Melanie P. Strasser (16)

Jenseits der Dinge

Der Alkohol drückte mich ebenso hinab wie der Himmel, der sein Dunkel herabfallen ließ.

Ich drehte mein Glas in den Händen, zusehend, wie sich die Dinge unter den länger werdenden Schatten veränderten.

Der Geruch der Pinien lag schwer in der Luft; der Wind zog den Geschmack des Meeres hinter sich her. Ich saß nur da, die Arme auf den hölzernen Tisch gestützt, trinkend.

Du lagst drinnen. Ich sog die Luft ein. Du hast einmal gesagt, dass es keinen Sinn hätte, einen anderen Ort aufzusuchen, da nach kurzer Zeit alles wieder gleich aussehen würde.

Damals hatte ich deine Hand genommen, wie ich immer deine Hand nahm, wenn du Dinge sagtest, von denen ich nicht wollte, dass sie dich quälten.

Irgendwo aus der Ferne drangen fröhliche Stimmen an mein Ohr. Ich nahm einen tiefen Schluck; die kargen Gräser wanden sich unter der sie zur Ruhe zwingenden Nacht.

In diesem Augenblick traten diese nüchternen, an deine Stimme geklammerten Worte in ihrer Nacktheit hervor und ließen mich stumm ihre undurchdringliche Welt erahnen.

Du warst wieder ganz nahe und ich stellte mir vor, wie du, nur durch eine hölzerne Wand von mir getrennt, auf dem Bett liegen musstest, einen Arm hinter dem Kopf, ausgestreckt. Unbeweglich.

Ich hatte wirklich immer geglaubt, die Gedanken hingen vom Ort ab, an dem man sich befindet. Als liege es an der Landschaft, die sich vor einem ausbreitet, an der Tageszeit, am Wetter oder an der Beschaffenheit des Barhockers in einem verrauchten Restaurant, welche Gedanken einen überkämen.

In einer anderen Umgebung, dachte ich, musste sich etwas ändern.

Nun spüre ich, dass es vielleicht gleichgültig ist, ob es Tag ist oder Nacht, ob man inmitten der Alltäglichkeit oder fernab auf einer Insel einer Zukunft entgegensieht.

Jetzt saß ich vor dieser Hütte, von der wir gemeinsam geträumt hatten.

Sie würde sich jenseits der Dinge befinden, dachten wir, die uns verbitterten.

Immer wieder erzählte ich dir von den Kakteen, die vor unserem Häuschen gedeihen würden, von den Ruderbooten, die im Meer schaukeln würden, von dem Esel, der auf weißen Steinen stehen würde, von den Farben des Sonnenunterganges, den wir gemeinsam erleben würden, immer wieder aufs Neue; und ich stellte mir vor, dass wir aufhören würden, Bitteres zu denken, dass wir einander auf andere Art lieben würden als inmitten unserer Gewohnheiten.

Dann hast du immer gelächelt und meine Hand genommen.

Du hast auch gelächelt, als ich dir taumelnd vor Freude beim Frühstück erzählte, eine Holzhütte für den Sommer gemietet zu haben, unter Pinienwäldern, am Meer, das gegen die Klippen schlug – genau so, wie wir es erträumt hatten. Du hattest gelächelt, wie du immer lächelst, ein wenig traurig, mit diesem seltsamen Ausdruck im Gesicht und wenige Stunden später fand ich deine Antwort, die du auf die Zeitung gekritzelt hattest:

Du zerstörst den Traum, wenn du versuchst, ihn wahr zu machen.

Ich hasste dich dafür und weinte, aber ich konnte nicht aufgeben deswegen. Ich glaubte an die Kraft der erfüllten Träume, nicht an die der unerfüllten.

Nun glaubte ich zu wissen, dass die Suche schon das Ziel sein kann. Wir haben das Ziel erreicht, ehe es gefunden worden war.

Wir sind hier, aus dem Traum in die Realität gerissen und es steht kein Esel vor der Tür, aber ich bin nicht naiv genug mir einzureden, dies wäre der Grund, dass in unseren Gedanken alles viel schöner gewesen war.

Jetzt begriff ich, dass es nichts ändern würde. Die Gedanken gründen in einem selbst, nicht in der Umgebung.

Tatsächlich war dieses Glück, nach dem wir uns so gesehnt hatten, nach ungezählten Stunden in sich selbst ertränkt. Wir verloren uns wieder in Bitterkeit, das gefürchtete Schweigen umhüllte uns und ich spürte, dass du wieder angefangen hattest aufzugeben.

Die Welt wurde wieder sie selbst und die Sehnsucht suchte sich eine neues Ziel, heftiger als zuvor. Unserer Sehnsucht konnte nie erfüllt werden, sie konnte immer nur Traum bleiben.

Jeden in dieser Idylle verbrachten Augenblick musste ich fühlen, wie schmerzhaft die Schönheit ist. Sie nimmt niemanden auf in sich, sondern sie verhöhnt einen.

Angesichts der Erhabenheit der Natur wurden wir selbst zu einem Nichts, unter den Liebkosungen des Meeres wurden die deinen lächerlich, der Sonnenuntergang verlor seine Farben, wenn wir sie zu teilen versuchten.

Die Dinge erlangten eine neue Bedeutung, für jeden eine andere, hilflos daneben stehend scheiterten wir daran, sie zu verbinden.

Es war vielleicht der Sog dieser Schönheit, der uns einander entriss.

Wenn ich geweint habe, hast du immer gelächelt, fuhrst ein wenig hilflos durch mein Haar. Wenn ich gelacht habe, hast du auch gelächelt, fuhrst ein wenig verlegen durch dein Haar.

Manchmal, wenn wir uns liebten, hast du mich lächelnd angesehen und gefragt, was ich empfinde und ob ich es nicht absurd finden würde. Ich lachte hilflos und erschien mir unsinnig dabei.

Es brauchte vier Jahre, einen Sommer, eine Nacht und eine Flasche Rotwein, ehe ich auch nur erahnen konnte, dass du mich nicht zum Lachen bringen wolltest.

Wie viele Dinge du wohl gesagt hast, mit demselben Lächeln untermalt, die ich nicht verstehen konnte und mit denen du mir wohl so viel sagen wolltest.

Ich fragte mich, ob du mich dafür hasstest, dass ich deine Sprache nicht verstand.

Irgendwann in dieser Nacht richtete ich mich auf, ging hinein zu dir, und du lagst da, wie ich wusste, dass du daliegen würdest.

Ich strich mit den Fingern über deine Lippen. Du warst viel zu sehr bei dir, als dass ich mich neben dich hätte legen können. Ich sah dich an und du verschwammst unter meinen Augen.

Deine Stimme stand plötzlich ganz deutlich im Raum:

Besitzt Liebe einen Grund? –

Ich schwankte ins Badezimmer, legte mich in die Badewanne und rauchte unzählige Zigaretten. So fandest du mich irgendwann.

Diesmal hast du nicht gelächelt, obwohl ich weinte.