Elisabeth Klar (16)

Spiegelzwilling

Drei Wochen tat ich nichts anderes, als Kisten zu schleppen. Das erste, was ich auspackte, war der große, alte Spiegel meiner Familie, und das letzte waren die Tarotkarten.
Nachdem ich diese in einer Schublade verschlossen hatte, musste ich wieder daran denken, warum ich aufs Land gezogen war. Ich kam aus einer Familie, deren Mitglieder mehr sahen, mehr hörten und mehr fühlten, als andere Menschen, und bei mir war diese Fähigkeit besonders stark ausgeprägt. Doch in der Stadt waren die aufeinander treffenden Schwingungen, die einzeln Beziehungen, Geschichten und Geheimnisse zu vielfältig, zu verschichtet, sodass sie sich in einer chronischen und intensiven Migräne ausdrückten.
Dünn war ich geworden durch die ständige Übelkeit, die mir der Druck verursachte. Hier draußen merkte ich sofort, dass eine große Last von mir genommen war.
Doohna, meine schwarze Katze, strich mir beruhigend um die Beine, während ich mein Hab und Gut in Regale räumte, Traumfänger aufhängte und mit einer Kerze mein Haus von bösen Schwingungen reinigte. Das Photo meiner Mutter stellte ich auf den Kamin. Sie war meine spirituelle Führerin gewesen, und sie hatte mir auch geraten, mich zumindest fürs erste von der Stadt zurückzuziehen. Es hatte mich einiges gekostet, ein ganzes Haus samt Schwimmteich nur für mich alleine zu bauen, aber Einsamkeit war mir nun mal wichtig, in diesen Tagen.
Meinen Nachbar sah ich zum ersten Mal, als ich den vielen Müll entsorgte, der beim Umzug angefallen war. Er lächelte mir zu, als er zum Briefkasten ging.
»Hallo!«
»Guten Morgen!«, rief ich, »Sie sind wohl mein Nachbar?«
»Ja«, sagte er leise, fast ein wenig verschreckt und beobachtete mich weiterhin freundlich, während ich zwischen den Mistkübeln werkte.
Als das Wichtigste ausgepackt war, stellte ich auch meine Malutensilien wieder auf; ich lebte von meiner Erbschaft und davon, die besten Bilder zu verkaufen.

Eine Woche nach meiner Ankunft wurde der Teich ausgehoben und hinterließ ein dunkles, tiefes Loch im Garten.
In der selben Nacht fing es an.

Ich hörte Schreie; sie kamen mir bekannt vor, ja, es war, als würde ich mir selbst zuhören. Und ich sah meine Katze, die mich mit großen pupillenlosen Augen anstarrte und fauchte.

Die Sonne weckte mich auf.
Noch ganz verschreckt vom Alptraum, stand ich auf und rief nach Doohna. Sie antwortete nicht, was mich ein wenig beunruhigte. In Schränken und Kästen suchte ich und rief immer wieder ihren Namen, aber sie blieb spurlos verschwunden. Da sah ich etwas Dunkles auf der Landstraße liegen.

Als ich Doohna so reglos auf der Straße liegen sah, war ich nahe daran, zu verzweifeln, aber bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass sie noch lebte. Zuerst wollte ich sie aufheben, doch ich hatte viel zu viel Angst, sie zu verletzen. Völlig ratlos saß ich so über ihr und streichelte sie vorsichtig.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Mein Nachbar stand hinter mir und sah mich an. Als sich unsere Blicke trafen, senkte er schnell den Kopf.
»Könnten Sie? Ich habe zu viel Angst, um sie anzugreifen.«
Er hockte sich zu ihr und schob langsam und vorsichtig eine Hand unter das Hinterteil, um es zu stabilisieren, sicherte mit der anderen Hand den Rest des Körpers und hob sie behutsam in die Höhe, ohne auch nur die Stellung eines Beines zu verändern.
Nachdem ich eine Decke auf dem Küchentisch ausgebreitet hatte, legte er die Katze darauf. Dann untersuchte er sie fast zärtlich und meinte:
»Sie hat Glück gehabt. Es ist nur ein Bein gebrochen.«
Ich sah ihn an.
»Woher wissen sie soviel über Tiere?«
»Ich bin Tierarzt.«
»Sie sind sehr vorsichtig.«
Er nickte, »Ja. Leben ist etwas unsagbar Wertvolles.«

Als ich zwei Tage später, meine Katze musste nun mit den Hinterbeinen in einem Art Wägelchen spazieren gehen, Zwiebeln schneiden wollte, nahm ich ein Messer aus dem Messerblock. Als ich es jedoch berührte, war es, als würde plötzlich ein starker Wind durch mich wehen, das Zimmer drehte sich, jemand schrie – war es ich? Dann wurde es dunkel.

