Elisabeth Klar (15)

 

Zug. Vor mir jemand, der mich ansieht.

Richtig ansieht. Ich rede hier nicht von diesem Blick zum Horizont, oder das gelangweilte Betrachten der Kleider. Ansehen, weil er etwas von mir will. Vielleicht Liebe. Unwohlfühlen.

Irgendwohin schauen, nur nicht zu ihm. Sonst kommt er vielleicht noch auf die Idee, dass ich ihm geben will, was er verlangt. Und was verlangt er?

Vielleicht nur ein leichtes Vorbeugen des Oberkörpers, sodass er die Gelegenheit bekommt, in meinen Ausschnitt zu sehen, vielleicht ein Berühren seines Knies, vielleicht ein Klischee…

»Kann ich vielleicht deine Telephonnummer haben?«

Ich meide ihn noch mehr. Sein Blick fast berechnend.

Ich wünsche mir, dass die Zeit vergeht, ohne dass ich ihn anschauen muss, oder vermeiden muss, ihn anzuschauen.

Die Anonymität liegt zerschmettert am Boden, und ich fühle mich nackt.

Früher sehnte ich mir oft herbei, gesehen zu werden, nicht schon vom Ultra-Kurzzeitgedächtnis ausgemistet zu werden, mir den Weg in die grauen Zellen des Langzeitgedächtnisses zu bahnen und dort ein kleines Bild zu hinterlassen: Das ist Cindy.

Jetzt möchte ich nichts, als das alte Desinteresse und die Gelegenheit, mein Buch weiterzulesen.

Er wartet übrigens. Er hat ganz eindeutig eine Erwartungserhaltung.

Das Buch bleibt mir fremd, weil ich aus den Augenwinkeln seinen Blick nicht zu erfassen mich anstrenge, weil uralte Instinkte mich lehren, auf starrende Blicke zu achten, aufzupassen, wenn einer dich richtig ansieht. Denn das heißt: gejagt werden, Beute sein sollen.

Er hat Geduld.

Ich frage mich inzwischen, was wohl passieren würde, wenn ich ihn zurück ansehen würde, direkt in die Augen, mit all meinem »Ich habe einen Freund«-Ausdruck, was er dann machen würde. Interessant, nicht?

Aber ich bin nun mal ein Produkt meiner Reflexe

und traue mich nicht.