Janine Eggenberger (17)

Frühlingsglück

Und wieder einmal führte man mich durch schneidend hellerleuchtete Gänge, die durch die halbgeschlossenen Lider schon fast weiss wirkten. Es war jede Woche derselbe traurige Gang, dieselben nichtssagenden Gesichter, dasselbe kreischende Licht. Murmeln verfolgte mich auf meinem Weg; heisere Stimmen, die Worte bildeten, geflüsterte Hilfeschreie, die niemand verstand. Doch ich konnte die seltsame Sprache entschlüsseln, und ihre Schmerzen bohrten sich tief in mein Gehirn und in meine Seele.

Noch immer hatte ich mich nicht an die Stimmen der Leidenden gewöhnt, jede Woche erschütterten sie mich von neuem. Doch die Weisskittel, die mich zu meinem Bestimmungsort führten, schienen ihre Ohren verschlossen zu halten. Ihre Aufgabe war es, uns zu helfen, doch ihre selbstauferlegte Bestimmung schien es zu sein, uns während ständigem Beobachten zu ignorieren.

Ich hielt die Augen halb geschlossen, die Arme verschränkt. Sie sahen es und verstanden nicht. Führten mich wortlos weiter ans Ziel, an den Ort, wo sie mich unter Kontrolle zu haben meinten. Als wir ihn erreichten, öffnete sich wie immer die Türe, die Weisskittel lösten sich von mir und traten zurück. Ich wusste, was sie nun erwarteten. Gehorsam betrat ich den Raum, die Türe schloss sich schwer hinter meinem Rücken. Ich war alleine.

Zielstrebig ging ich auf den Stuhl, der mitten im Zimmer stand, zu, liess mich auf seiner abschreckend kleinen Sitzfläche nieder und wartete.

Es befand sich keine Uhr im Raum, doch ich konnte ihr Ticken hören. Langsam bewegte sich der Zeiger, verursachte das nervenaufreibende Geräusch, während er die unfassbare Zeit auf ein Zifferblatt bannte. Ich konnte nichts dagegen tun, mein Oberkörper wiegte sich von alleine im Takt der Uhr. Sie sahen es und zogen ihre falschen Schlüsse. Anfangs versuchte ich das Wiegen zu unterdrücken, doch nach wochenlangem Dasitzen begann es mir egal zu werden.

Der Raum war leer, kahl wie ein Winterwald, doch ich stellte mir seinen Inhalt vor, farbenfroh und leuchtend echt. Rote, blaue, grüne Kissen bedeckten den Boden, bemalte Wände grenzten den Raum ab. Sie beobachteten mich durch einen Spiegel, der sie abschirmte, doch ich konnte sie dennoch sehen.

Ich stand auf und ging ein wenig hin und her. Die bunten Kissen erinnerten an Blumen, so dass ich die Wärme des Frühlings spüren konnte. Langsam hob ich meine dünnen Arme, liess sie durch die Luft gleiten, leicht wie Schmetterlingsflügel. Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus, erfüllte mein Herz und meinen Kopf. Ich begann mich im Kreis zu drehen, das Gesicht erhoben, blickte mit weit geöffneten, strahlenden Augen zur Decke, als wäre sie die Sonne. Glück durchströmte meinen ganzen Körper. Der Raum drehte sich mit mir, während ich immer schneller wurde und schliesslich auf die weichen Kissen plumpste, immer noch zur Decke schauend. Ich merkte erst, dass ich sang, als sich meine Stimme klar im Raum erhob, als steige sie auf Schwingen in die Luft. »Weisst du, wo die Blumen sind…«

Ich wusste, dass sie mich beobachteten, mich analysierten, besprachen und dennoch nicht verstanden.

Dabei war es so einfach: Ich war glücklich.