Christiane Scherch (14)

Von der Zerbrechlichkeit der Farben

Der Sommer ist lange her. Es war der Sommer mit dir. Der Letzte. Jetzt ist es Winter. Deine wärmenden Worte sind längst verstummt und werden nie wieder zurückkehren. Der Sommer sowieso nicht – nicht mit dir. Ich weiß nicht, ob du mich jetzt hören kannst, aber damals, als ich sicher eingehüllt in einer Umarmung deiner Worte träumte, waren sie noch hell. Ja, deine Worte gingen von Licht erfüllt durch meine Träume. Sie legten sich zärtlich auf meinen Kopf und drangen tief in mein Unterbewusstsein ein.

Du gabst mir die Phantasie, die ich nicht hatte. Deine Phantasie war heller, bunter, blühender…

Man sagt das doch so: Blühende Phantasie…

Und doch wurde dein schon blindes Schicksal von noch einem Dunkel überschattet. Deine Krankheit bestimmte dein zerbrechliches Wesen. Genauso glasig wie deine Knochen traten deine Haut, deine Gedanken und auch die Farben in Erscheinung. Die Farben waren durchtränkt von stiller, aber schöner Einsamkeit. Eingetaucht in zarte Pastelle.

Ich habe dir immer gewünscht, diese eine schwarze Farbe, die eigentlich gar nicht wirklich eine Farbe war, zu verlieren. Ich habe neben dir im Gras die Augen geschlossen, um den Moment mit dir zusammen zu erleben, in dem die Farbe von hell zu dunkel, von dunkel zu hell und von beidem zu dem wird, was dazwischen liegt. Und als der Sommer zu Ende ging, schien das Glas Sprünge zu bekommen. Du wurdest blass, und auch deinen Worten wurden die letzten zarten Töne entzogen. Ein durchsichtiger Schleier hatte deine letzten Sätze eingehüllt und sie nicht mehr zu mir durchdringen lassen.

Nach deinem Tod wurden meine Nächte von Dunkelheit durchflutet, und eine Farblosigkeit strömte durch ein scheinbares Leck in mein Inneres.

Ich kann mich an deine Worte erinnern, wenn auch nur schwach, aber ich kann es.

Als ich dir von meiner Welt erzählte, wolltest du auch in einer solchen leben. Wir haben beide nie begriffen, warum uns eine Mauer trennte und wir nur in Gedanken zusammen sehen konnten.

Ich habe dir gewünscht, die letzten Stunden deines Lebens in meiner Welt zu sein. Ob es so war, weiß ich nicht, ich jedenfalls habe solange in deiner gelebt, bis sie untergegangen ist.

Die Farben schwanden in Sekundenschnelle, und das Glas zerbrach lautlos. Die Pastelltöne flohen wie feine Qualmwolken ohne Schatten dahin.

»Eines Tages werden wir die selben Farben sehen«, hast du gesagt, als du in meinen Armen gestorben bist.