Anita Pacher (14)

Mord im Internat

Ich habe Hunger. Es ist dunkel. Wie spät ist es wohl? Soll ich aufstehen? Hoffentlich wecke ich niemanden auf. Leise, leise. Verflixt, wo sind meine Schuhe? Endlich habe ich sie. Vorsichtig schleiche ich zur Tür. Zum Glück hat Susanne nichts bemerkt. Ich drücke die Klinke der Tür hinunter. Leise! Die Tür knarrt fürchterlich. Puh, endlich draußen. Am Gang ist es dunkel. Ich tapse zum Lichtschalter. Einmal kurz drücken, schon ist der Flur beleuchtet. Nun die Treppe hinunter. Ach, warum bin ich bloß im vierten Stock? Ich hüpfe über die letzten Stufen. Vorsichtig, niemand aufwecken. Die Uhr im Stiegenhaus tickt laut, sehr laut. Ich schleiche zur Küche. Schnell schnappe ich mir eine Semmel. War gar nicht so schwer. Ich atme auf. Plötzlich sehe ich etwas auf dem Boden. Es ist lang. Da es sehr dunkel ist erkenne ich nur Umrisse. Mir scheint, als wäre das ein Körper. Aber er bewegt sich nicht. Hastig bücke ich mich. Ja, wirklich, das ist ein Mensch. Ich eile zum Lichtschalter. Die Neonröhre flackert auf. Da liegt sie. Regungslos. Ich rede mir ein, dass sie schläft, doch ich weiß, dass es nicht stimmt. Versuche, meine Gedanken zu ordnen. Ich sehe sie an. Ich weiß nicht wie lange, ich habe das Zeitgefühl verloren. Ich erkenne ein paar rote Flecken an ihrem Hals. Lose windet sich ein Seil um ihr Dekolleté. Wie ist das möglich? Ich habe sie doch gerade noch gesehen, noch mit ihr gesprochen.Träume ich? Ich will aufwachen! Das ist grausam. Ich muss es sagen. Aber, ich kann es nicht sagen. Was denn auch? »Entschuldigen sie die späte Störung, aber einer dieser Flüchtlinge ist tot.« Das ist nicht lustig. Sie soll aufstehen. Muss aufstehen. Das ist ein schlechter Scherz. Ich schließe meine Augen. Ich kann es nicht glauben . Als ich sie wieder öffne, ist das Licht ausgegangen. Nun kann ich nichts erkennen. Weder Umrisse, noch betätige ich den Lichtschalter. Was ich sah, erschreckte mich. Lässt mich erschaudern, doch gleichzeitig erleichtert es mich. Sie war weg. Nie da gewesen. Die zarte Figur war verschwunden. Niemand war hier. Und ich stehe da mit meiner Semmel. Ich habe keinen Hunger mehr.