Elisabeth Klar (15)

Angeln

Ich kam in diese Stadt, als es Mittag war.

Weil meine Füße geschwollen waren, lief ich barfuß, und sprang von Schatten zu Schatten.

Vor meinen Augen flimmerten umherirrende Menschen, und ich war selbst zum Schwitzen zu ausgetrocknet.

Hoffnungsvoll sah ich es blau durch die Bäume schimmern.

Bald war ich bei einem See angekommen.

Hektisch warf ich nur mein Gepäck ab, dann sprang ich hinein.

Unter Wasser presste die Kälte auf mich mit eiserner Hand.

Ich tauchte auf und rang nach Luft.

Gelächter. Ein alter Mann saß am Rande eines Steges, angelte und lachte mich aus.

Noch während ich an Land stapfte, mit der am Körper klebenden, ausrinnenden Kleidung,

kicherte dieses runzlige Männlein weiter, und konnte sich gar nicht mehr halten.

Ich ging zu ihm.

»Do you speak English?«

»Tu n’as pas de la patience«, sagte er.

»Mhm«

Ich verstand nichts.

Schliesslich blieb ich bei ihm, denn ich hatte für den Tag nichts vor.

Um ein Quartier kümmerte ich mich nicht. Sollten mich doch Hunger und Kälte holen, Hauptsache, Wasser war in der Nähe, in das ich mit Köpflern und Bomben springen konnte. Er angelte weiter, während ich planschte, joggte, und manchmal über den Rasen zickzack sprintete.

Dann ließ ich mich von der Sonne trocknen und sah ihm zu.

Ohne jede Regung hielt er die Angel schon seit Stunden. Und dann riss er sie plötzlich hoch und nahm den zappelnden Fisch ab.

Als er die Angel wieder hinunterlassen wollte, bemerkte ich, dass er keinen Köder benutzte. Ich wollte ihn darauf aufmerksam machen, aber er fing nur wieder an zu kichern:

»Tu n’as pas de la patience.«

Ich konnte nur lächeln und nicken, während er die Angel hinunterließ und mit aller Ruhe darauf wartete, dass noch ein Fisch einfach so anbeiße.

Den ganzen Tag und Abend fing er nur diesen einen Fisch. Aber er schien zufrieden.

Ich schwamm noch eine Runde in dem von der Sonne rot gefärbten Wasser, als ich den Angler aufstehen sah.

»On y va!« rief er, winkte mich an Land. Er wollte anscheinend, dass ich mit ihm mitginge.

Aber ich schüttelte den Kopf, ich liebte diese Nacht, und diese Stadt, und diesen See. Ich wollte bleiben.

Da fing er wieder zu lachen an. Das schien bei ihm so üblich zu sein.

»Tu es fou!« rief er, aber er setzte sich wieder hin. Ich holte einen kleinen Gaskocher aus dem Rucksack und machte uns Tee.

Die Sonne versank im See, während ich heißen Tee schlürfte und er akribisch den Fisch zerteilte.

Als er den Magen ausnahm, winkte er mich her,

»Regards!«

Zwischen Fleisch, Gräten und schuppiger Haut holte er eine kleine, schwarze Kugel hervor, glänzend und glatt.

Eine Perle.

Er gab sie mir zum Ansehen, und ich betrachtete sie in der tiefroten Sonne. Dann versuchte ich, sie ihm zurückgeben, er aber drehte sich fort, schien mich nicht zu hören, und arbeitete weiter an seinem Fisch.

Ich sagte unbeholfen »Merci«, das einzige französische Wort, das ich kannte, und steckte die Kugel behutsam ein. Ich wiegte sie immer wieder in meiner Hand diesen Abend.

Als er den Fisch fertig zubereitet hatte, schnitt er den Fisch ohne ein Wort in zwei Teile, und ließ nicht zu, dass ich meinen Teil zurückschob.

So aßen wir gemeinsam.

Bald waren die Teller leer, und ich hatte noch immer Hunger. Der Fisch hätte nicht einmal für eine Person gereicht.

Und kaum war der letzte Bissen verschlungen, stand der Greis schon auf, wünschte

»Bonne nuit«

und ging.

Ich wollte ihm etwas geben, das mir viel wert war, aber da war er schon zu weit entfernt.

So blieb ich verwirrt zurück, verwirrt über den alten Mann.

Da war er vielleicht den ganzen Tag fast ohne Regung am Rande des Steges gesessen, vielleicht unterbrochen von seinem ausgelassenen Gelächter über mich. Er benutzte keinen Köder, war nicht nur mit einem Fisch zufrieden, nein, teilte ihn auch noch mit mir, und sogar die Perle gab er mir. Und dann verschwand er einfach, ging seiner Wege. Noch während ich darüber nachdachte, schlief ich ein.

Den alten Mann sah ich nicht wieder.

Als Erinnerung blieb mir die schwarze Perle.