Gabór Fónyad-Joó (19)

Hugo

Zu meinem elften Geburtstag bekam ich ein kleines Kaninchen, dem ich den Namen »Hugo« gab. Mein Vater baute für Hugo einen genügend Raum bietenden Käfig, der im Pferdestall neben unserem Haus seinen Platz fand. Am Anfang, in den ersten paar Tagen, durfte ich meinen neuen Freund mit ins Haus nehmen. Hugo schlief in einer Schuhschachtel, die ich für ihn mit ein wenig Stroh und einer kleinen Schüssel Wasser zurechtgemacht hatte, neben meinem Bett. Bevor ich schlafen ging, nahm ich ihn aus der Schachtel und streichelte ihn einige Minuten lang. Nach ein paar Tagen zog er in den Pferdestall um, und so war dies nicht mehr möglich, weil mich mein Vater am Abend nicht alleine aus dem Haus gehen ließ. Jeden Morgen aber führte mein erster Weg zu meinem Kaninchen, nicht nur in den Ferien, sondern auch während der Schulzeit. Da stand ich zehn Minuten früher als gewöhnlich auf – ich wollte Hugo ja nicht versetzen.

Alles in allem – ich gewann mein Haustier sehr lieb. Es gehörte einfach zur Familie. Am Nachmittag ging ich sehr oft in den Pferdestall, manchmal log ich meine Mutter sogar an und sagte ihr, ich hätte für die Schule keine Hausübung, nur um mehrere Stunden damit zubringen zu können, Hugo auf dem Schoß zu halten und mit ihm zu reden, und ich glaubte fest daran, daß er mich verstand. Ich erzählte ihm von meinen Gedanken über die Menschen und die Welt, von dem hübschen Mädchen, das in der Schule rechts vor mir saß, ja, ich gestand ihm auch mein schlechtes Gewissen ein, das ich wegen der nicht erledigten Schulaufgaben hatte. Hugo schaute mich nur mit seinen schwarzen Knopfaugen an. Dann strich ich über seinen Kopf und gab ihm eine Karotte, die ich von meiner Mutter aus der Küche entwendet hatte. Er warf die großen Löffelohren nach hinten und biß genüßlich hinein. Nachdem er aufgegessen hatte, legte er seinen Kopf dankbar auf meinen Arm.

An anderen Tagen jedoch konnte ich Hugo dabei beobachten, wie er seine »Wohnung« umgestaltete. Ich blieb bei der Stalltüre stehen und schaute ihm aus einer gewissen Entfernung zu – ich fürchtete, daß er sich durch meine Anwesenheit, die er so nicht bemerkt hat, in seinem Werk gestört gefühlt hätte. Er schob mit seiner Nase sein Futtertellerchen vom linken Eck ins rechte. Dann blieb er stehen, gleichsam um den neuen Standort seiner Eßecke zu prüfen, und entschied schließlich, daß der vorherige doch weitaus vorteilhafter gewesen wäre, worauf das Tellerchen wieder zurückgeschoben wurde. So trieb er es oft stundenlang, mal das Futtertellerchen durch seine Behausung stoßend, mal das Wasserschüsselchen, und dann wieder das Stroh ordnend. Ich stand bei der Türe und versuchte, ein bestimmtes System in seiner Arbeit zu finden. Hugo tat alles mit solch einer Genauigkeit und Bestimmtheit, daß sich dahinter eindeutig ein Geist verbergen mußte. Mit der Zeit gelangte ich tatsächlich auf eine Fährte, nach welchem Muster Hugo seine Wohnfläche immer wieder von Neuem einrichtete. Es schien geradezu raffiniert.

Inzwischen war ich dreizehn Jahre alt und hatte ihn nun schon seit zwei Jahren. Er war natürlich nicht mehr so klein wie zu dem Zeitpunkt, als ich ihn bekommen hatte, er war sogar ein bißchen dick geworden, und ich befürchtete, daß das unter anderem auch an meinen Karotten liegen könnte. Ob er deswegen die Einrichtung in seinem Käfig unentwegt veränderte? Womöglich fühlte er sich beengt und versuchte, sich mehr Platz zu veschaffen.

Wie jedes Jahr kam auch dieses meine Tante mit ihren beiden Töchtern, zwölf und vierzehn Jahre alt, mit denen ich seit frühester Kindheit immer auf Kriegsfuß gestanden war, am Ostersonntag zu Besuch. Nach der Kirche spazierten wir nach Hause, wo meine Mutter sich daran machte, das Essen zuzubereiten. Wir setzten uns zu Tisch, und mein Vater sprach ein Tischgebet, in dem er sich für das Essen bedankte. Dann reichten wir einander die Hände und wünschten Guten Appetit. Es schmeckte allen ausgezeichnet. Ich nahm mir sogar nach, und auch mein Vater lud seinen Teller ein zweites Mal voll. Meine Tante lobte, daß das Fleisch ausgezeichnet wäre. Ich selbst hatte lange kein so gutes mehr gegessen. Nachdem wir den ganzen Braten verzehrt und uns zufrieden in unsere Sessel zurückgelehnt hatten, berichtete meine Mutter, daß sie das Kaninchen erst in der Früh, vor der Messe, gleich neben dem Pferdestall mit dem neuen, extra-scharf geschliffenen Messer geschlachtet hatte.

Mir wurde klar, daß ich soeben Hugo gegessen hatte.