Das erste, was wieder zu mir drang, war das eindringliche Läuten des Weckers. Oder des Telefons?
Ich öffnete die Augen und merkte, dass ich auf dem Küchenboden lag, mir Kopf und Rücken wehtaten und sich meine linke Hand verkrampft um das Messer geklammert hatte. Mit Mühe stand ich auf und hob den Hörer ab:
»Hallo?«
Meine Stimme klang etwas angestrengt.
Am Telephon war die Baufirma, die fragte, wann sie denn das Wasser in den Teich einfüllen sollte.
Nachdem ich das Telefonat beendet hatte, malte ich zur Beruhigung. Ich achtete kaum auf Motiv und Farben, ließ den Pinsel einfach über die Leinwand gleiten und meine Gedanken wandern.
Danach legte ich mich schlafen.

Mitten in der Nacht erwachte ich. Die Balkontür stand offen, ein scharfer Wind blies durchs Haus.
Dann erfasste er auch mich, strich über meinen Körper und ließ mich erstarren. Als wäre ich plötzlich nicht mehr Herr meiner selbst, stand ich auf und trat steifbeinig hinaus ins Freie. Es war kalt draußen, in der Nacht davor hatte es geregnet, und so stand ich in der nassen Erde, denn Gras war noch nicht ausgesät worden.
Ich wollte zurück ins Haus, aber meine Beine gingen trotzig weiter in den Garten und mein Nachthemd schleifte auf dem dreckigen Boden.
Plötzlich fühlte ich, wie auf einen Schlag das entwich, das vorher in mich gefahren war; ich fiel fast hin, weil mein Körper erschlaffte. Ich drehte mich um und wollte zurück ins Haus laufen, aber da schrie ich auf.
Auf dem Grund des Teiches lag eine Frau, mit dem Gesicht nach unten, und im Rücken hatte sie eine blutige Wunde.
Mehr schlitterte oder fiel ich hinunter, als dass ich sprang, kroch durch den Schlamm zu der Frau hin, überwand meine Scheu, sie zu berühren, und fühlte ihren Puls. Ich fand ihn nicht. Obwohl es natürlich sinnlos war, versuchte ich noch verzweifelt, ihren Oberkörper umzudrehen, um sie zu beatmen, als mir das Adrenalin einen Pfeil durch die Brust jagte.
Die Frau, die mir da mit starren, toten Augen ins Gesicht schaute, war ich selbst!

Als ich in meinem Bett aufwachte, war ich verschwitzt, die Hände krallten sich in die Bettdecke, und meine Füße waren schlammverdreckt. Nur ein böser Traum konnte es also nicht gewesen sein.
Ich ging in den Garten, aber der Teich war leer. Den Kopf schüttelnd wusch ich mir die Füße und sah nach meiner Katze. Sie schien Schmerzen zu haben, und ich klingelte bei meinem Nachbarn, um ihn wieder um Hilfe zu bitten.
Dieser hatte tiefe Ringe unter den Augen, ja, er sah so aus, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Trotzdem untersuchte er in der Küche bereitwillig meine Katze und gab ihr eine schmerzstillende Tablette.
Als er aber mit einer Hand das Messer streifte, das bei mir die Ohnmacht ausgelöst hatte, zuckte er zurück. Seine Augen waren vor Furcht weit geöffnet, seine Hand zitterte.
»Was ist los?« fragte ich.
Er zog die Hand fort.
»Was spürst du?«
In langsamen, kleinen Schritten ging er rückwärts und schüttelte leise den Kopf.
»Sag mir, was du gesehen hast!«
Ich machte einen Schritt vorwärts, er wich weiter zurück und stieß an die Wand des Kühlschranks.
»Nein!« sagte er.
»Es ist wichtig!«
Den Arm schützend vors Gesicht gehoben, murmelte er: »Ich muss sterben. Er sagte, ich muss sterben. Ich bin schon tot. Er ist tot.«
Vorsichtig legte ich ihm die Hand auf die Schulter. »Ruhig! Wie sieht er aus? Warum musst du sterben?«
»Ich weiß doch nicht!« schrie er und hob die verkrampften Hände, »Ich höre ihn doch nur!«
Dann fing er an zu schluchzen, seine Beine knickten ein und er senkte den zitternden Kopf. Ich umarmte ihn, streichelte seinen Rücken.
»Du musst nicht sterben«, flüsterte ich, »Ich pass auf dich auf.«

