Stefanie Panzenböck (18)

Der ohne Sinn ging die Straße entlang. Es war Nacht.

Er fing das Licht einer Leuchtreklame auf und steckte es in die Tasche. Es verglühte zwar, aber das störte ihn nicht.

Die Straßenlaterne ignorierte ihn.

Ihr Leuchtfaden war gerissen. Sie war verantwortlich für die 3674 Autounfälle in den nächsten zwölf Jahren auf dieser Straße, und für die danach und davor und die ganze Milchstraße.

Der ohne Sinn wollte sie nicht bemitleiden.

Dafür übersah er sie und trat in ihren langen Hals. Unter normalen Umständen Bluterguss, unter verdunkelten der Tod für eine Sekunde Schmerz.

Die Straße war nass, weil die tote Laterne weinte. Der ohne Sinn dachte, dass es regnete. Um ihn herum bildete sich eine Salzkruste, auch auf seinem Kopf. Das brannte. Er wusste nur etwas von saurem Regen. Von salzigen Straßenlaternentränen hatte er noch nie etwas gehört. Er blieb stehen, spannte einen Regenschirm auf und ging weiter. Bald hörte es zu weinen auf. Er spannte den Schirm wieder ab.

An der nächsten Straßenecke war die Post. Da würde er auf seine Freundin warten. Er war bereits zwei Tage zu spät. Sie hatte sich bestimmt längst umgebracht. Er würde trotzdem auf sie warten.

Er stellte sich an die Ecke, genau an die Kante gelehnt. Leute gingen an ihm vorbei. Sie lächelten nicht. Sprachen sie von Selbstmord? Der ohne Sinn versuchte angestrengt zuzuhören. Sie sprachen von Blumenerde, die wieder teurer geworden war. Das stimmte sie traurig. Der ohne Sinn konnte sie gut verstehen. Er hatte auch geweint, als vor einer Woche der Preis der Rasierklingen im Supermarkt wieder erhöht worden war. Sie hatten ihn ausgelacht und ihm von der Plastikpackung aus messerscharf in die Unterlippe geschnitten. Er hatte geblutet. Zu Hause hatte er seine Gabel ganz lange angestarrt. Sie hatte sich nicht verbogen.

Die Kante hinter ihm wollte sich auch nicht erweichen lassen. Auch nicht, als er mit der flachen Hand auf sie einschlug. Sie war wie seine Freundin.

Ein paar Leute unterbrachen ihr Blumenerdengespräch und sahen ihm eine Weile neugierig zu. Sie waren Feiglinge. Keiner hatte den Mut, der Kante zu helfen, den ohne Sinn zu besänftigen. Sie wussten noch nicht, wie sie ihren verstaubten, halbtoten Balkonblumen alles erklären sollten. Die Kante hatte Verständnis dafür und machte die Augen zu.

Der ohne Sinn hatte Angst, sie könnte sterben.

Er hörte lieber auf.

Er war zu spät.

Der Abschiedsbrief lag vor der Posttür. Er hatte ihn vergessen abzuholen. Vorgestern. Er hatte keine Zeit gehabt. Seine Gabel hatte sich nicht verbiegen lassen.

Da lag noch die Hand seiner Freundin auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Er würde sie in die Blumenerde pflanzen, die er noch zu Hause hatte. Vielleicht würde sie wieder wachsen.

Die teure Blumenerde konnte er sich im Moment nicht leisten.

Seine Armbanduhr schrie ihn an. Ihr Sekundenzeiger schlug nach ihm aus. Er blutete auf der Stirn.

Er schlug immer weiter auf ihn ein, bis die Zeit abgelaufen war.

Er war wirklich zu spät.