Elisabeth Klar (16)

Nicht-Raunzerzone

Tausend Jahre lang war unser Österreich ein heiles Land. Es war vielleicht nicht glücklich, es war vielleicht nicht schön, aber es war heil, weil jeder sich jederzeit soviel beschweren durfte, wie er wollte.

Aber dann brach die Rezension herein, und die zwielichtige Kommission für Aufschwung kam auf die fatale Idee, unsere traute Heimat zu einer Nicht-Raunzerzone zu machen.

Wieso sollte denn ein Verbot des Raunzens für den wirtschaftlichen Aufschwung von Österreich gut sein?

Man denke nur an die vielen Berufsgruppen, die damit geschädigt würden:

Psychotherapeuten, Beschwerdehotline-Bedienstete, aber auch Politiker und Kabarettisten, sie alle wären um ihre Existenzgrundlage, die Beschwerde, gebracht und würden zu tausenden Arbeitslosen werden.

Und das soll uns helfen, unsere Probleme zu lösen?

Doch ganz abgesehen von der wirtschaftlichen Seite wäre es auch moralisch und ethnologisch eine Katastrophe.

Man darf den Einfluss auf Rentner nicht vergessen, die viel früher bettlägrig würden, würden sie sich nicht täglich durch regelmäßiges Gejammer geistig fit halten. Man denke an die sozialen, gesellschaftlichen, ökonomischen Konsequenzen!

Und zu guter Letzt pflegt Österreich eine außergewöhnlich lange Tradition des sich Beschwerens.

Als wir in den Türkenbelagerungen schon längst nichts mehr zum Essen hatten und uns kaum noch aufrichten konnten, haben wir trotzdem tapfer weiter geraunzt.

Und das wollen wir gerade in einer Zeit des allgemeinen Wohlstands aufgeben?

Nein, Österreich darf seine Wurzeln nicht vergessen, Österreich darf nicht die Vielfalt seiner schlecht gelaunten Mimik für ein einziges normiertes Lächeln verkaufen!

Aber, Gott sei dank, sind unsere Bürger viel zu träge und gemütlich, um mit diesem Brauch jetzt zu brechen. Stattdessen fangen unsere zähen Helden an, nun über die Nicht-Raunzerzone zu raunzen.