Jahren ein Haustier gewünscht. Die Eltern sahen das ohne jeglichen Widerspruch ein, jedes Kind braucht einen kleinen Freund zum Spielen und erfüllten ihren Lieblingen diesen Wunsch sofort. Somit war auch die Gefahr gebannt, dass sich ihre Kinder unsichtbare Freunde anschaffen würden, die nur in ihrer Fantasie existieren würden und mit ihrem späteren Verschwinden psychische Schäden bei Junior und Schwester hinterlassen könnten.

Es wurde ein Hund angeschafft. Nico wurde er getauft. Nico hatte die Ehre, als erstes Haustier die Auswirkungen des Fluches zu spüren. Nico, ein edler, deutscher Schäferhund (etwas anderes kam den Rifferts nicht ins Haus), war bald nicht mehr so edel anzusehen, ob es wohl an den überaus nahrhaften, selbst gekochten Mahlzeiten oder an den täglichen Strapazen der beiden Kinder lag, Nico schaffte es nicht lange und ging dann, wahrscheinlich von dem biohaltigen Futter genervt, zu Grunde. Dem tapferen Hund wurde ein anständiges Begräbnis zum Abschied geschenkt, jedoch wurde er in der Dunkelheit der Erde übergeben, damit keiner der Nachbarn einen Verdacht schöpfen konnte, was im Garten der Rifferts vorging. Doch dies war erst der Beginn einer langen Kettenreaktion und der Einweihung des Friedhofs der Haustiere.

Nicht lange in Trauer, wünschten sich die Kinder einen weiteren Hund, aber ja keinen Schäfer mehr! Die Eltern wussten, welch tiefen Schmerz ihre Schützlinge plagen müsste, sie hatten den Verlust des geliebten Haustiers ebenfalls in ihrer Kindheit am eigenen Leibe zu spüren bekommen und wollten die Kinder nicht dieser Marter aussetzten. Und bald war ein weiterer Hund im Haus.

Diesmal handelte es sich nicht um so eine riesige Gestalt, da der Schäfer ohnedies zu viel Platz eingenommen hatte, entschied man sich für einen kleineren Hund. Vielleicht etwas zu klein, denn das Sparpaket von Hund war viel zu leicht zu übersehen. Doch der Winzling war genauso wendig wie flink und wich jeder Gefahr in Form von Fußsohlen und herabfallenden Büchern geschickt aus. Das Schicksal meinte es dennoch nicht gut mit ihm, eines Tages, als er gerade dabei war, seinen Durst an dem Wasser der Kloschüssel zu stillen, rutschte er unvorsichtigerweise aus und ward dann nicht mehr gesehen. Die Familie, welche die Leiche übrigens nie fand, errichteten dem Zwerg ein Denkmal, möge er immer in unseren Erinnerungen weilen. Insgeheim waren die Eltern froh gewesen, die lästige Töle endlich los geworden zu sein, die Mutter hätte die ständige Vorsicht, dem Hund nicht versehentlich ein Lexikon raufzudonnern, nervlich nicht ausgehalten, und auch dem Vater wurde die ständige Vorsicht zu viel.

Der eine zu klein, der andere zu hungrig. Trotzdem wagten die Rifferts einen weiteren Versuch, immerhin hatte keiner der beiden länger als zwei Wochen unter ihnen geweilt. Und so kamen sie zu ihrem nächsten Köter.

Dieser, ein Cocker mit dem Namen Hund, war nicht dumm und stahl sich in einem unbeachteten Moment aus dem Haus, kaum zwei Stunden nach seiner Ankunft, darum auch keine konkrete Namensgebung. Hund kam aber nicht weit, im Visier des mürrischen Jägers rannte der Cocker in den Tod, wäre er doch zu Hause geblieben. War doch nicht so überaus klug gewesen.

Von Hunden wollte die Familie in nächster Zeit nichts wissen, langsam bekam man den Verdacht, dass das Glück dieser Art von Haustier nicht wirklich hold war.

So fasste die Familie den Entschluss, sich Katzen anzuschaffen, sie waren selbstständiger und außerdem auch pflegeleichter. Er hätte Hunde sowieso nicht leiden können, meinte der Vater, ein billiges Argument, um den wahren Grund des Haustierwechsels leicht zu vertuschen.

