Barbara Steif (16)

Erkenntnis

Er sah sie an, sah in ihre Augen, die sich verengten, sah auf die zarten Hände, die sich zu Fäusten ballten, sah das dünne Band ihrer Augenbrauen, die sich erzürnt zusammenzogen, sah den schönen Mund, der ihm Beschimpfungen entgegenwarf, sah das geliebte, vor Schmerz verzerrte Gesicht, sah die Haare, die sich durch ihre wilde Gestikulation von ihrem Zopf gelöst hatten und nun bei jeder Bewegung tanzten.

»Du bist schön, wenn du wütend bist.« Er bewegte kaum die Lippen, er hatte leise gesprochen, zu leise. Sie hatte ihn nicht gehört, strich sich verzweifelt die Tränen aus dem Gesicht.

»Also gut!«, sie versuchte gefasst zu klingen, »wenn es das ist, was du willst, dann ziehe ich eben aus.«

Sie raffte wahllos ein paar Sachen zusammen, die vor ihr auf dem Boden lagen. Ein Buch, das er ihr einmal geschenkt hatte, einen einzelnen Socken, ein T-Shirt …

Er beobachtete sie dabei. Ihre Wut war etwas wie Unterwürfigkeit gewichen, komplette Resignation.

»Ich liebe dich«, sagte er sanft, und es war das erste Mal, dass er es wirklich meinte. Er lächelte, zuerst leise, lachte dann laut los.

»Ich liebe dich«, sagte er noch einmal. Jetzt ganz laut. Dann schrie er es aus sich heraus.

Sie starrte ihn verstört an. Eine letzte Träne löste sich von ihren langen Wimpern und rollte über die gerötete Wange. »Ich dich doch auch«, flüsterte sie.