Als er gegangen war, war ich unendlich müde. Irgendetwas schien uns beide zu bedrohen, und ich fing an, die Kontrolle darüber zu verlieren.
Kaum hatte ich mich auf die Bettbank gesetzt, um etwas auszuruhen, sank ich schon in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Diesmal erwachte ich langsam und entspannt. Blinzelnd genoss ich die Abendsonne, streckte mich, richtete mich langsam auf und stockte.
Aufgefächert über den ganzen Tisch lagen Tarotkarten, drei waren herausgenommen und aufgelegt. Ich kannte die Symbole, sie waren so eindeutig, wie es fast nie vorkommt. Jede der Karten verstärkte die andere, es war ein immer mächtiger werdender Kreis: Mord! Mord, das sagten sie.
Plötzlich erinnerte ich mich der Bilder, und als ich sie fand, sahen sich meine Befürchtungen bestätigt. Auf jedem Bild, das ich am Tag meines ersten Anfalls gemalt hatte, war ich selbst in blutroten Farben abgebildet, mit toten, starren Augen und einer hässlich großen Wunde im Rücken.
Das Gesicht in die Hände gestützt, versuchte ich, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich brauchte Hilfe, ganz dringend. Da meine Mutter sich lange mit Geistern und Flüchen beschäftigt hatte, rief ich sie an, aber sie war nicht zu erreichen. Also sprach ich ihr auf den Anrufbeantworter, erklärte ihr aufgeregt meine Situation und bat sie, herauszufinden, ob es vielleicht Morde oder ungewöhnliche Todesfälle in der Geschichte dieses Grundstückes gab.
Nachdem ich aufgelegt hatte, fühlte ich mich besser. Bald würde sich die ganze Sache aufklären.

