Judith Rifeser (16)

Was bleibt

Ich drücke den Kopf fest in das Kissen, halte mir die Ohren zu. Nein. Ich will mich nicht umdrehen. Will nicht sehen, wie sie dasitzt, schweißgebadet; will es nicht hören, ihr Keuchen, vor Anstrengung. Nicht schon wieder.

Krampfhaft hält sie den Stift in der linken Hand. Kritzelt in ihr Tagebuch. Wörter, viele Wörter. Mit schwarzer Tinte, denn sie dürfen nicht verblassen. Nie.

Ich bringe ihr das Frühstück ans Bett. Kaffee, eine Scheibe Brot mit Butter, wie sie es gern mag. Sie starrt mich an. Kurz, nur ganz kurz. Dann schreibt sie weiter. Ich warte. Tiefe Ränder zeichnen sich unter ihren Augen ab. Sie ist gealtert in den letzten Wochen. Kaum wiedererkennbar. Ich streiche ihr zärtlich über die fahle Wange. Doch sie stößt meine Hand beiseite, wie eine lästige Fliege und ruft:»Lass mich, lass mich!«

Ich zucke zusammen. Warum? Warum versuche ich es immer wieder? Ich weiß doch ganz genau, dass sie muss. Sie muss schreiben. Bei Tag, in der Nacht. Schnell. Ohne Rücksicht auf Verluste. Lebenswichtig für sie.

"Verstehst du nicht", hatte sie mir einmal erklärt, »jede Minute war wichtig für mich. Jede einzelne ist es wert, in diesem Buch zu überleben. Gefesselt von Wörtern. Ich darf einfach nichts vergessen. Gar nichts. Muss mich erinnern; an alles.«

Wird sie es schaffen? Wird die Zeit reichen bis es ihre Gedanken löscht? Es. Ich kann es nicht aussprechen, dieses verhasste Wort. Wie ein Blitz hat es in unsere Welt eingeschlagen. Ohne Vorwarnung.

»Ralf, Ralf!«Ich springe auf. Laufe durch die Küche. Stolpere. Falle zu Boden.

»Ralf!« Rapple mich auf. Laufe zu ihr.

Sie zittert. Ich spüre wie sich alles in mir verkrampft.

Nein, noch nicht. Nicht heute. Morgen oder übermorgen. Verloren der Wettlauf. Gescheitert.

Sie bewegt ihre Lippen. Ein Flüstern, kaum hörbar.»Mein Name. Ich habe ihn nicht aufgeschrieben. Wie …", sie stockt, »…wie heiße ich?«

Ihr Bild verschwimmt vor meinen Augen. Für immer.

»Lara, mein Schatz. Du heißt Lara.«