Elisabeth Klar (16)
Er war einer jener Alten, die nur noch in ihrer kleinen Wohnung auf den Tod warten, sich aufliegen und als einzigen Trost Schmerzmittel bekommen, die sie nichts mehr spüren lassen. Aber er wollte nun mal in seiner vertrauten Umgebung bleiben, und verließ sich lieber auf Pfleger, die er kannte.
Als seine Krankenschwester ihn an jenem Tag wusch, wachte er auf und erkannte sie lächelnd. Er konnte zwar nur noch verschwommene Formen sehen, und die Welt wie ein verlaufenes Aquarell, aber sie strich ihm vorsichtig über den Handrücken, bevor sie mit ihrer Arbeit begann, und er kannte ihre Berührung.
»Es ist gut, dass Sie mich waschen«, sagte er, »Es ist gut, sauber zu sein, wenn die kommen.« Sie nickte, oder er glaubte, sie nicken zu sehen.
»Wissen Sie, die hatten viel zu tun in letzter Zeit, aber heute werden sie kommen. Es geht doch zu Ende mit mir, nicht wahr?«
Wieder nickte sie.
Er musste eingeschlafen sein, denn als er langsam erwachte, sah er die Schatten von vielen Menschen in seinem Zimmer. Angestrengt kniff er die Augen zusammen, um in der undeutlichen grauen Masse einzelne Personen erkennen zu können.
Er glaubte, seine Enkel und Urenkel zu sehen, seine Kinder und Geschwister. Alle starrten ihn stumm und ernst an und rührten sich nicht, sondern schienen auf seine Worte zu warten.
Der Alte ließ sich Zeit. Erst, als niemand reagierte, sich niemand zu rechtfertigen oder zu entschuldigen versuchte, runzelte er die Stirn und sagte:
»Ich hoffe, ich träume nicht.«
Aber er fühlte sich nicht so, als würde er träumen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass ihr mich noch einmal besuchen würdet, nachdem ich das Testament abgeschlossen habe. Ihr überrascht mich immer wieder.«
Senkten sie die Köpfe, sahen sie beschämt zu Boden? Es war schwer zu sagen.
»Zeit gelassen habt ihr euch ja. Wie lange ist es her, drei oder vier Monate, seit ihr das letzte Mal hier wart?«
Wieviele waren es wirklich?
»Na, immerhin habt ich ihr mich noch erwischt«, sagte er noch, dann schlief er ein.
Ein Streicheln seines Handrückens weckte ihn. Seine Krankenschwester öffnete die Fensterläden und ließ Licht herein.
»Sie sind alle gekommen«, sagte er. Sie nickte und drehte sich fort. »Wissen Sie, es hat doch keinen Sinn, jetzt noch verbittert zu sein«, er lächelte, »dabei hätte ich wohl allen Grund dazu. Aber immerhin, immerhin sind sie doch noch gekommen.«
Am nächsten Morgen antwortete er auf ihr Streicheln nicht mehr. Ruhig setzte sie sich und nahm seine eiskalte Hand. Die Strohpuppen zumindest würde sie nicht mehr aufstellen müssen. Mit alten Kleidern hatte sie die Figuren ausgestattet und den Raum verdunkelt, um den Alten zu täuschen, weil sie es eben einfach nicht übers Herz gebracht hatte, ihn nach zwei Jahren einsam und verlassen sterben zu sehen.
Du bist ein wirklich betrogener Mann, dachte die Krankenschwester und strich über sein Haar, nicht einmal mir konntest du vertrauen.