Zu Beginn gab man sich mit nur einer Katze zufrieden, das führte jedoch zu Streit zwischen den Geschwistern, und die Katze, genannt Cleopatra (stolzer Namengeber war der Herr Vater gewesen, der sich immer ärgerte, wenn man den Namen durch Cleo oder einfach durch Mieze abkürzte), bekam bald einen Lebensgefährten: Caesar (wie originell, stammte ebenfalls vom Vater). Doch die Katze und der Kater konnten einander nicht leiden und hatten auch nicht vor, etwas an ihrer gespannten Beziehung zu verändern. Mieze und Mieze II. mieden sich die meiste Zeit, hatten ein heimliches Abkommen geschlossen: Der faule Kater Caesar hatte das Haus für sein Reich erklärt, Cleo hielt sich lieber im Freien auf. Als sich dann der Kater doch noch entschloss, die Welt außerhalb seines Heimes, welches er übrigens über drei Wochen nicht verlassen hatte, zu erkunden, wurde er sogleich von einem Lastwagen gerammt. Die Mieze vermisste den faulen Kater anscheinend nicht und genoss in vollen Zügen ihr konkurrenzloses Leben und die Vergrößerung ihres Reiches. Jedoch nicht lange. Bei der Jagd eines Insektes wurde sie auf den Dachboden gelockt und in ihrem Blutrausch verschätzte sie sich, was die Entfernung zwischen Fenster und Erdboden anbelangte. Solch ein größerer Sprung in die Tiefe würde den meisten Katzen nichts ausmachen, doch selbst eine Landung in die Tiefen der Dornbüsche konnte die stärkste Katze nicht unbeschadet überleben. Und Cleopatra hatte sich nicht auf den Sturz vorbereitet und war somit in ihren Tod gesprungen.

Doch die Rifferts lernten nichts aus ihren Fehlern oder den Fehlern der jetzt toten Vierfüßler und sahen das ganze nur als Kette zufälliger Unglücke.

Trotzdem mussten die Kinder einige Zeit nerven, bevor sich die Eltern dazu überwanden, weiteren Haustieren Eintritt in ihren Lebensraum zu genehmigen. Diesmal verzichteten sie jedoch auf Tiere, die das Haus nach Belieben verlassen konnten, da sie vermuteten, dass dies der Grund allen Übels sein konnte. Platz im Garten hatten sie noch genügend.

Das nächste Tier hieß Bunny, dem Namen zufolge, ein Karnickel. Aus lauter Angst, es könnte ihm ebenfalls so ergehen wie Nico, der den Biofraß nicht mehr länger ertragen hat können, wurde der ohnedies etwas rundliche Hase mit den nicht gerade cholesterinärmsten Lebensmitteln gefüttert. Bunny aß das ungesunde Zeug mit Genuss, und auch die Kinder konnten es sich nicht verkneifen, ihn hin und wieder einen Schokoriegel in den Käfig zu schmuggeln. Bunny verschied auf unerklärliche Weiße innerhalb von zwei Wochen.

Auch das Meerschweinchen, welches sich gern auf dem Fernsehsofa der Familie gemütlich gemacht hatte, überlebte nicht lange.

Der darauf folgende Hamster mied zwar den Kontakt zum Staubsauger, was ihn auch einige weitere Lebensstunden einbrachte, versteckte sich leider zu oft in Hosen, bis es dann einmal geschah, dass er während des Schleuderganges das Zeitliche segnete. Das Hausschwein hatte die geringsten Chancen zu überleben, da die Familie auch ab und zu Hunger bekam.

Das übereilige Dahinsterben der Vierbeiner wurde den menschlichen Hausbewohnern etwas suspekt und sie blickten durch die paradoxe Situation nicht durch. Auch die Anzahl der Gräber war drastisch in die Höhe geschossen und eine Vergrößerung des Grundstückes war in Folge weiterer Tote nicht auszuschließen. Außerdem wagte sich keiner mehr nach Einbruch der Dunkelheit in die Nähe des Friedhofs, niemand hatte Lust, das unheimliche Bellen und Miauen, dessen Ursprünge unfindbar waren, über sich ergehen zu lassen. Und die Nachbarn waren immer misstrauischer geworden, der Jäger machte Anstalten, die merkwürdigen Erscheinungen zu überprüfen. So wurde die Anschaffung von weiteren Tieren bis auf weiteres verschoben. Mögen sie in Frieden ruhen.