Kathi Serles (14) 24.07.01

 

"kein rückfahrticket.....kein rückfahrticket....",hämmerte es ihr im kopf. schritt für schritt ging sie den kleinen pfad entlang. jeden schritt setzte sie langsam ,überlegt und bedächtig. das weiche gras federte ihre schritte und die tautropfen ließen ihre schuhe glänzen. der himmel war graublau und traurige , dunkle wolken hingen schwer und bedrohlich in der luft. das meer lag ungewöhnlich glatt und ruhig da. es spiegelte unendliche grüntöne wider und ihre augen konnten sich nicht satt daran sehen... die weißen kalkklippen ragten schroff in den himmel. ein kleiner roter leuchturm stand verlassen und wie hingemalt im vergleich zu den riesigen ,wuchtigen klippen da. möwen kreischten und zogen ihre kreise über ihr, wie als ahnten sie etwas. eine weite grüne wiese lag vor ihr.

sie wollte schreien, alles hinauslassen, doch sie konnte nicht. Sie wollte endlich frei sein, durchatmen – nichts. leere augen suchten nach etwas, doch sie fanden nichts.

nichts an ihr regte sich, nur ihre füße trieben sie an den rand der klippe. ihre ausgetrockneten, spröden lippen zitterten, eine einzige verlorene träne stand auf ihrem gesicht. der wind zog und zerrte an ihrem körper, doch sie stand bewegungslos da. ihr gesicht, eine leblose maske suchte die ferne, ihren kopf hielt sie trotz allem aufrecht. nichts hätte sie noch aufhalten können.. eine möwe breitete ihre flügel aus und flog in den himmel.....ins licht.... ein lächeln erschien kurz auf ihrem gesicht... "FREI!",

und sie breitete ihre arme aus und flog...

 

Das Vakuum

Um mich herum ist es schwarz und leer. Aber etwas in mir sagt, ich soll weitermachen und nicht aufgeben. Etwas in mir leuchtet.

Heute hat mich Mama zum Arzt geschickt. Er hat mir Antidepressiva gegeben. "Dann geht’s dir besser.", hat er gesagt. Ich glaub ihm nicht. Keine Medizin kann mein ICH heilen. Mein ICH ist kaputt, zerbrochen. Jetzt ist da ein Vakuum. Nicht einmal eine Leere ist da – ein Vakuum, das mich von innen einsaugt.

Von innen.

Draußen bin ich noch ein Spiegelbild meines ICHs.

Eine Halluzination.

Aber niemand bemerkt es. Keinem fällt es auf. Niemand versteht.

Auch Mama nicht.

Hilf mir! Schreit mein verlorenes ICH. Rette mich!

Es geht mir gut. Sagt die Halluzination.

Mama glaubt nur das, was sie sieht. Sie sieht ein Spiegelbild. Der Spiegel ist zerbrochen, aber das Bild sieht sie noch. Wie ein erloschener Stern, der immer noch leuchtet. Sie sieht, dass ich mich aufschneide, sie weiß, dass ich bulimiere. Und sie glaubt, ich sei depressiv. Sie schickt mich zu einem Arzt, der mir Pillen gibt.

Doch sie hört mich nicht weinen in der Nacht. Sie sieht die Angst in meinen Augen nicht. Ich habe Angst. Ich habe Angst, dass das Vakuum mich ganz einsaugt. Denn ein paar Scherben meines ICHs klammern sich am Abgrund fest und wollen nicht verschluckt werden.

Ich habe Angst, dass es wehtut, wenn das Vakuum sie auch einsaugt.

Ich will, dass jemand das Vakuum wegmacht.

Die schwarze Leere drängt. Sie kommt immer näher und wird immer größer.

Mama nimmt jetzt auch solche Pillen. Sie ist schwach, sie zerbricht an mir. Sie macht sich Vorwürfe. Dass sie nie Zeit für mich hatte, dass sie mir nie zugehört hat. Dass sie nicht bemerkt hat, was der Mann mit mir machte. Aber der Mann kann mir jetzt keine Angst mehr machen.

Das Vakuum, das er geschaffen hat, als er den Spiegel zerbrach, macht mir Angst.

Mama möchte mit mir zu einer Selbsthilfegruppe. Aber ich will nicht. Ich will diese Bilder vergessen. Ich kann mit niemandem darüber sprechen. Auch mit Mama nicht. Sie ist zu schwach, sie kann mich nicht stützen. Sie kann mich nicht vom Abgrund wegziehen. Mein Vakuum ist stärker und reißt sie langsam mit. Und die Scherben meines ICHs schauen nur mehr zu und beobachten, was das Vakuum mit meinem Spiegelbild und meiner Mama macht. Sie weinen nicht mehr. Sie schreien nicht mehr um Hilfe. Sie klammern sich nur noch verzweifelt fest. Dazu verwenden sie all ihre Kraft. Und manchmal, in einem Anflug von Mut, versuche ich das Vakuum herauszukotzen. Aber es ist zu stark. Zu groß. Und dann habe ich wieder Angst.

Die Schwarze Leere hat mich erreicht. Sie betastet mich. Wird eindringlich, fordernd. Sie berührt jede Stelle meines Körpers. Und das Etwas, das Licht wird schwächer.

Ich kann nicht mehr schlafen. Ich kann nicht mehr essen. Ich kann nicht mehr sprechen. Ich bin wie tot. Aber schlimmer. Ich fühle diese Leere, dieses Nichts, dieses Vakuum. Mein Spiegelbild siecht dahin.

Die Leere ist in mich hineingeschlüpft. Und hat das Licht erstickt.

Ich bin am Boden. Die letzten Scherben sind im Vakuum verschwunden. Sie hatten keine Kraft mehr.

Ich bin umgekehrt gestorben. Von innen nach außen.

Normalerweise ist das Spiegelbild, die Hülle zuerst tot und dann wird man frei und ewig. Aber mein Spiegel ist weg – er ist tot. Mein Spiegelbild lebt noch. Aber es ist nicht frei, es ist gefangen in einem Käfig, den man Sichtbarkeit nennt. Und es kann nicht hinaus.

Ich werde zu schwarzer Leere. Ich bin eine Einheit. Ich bin nicht mehr ich. Ich bin eine schwarze Leere. Und plötzlich ist alles ganz hell.

Sie steht an einem Grab. Sie weint nicht. Sie ist ausgetrocknet. Ihre Tochter wurde vergewaltigt. Als sie davon erfuhr, war ihre Tochter schon psychisch zerstört. Sie musste zusehen wie ihre Tochter litt. Aber sie konnte nichts mehr tun. Ihre Tochter hatte sich von der Außenwelt abgeschnitten. Ihre Tochter kämpfte einen inneren Kampf und verlor. Ihre Tochter stürzte sich vom Hochhaus. Der Spiegel und das Spiegelbild waren tot - sie war frei und ewig.