Am nächsten Tag kam die Baufirma, legte eine Folie aus und ließ Wasser in den Teich laufen. Obwohl ich mich freute, dass das hässliche Loch nun endlich mit fröhlich glitzerndem Wasser gefüllt war, blieb ein kleines Gefühl von Unbehagen zurück. Es kam mir fast so vor, als würde ich eine Leiche begraben.
Am Abend zögerte ich, zu Bett zu gehen. Schlafend schien ich leichte Beute für den Geist zu sein, und so lange ich nicht wusste, was er vorhatte, war es wohl besser, ihn fern zu halten. Also trank ich zwei Tassen Kaffee, schloss alle Türen und Fenster, um den Geist nicht herein zu lassen, setzte mich auf den Küchentisch und dachte nach.
Angefangen hatte der Spuk, nachdem der Teich ausgehoben worden war. Auch das Messer musste eine Rolle spielen. Aber warum terrorisierte der Geist gleich zwei Menschen, wo diese nicht einmal auf dem selben Grundstück wohnten? Unruhig ging ich durchs Haus, suchte nach meiner Katze. Sie lag im Wohnzimmer und beobachtete mich aufmerksam.
Als ich mich zu ihr hinunterbeugte, merkte ich plötzlich, fast aus den Augenwinkeln, wie sich ein Vorhang vor dem Fenster bauschte.
Sofort sprang ich herum und stürzte fort, aber zu spät, wie ich verzweifelt dachte, als ich spürte, wie der Wind über meine Haut strich und sich meinen Körper gefügig machte. Mit all meiner Macht versuchte ich mich dagegen zu wehren, aber ich richtete mich auf und ging zielstrebig ins Badezimmer, wo der große, alte Spiegel meiner Familie stand.
Vor dem blieb ich stehen, tauchte den Finger in die flüssige Seife und schrieb auf die Scheibe: »Du bist tot.«
Dann lächelte ich mir zu.
Kurz brach ich durch die Mauer zwischen meinem Willen und meinem Körper, ballte die Hand zur Faust und schlug sie mit aller Macht in den Spiegel. Er sprang, feine Risse liefen spinnennetzähnlich über das Glas, aber es hielt im Rahmen. Durch den Sprung sah ich mich nun doppelt. Ich blutete.
Darauf wurde der Wind wieder stärker. Noch während meine Faust im Spiegel steckte, begann ich wieder zu lächeln, fragte: »Warum tust du das?«
Ich nahm die Hand aus dem Spiegel, streichelte sie mit der anderen und legte den Kopf schief.
»Ich bin nicht der Feind.«
Meine heile Hand bewegte sich vorsichtig zu meinem zweifachen Spiegelbild und schien es streicheln zu wollen.
»Ich will uns doch nur helfen«
Mein Gesicht wurde dunkel.
»Es darf nicht… weiß du, es ist schon geschehen. Es war…«
Meine Lippen pressten sich zusammen.
Mühsam erkämpfte ich mir die Kontrolle über meinen Mund, brachte »Wer bist du?« hervor.
Aber nur eines der beiden Spiegelbilder ahmte mich nach. Das andere blieb gelassen und lächelte dann höhnisch seinen Zwilling an.
»Dumme Frage«, sagte es.
Auf einen Schlag wich der Wind, ich fiel nieder und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf. Vor meinen Augen flackerte die Welt.
Mit der unverletzten Hand an der Spüle abgestützt, richtete ich mich auf. Beide Spiegelbilder taten wieder, was ich wollte.
In der Küche verband ich mir die Hand. Ich konnte noch kaum glauben, was mit mir geschehen war. Was wollte der Geist nur von mir?
Das Telephon läutete, und ich zuckte zusammen. Als ich aber abhob, hörte ich eine vertraute Stimme.
»Marcia?«
»Ich bin so froh, dich zu hören!«
Es war meine Mutter.
»Was hast du herausgefunden?«
»Nun, vielleicht nicht unbedingt das, was du erwartest.«
»Wieso?«
»Ich habe gemeinsam mit unserem Vereinsvorstand deine Umgebung genauestens ausgependelt. Aber da war nichts. Das hier ist wirklich ein außergewöhnlich ruhiges Plätzchen, keine Spur von Flüchen oder umherirrenden Seelen in seiner Geschichte.«
»Das gibt es doch gar nicht.«
»Doch, anscheinend schon. Noch ist hier kein Mord geschehen.«
Irgendetwas an dem Unterton in ihrer Stimme beunruhigte mich.
»Mein Kind« sagte sie, »Es ist besser, du setzt dich irgendwo hin. Was ich dir jetzt sagen werde, ist alles andere als harmlos.«
Nur meinen Atem und das leise Rauschen der Leitung hörte ich, während sie schwieg.
»Marcia,… es ist dein Geist. Und es ist dein Mord.«
Irgendetwas schien mir den Boden unter den Füßen weg zu ziehen, schnell griff ich nach dem Tisch und hielt mich daran fest, sonst wäre ich gefallen.
»Was?«
»Ja, und ich fürchte, der Schwimmteich scheint dein Grab zu sein. Hast du dich nicht selbst in ihm liegen gesehen?«
»Schon, aber ich hätte doch nie gedacht…«
»Ich weiß. Es ist nicht gerade ein häufiges Phänomen, dem du begegnet bist. Hör zu, ich werde versuchen, es dir zu erklären.«
»Mutter, ich weiß nicht, ob ich das jetzt…«
»Es ist notwendig. Ich weiß nicht, wie schnell ich zu dir kommen kann, und bis dahin musst du zumindest eine Ahnung davon haben, was auf dich zukommt. Denn, so wie es aussieht, bist du bereits gestorben, zumindest in einer Wirklichkeit. Nun ist dein Geist in die Vergangenheit zurückgekehrt, um genau das zu verhindern und somit eine zweite Wirklichkeit zu schaffen, in der du weiterlebst. Damit wäre seine eigene zerstört, sein Leiden nicht nur beendet, ja, es wäre niemals da gewesen.«
»Also ist das, was mich schon seit Tagen terrorisiert, nichts anderes als ich selbst? Aber der Geist schien mir so unheimlich, fast bösartig.«
»Nun, ein gewaltsamer Tod ist ein traumatisches Ereignis. Er verändert die Persönlichkeit meistens sehr stark und selten zum Guten. Dennoch, grundsätzlich will er dich beschützen. Das darfst du nie vergessen!«
»Was soll ich also tun?«
»Lass ihn zu, das ist das Beste, bis ich bei dir bin. Und kümmere dich um deinen Nachbarn. Ihm scheint etwas Ähnliches zu geschehen, also hat er vermutlich auch spirituelle Kräfte. Sicherlich kann er jedoch nicht mit ihnen umgehen. Er braucht wahrscheinlich Hilfe. Aber denke zuerst an dich, Marcia, pass auf!«

