Barbara Ritter (17)

Wolkenbilder

Mit meinen Lippen drehe ich den Grashalm in meinem Mund, zerkaue ihn langsam, während sich sein bitterer Geschmack auf meiner Zunge ausbreitet. Ich liege ausgestreckt im knietiefen Gras, die Beine übereinandergeschlagen. Die geknickten Halme unter mir kitzeln meinen Rücken, und der Wind biegt die Gräser, die an meinen Seiten emporragen, so tief zu mir herab, dass sie abzubrechen drohen. Der würzige Geruch der Wiese, den ich mit jedem Windstoss von Neuem wahrnehme, hinterlässt ein Kribbeln in meiner Nase. Die Arme verschränkt hinter dem Kopf, blicke ich zum Himmel, den Wolkengebilde in allen Grautönen bedecken. Sie scheinen ob ihrem Gewicht immer tiefer herabzusinken, und mir ist, als hörte ich den Himmel ächzen unter der ihn niederdrückenden Last.

Gebannt betrachte ich die Wolken, die ihre Formen fortwährend verändern, sich zu neuen Gebilden auftürmen, miteinander verschmelzen, oder sich plötzlich auflösen, um in anderer Gestalt wieder zu erscheinen. Unaufhörlich zeichnen sie Bilder an den Himmel, erzählen Geschichten mit immer neuen Figuren, deren Umrisse sich wie bei einem Schattentheater am weissen Hintergrund abzeichnen. Das Stück, das sich über mir entfaltet, und dessen Bühne sich vom Horizont bis weit hinter mein Gesichtsfeld erstreckt, zieht mich in seinen Bann.

Der anmutige, hellgraue Storch verzieht sich zu einer dunkleren, sich von milchigen Hintergrund abhebenden Blume. Und dort verliert der Frosch, der soeben dem Storch entwischt ist, seine Form und wölbt sich zu einem kugeligen Etwas auf, das bald Traubenbeeren ähnlich sieht. Die Blume plustert sich nun auf und nimmt den Umriss einer riesigen Hand an, die alle anderen Gebilde niederdrückt und mit ihrem Gewicht die Trauben zu zerquetschen versucht. Dann löst sich die Hand plötzlich auf, verfranzt und fliesst ineinander, bis sie sich zu einer gleichmässigen, dunkelgrauen Brühe vermischt.

Gleichzeitig wird der Wind kälter. Ich beginne zu frösteln und merke, wie der kribbelnde Duft der Gräser dem Geruch nach Regen weicht.

Der erste Tropfen fällt auf meine Stirn, rinnt in einer geraden Bahn über meine Schläfe, bis ihn der Ärmel meiner Bluse aufsaugt. Weitere Tropfen fallen herab, hinterlassen dunkle Flecken auf meinen Kleidern. Hilflos sehe ich mit an, wie sich die Wolkenbilder in Tropfen auflösen, und nun auf mich niederprasseln. Noch immer blicke ich zum Himmel, der Bühne des Theaters, doch der Vorhang hat sich geschlossen, und übrig bleibt nur der Regen, der auf die Wiesengräser klatscht und dem gespielten Stück begeistert applaudiert.