Nachdem ich aufgelegt hatte, spazierte ich langsam durch die Zimmer, um meine Gedanken halbwegs zu ordnen. Meine Mutter hatte recht, der Teich war der Auslöser für all die Visionen gewesen. Vermutlich würde der Mörder, wer auch immer er war, meine Leiche dort verstecken. Aber wer wollte mich umbringen? Und wie? Da fiel mir das Messer ein, und ich dachte daran, dass es unten auf dem Küchentisch direkt neben einem großen Fenster lag. Ein Einbrecher hätte keine Mühe, es zu knacken. Er könnte durch die Größe meines Hauses angezogen worden sein. Doch das erklärte immer noch nicht, dass auch mein Nachbar Todesvisionen hatte.

Jäh wurden meine Gedanken durch ein Poltern unterbrochen, und ich schrak auf. Leise schlich ich hinunter zur Haustüre, von wo das Geräusch gekommen war. Sollte ich aufmachen? Unschlüssig zögerte ich, als ich jemanden leise wimmern hörte. Da riss ich mich zusammen, spannte mich an und öffnete vorsichtig die Türe.

Es war mein Nachbar, der sich zusammengekauert gegen die Hauswand drückte, verwirrt, zitternd, ausgezehrt. Sein linker Fuß hing schlaff herab.
»Was ist dir passiert?«
»Er… er war es.«
»Komm herein!«

In der Küche sah ich mir seinen Fuß an, aber als ich ihn berühren wollte, zuckte er zurück.
»Soll ich einen Arzt rufen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Er will, dass ich etwas mache«, flüsterte er.
Sofort verstand ich, was er meinte und betrachtete ihn ernst.
»Ich fürchte, du wirst ihm gehorchen müssen.«
Er sah auf, »Aber, ich will das doch nicht. Ich kann doch nicht…«
»Hör zu, er versucht dich zu beschützen. Ich weiß, dass das schwer zu glauben ist, aber er hilft dir.«
»Hab ich denn keine andere Wahl?«
Eine Sekunde lang zögerte ich, »Nein, ich fürchte nicht. Ich weiß selbst keine.«
Sein Gesicht verkrampfte sich. Verzweifelt entschlossen sah er aus.
»Na Gut!«
»Trinken wir erst einmal einen Kaffee. Oder willst du etwas anderes?«
Abwesend nickte er, »Kaffee ist gut.«

Als ich mich umdrehte, hörte ich ein kratzendes Geräusch. Kaum hatte ich mich erinnert, dass das Messer noch immer auf dem Tisch lag, wehte der Wind über mich, mein Körper spannte sich an, packte eine gläserne Obstschüssel und drehte sich um.
Kurz sah ich das Metall in seiner Hand aufblitzen, bevor ich zuschlug, und das Glas auf seinem Kopf zersplitterte.
Einen Moment erstarrte er, sah mich mit erstaunten Augen an und fiel dann, schlaff wie ein Sack und mit einem dumpfen Geräusch, zu Boden.

»Oh mein Gott!« flüsterte ich.
Alle Kraft schien mich verlassen zu haben. Ich sank neben ihm auf die Knie und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Nun verstehe ich. Hast du geglaubt, mich töten zu müssen, um zu überleben? Vielleicht wusstest du von deinem Angriff gar nichts. Vielleicht hast du nur gesehn, dass ich dich töten würde, gerade dich, der das Leben so schätzt. Hast du dich betrogen gefühlt? Warum musstest du gerade diesen Ausweg suchen? Wirklich, es war ein Teufelskreis.«
In der Stille spürte ich, wie mir etwas entglitt. Vor mir entstand ein Spiegelbild. Ich hob die Hand, und der Geist ebenfalls. Wir legten die Handflächen aufeinander.
»Danke«, sagte ich.
Mein Spiegelbild nickte und antwortete:
»Nun bin ich nie gestorben.«
Bebend schloss ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete, war ich allein. Nur die Katze lag auf dem Teppich und schnurrte.